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Pakistans GeheimdienstDie Schattenregierung

Hat Pakistans Geheimdienst Osama bin Laden gedeckt? Oder hat er nur geschlafen? Kritiker sehen ihn ihm ein Machtmittel des Militärs, um Islamisten zu fördern.

Aus Liebe zum Geheimdienst gehen manche Pakistanis für ihn auf die Straße. Bild: rtr

ISLAMABAD taz | Omar kann es immer noch nicht glauben: Der 28-Jährige hat die Militärakademie in Abbottabad absolviert, nur ein paar hundert Meter vom Versteck bin Ladens entfernt. Wie er sich dort verstecken konnte über all die Jahre, will ihm nicht in den Kopf. Gerade das Gelände um die Akademie werde akribisch kontrolliert und abgesucht, sagt er. "Wie soll das gehen?" Ein ehemaliger ISI-Mitarbeiter sagt: "Für diese ganze Gegend um den Komplex braucht man eine spezielle Genehmigung." Wachen würden alle Anwohner kontrollieren.

Der hollywoodreife Angriff der US-Spezialkräfte auf das Haus des al-Qaida-Chefs in dieser mondlosen Nacht am 2. Mai ist auch ein Angriff auf Pakistans heilige Institutionen: die pakistanische Armee und vor allem ihr Geheimdienst. Sind der al-Qaida-Chef und sein Versteck gedeckt worden und vom wem?

Die Antwort findet sich hier in Abpara: Am Rande der grünen und ruhigen Hauptstadt Islamabad liegt diskret und unauffällig das Hauptquartier des Inter-Intelligence-Service, besser bekannt unter seiner Abkürzung ISI. Die Organisation ist Auge und Ohr des pakistanischen Militärs. Die Verbindungen sind sehr eng, auch personell: der jetzige Chef der pakistanischen Armee war zuvor oberster Spionagechef des Landes gewesen.

Heute führt Ahmed Shuja Pasha den Dienst: Der 59-jährige Dreisternegeneral mit grauen Haaren gilt als gebildet, belesen und vor allem westlich geprägt. Pasha, der fließend Deutsch spricht, ist Herr von wenigstens 10.000 Mitarbeitern, manche glauben, es sind weit mehr. Die Palette reicht von Alltagsinformanten, die auf der Straße Tee verkaufen, zu Verbindungsleuten in Hotels, Restaurants, Moscheen und Universitäten bis hin zu Analysten.

Theoretisch untersteht die Organisation dem Premierminister, doch faktisch ist sie das Werkzeug des obersten Armeechefs Asfaq Kayani. Offiziell schützt der ISI die nationale Sicherheit, bewacht Pakistans Atomwaffen, überwacht Telefonate und andere Kommunikationsverbindungen. Kritiker hingegen sehen den ISI als Machtmittel des Militärs, das Wahlen fälscht, Leute entführt und islamistische Terrorgruppen leitet.

"Wir barsten fast vor Stolz"

Die frühen Jahre des Dienstes waren von Katastrophen und Rückschlägen geprägt. Der ISI versagte beim Krieg gegen Indien 1965 und wurde wenig später, 1971, vom Konflikt in Ost-Pakistan überrascht, der zur Abspaltung und Unabhängigkeit Bangladeschs von Pakistan führte.

Doch acht Jahre später änderte sich das Geschick, als am Weihnachtstag 1979 sowjetische Panzer nach Afghanistan rollten. Der ein Jahrzehnt dauernde Guerillakrieg am Hindukusch machte den gedemütigten Geheimdienst reich und mächtig. Bezahlt von den USA, gefochten von Arabern und Afghanen, aber hauptsächlich organisiert vom ISI, war die zweite Geburtsstunde des Dienstes. Die Organisation betrieb ein Netzwerk geheimer Trainingscamps an der afghanischen Grenze und trainierte mehr als 80.000 Widerstandskämpfer, sie sorgte für den Waffennachschub der Mudschaheddin-Kämpfer mit Geld vom CIA und Saudi-Arabien und schmuggelte Kalaschnikows und Stinger-Raketen von Karachi zum Khyber-Pass.

Der damalige ISI-Chef Hamid Gul erinnert sich noch gern: "Wir kamen aus Afghanistan zurück, wir barsten fast vor Stolz." Damals, als die Berliner Mauer fiel, habe man ihm ein kleines Stück geschenkt - mit der Aufschrift "Für die, die den ersten Schlag taten".

Sein Sohn, Mohammed, der über den Terminkalender des Sternegenerals wacht und dessen iPhone ein Bild vom Vater in Orden und Uniform zeigt, sagt, er habe sich damals als Siebtklässler den Gotteskämpfern in Afghanistan gegen die Sowjetunion angeschlossen. Der Dschihad liegt offenbar in der Familie.

Zweifel am Zeitpunkt von bin Ladens Tod

Doch Gul hat sich längst von den damaligen Freunden abgewandt. Er steht auf der internationalen Terrorliste und darf nicht in die USA oder nach Europa reisen. "Es ist gefährlich, Amerikas Freund zu sein. Manchmal ist es besser, sein Feind zu sein", fasst Gul seine Erfahrung zusammen.

Der ehemalige Meisterspion, wie er sich selbst gern bezeichnet, hat es nicht verkraftet, dass sich die USA nach dem Ende des Kalten Krieges von Pakistan abwendeten. Nach dem ruhmlosen Abzug der Sowjetunion aus Afghanistan 1989 wandte sich die atlantische Supermacht anderen Regionen zu.

Der ISI begann nun islamistische Gruppen anderswo zu fördern - in Bangladesch, Indien, Usbekistan und Birma. Die USA setzten Pakistan 1993 schließlich auf die Terror-Kontrollliste. In welchem Maße die unheilvolle Allianz zwischen den islamistischen Kämpfern und dem ISI noch heute besteht, ist schwer abzuschätzen.

Hamid Gul jedenfalls ist sich sicher, dass der ISI bin Laden nicht geschützt hat. "Das ist Blödsinn. Wir haben nie die Ideologie von al-Qaida geteilt. Wir, der ISI, haben nie arabische Kämpfer trainiert, nur afghanische Mudschaheddin."

Doch Gul will auch ungern zugeben, dass seine frühere Arbeitsstelle den Topterroristen einfach übersehen hat. Er bezweifelt, dass bin Laden überhaupt noch am Leben war. Guls Ansicht nach war bin Laden schon vor langer Zeit gestorben. "Vielleicht 2003 in der Kunar-Provinz in Afghanistan". Osama sei "ein sehr kranker Mann gewesen, der am Stock ging". Gul ist überzeugt: "Wenn der Staub sich gesetzt hat, werden viele Fragen bleiben."

Doch islamistische Terrorgruppen glauben, der Dienst habe Osama versteckt und ihn dann ans Messer geliefert. Und sie haben Rache geschworen.

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