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Mehr Tote durch ÄrztefehlerIn den Tod operiert

Die Zahl der Todesfälle durch Ärztefehler ist dramatisch gestiegen. Grund sind Behandlungsfehler, mangelhafte Hygiene und unverträgliche Implantate.

Häufige Todesursache: abgestoßene Organe nach einer Transplantation. Bild: ap

BERLIN taz | Die offizielle Zahl von Toten infolge ärztlicher Behandlungsfehler, mangelnder Hygiene in Krankenhäusern, unzureichender Desinfektion medizinischer Geräte und Komplikationen nach dem Einbau künstlicher Gelenke ist innerhalb eines Jahres dramatisch gestiegen. Das belegt die jüngste Todesursachenstatistik des Statischen Bundesamts in Krankenhäusern und bei niedergelassenen Ärzten in Deutschland.

Die Zahl der Todesfälle aufgrund ärztlicher Fehler oder mangelhafter Produkte hat demnach von 1.189 im Jahr 2009 auf 1.634 im Jahr 2010 zugenommen - das entspricht einem Anstieg um 37,4 Prozent.

Vor allem die Zahl der aufgrund von "Zwischenfällen während oder im Zusammenhang mit einem chirurgischen Eingriff" verursachten Todesfälle stieg stark - von 551 im Jahr 2009 auf 944 im Jahr 2010. Häufige Ursachen für den Tod von Patienten sind laut Statistik mangelnde Desinfektion, Abstoßungsreaktionen bei einer Transplantation und Komplikationen beim oder nach einem Einbau künstlicher Implantate.

Andere Patienten starben nach Amputationen oder weil Operationswunden schlecht vernäht waren oder Bypässe fehlerhaft gelegt wurden. Als weitere Ursachen werden versehentliche oder unbeabsichtigte Schnitte bei Operationen genannt sowie Endoskopie-Fehler.

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit warnte, dies sei "nur die Spitze eines Eisbergs", viele Todesfälle würden von der Statistik gar nicht erfasst. Das Aktionsbündnis schätze die Zahl von Todesfällen durch ärztliche Behandlungsfehler jährlich bundesweit auf 17.000.

Nicht immer Pfusch

Dagegen mahnten das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und die Bundesärztekammer vor einer Skandalisierung und vor einer Vorverurteilung der Ärzte und Pfleger. Es könne keine Rede von einem "Trend" sein, wonach tödliche Fehler zugenommen hätten, sagte Ärzte-Präsident Frank Ulrich Montgomery. Manche statistische Veränderung sei auf Veränderungen bei der offiziellen Zuordnung von Diagnosen zu den einzelnen Patientenfällen zurückzuführen.

Die Gründe für die Zunahme müssten zunächst "offensiv analysiert" werden, forderte ein BMG-Sprecher. Eine Zunahme gemeldeter Fälle heiße keineswegs, dass auch zunehmend geschlampt werde. Denkbar sei, dass die hohen Zahlen auch auf einer verbesserten Fehlermeldekultur in den Kliniken gründeten, die das Ministerium begrüße und unterstütze.

Die grüne Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink forderte "ein verbindliches Meldesystem in den Kliniken als Voraussetzung für eine patientenorientierte Qualitätssicherung". Ferner sei zur Fehlerermittlung, Rückverfolgbarkeit und Langzeitbeobachtung von Komplikationen mit Medizinprodukten wie künstlichen Hüft- oder Kniegelenken ein verpflichtendes Implantate-Register nötig. Derzeit existiert dieses nur auf freiwilliger Basis.

Eine Sprecherin des Statistischen Bundesamts wies darauf hin, bei den Zahlen handele sich um eine rein bürokratische Erfassung auf der Grundlage von Totenscheinen, die keinerlei Aufschluss darüber gebe, ob die Fehler vorsätzlich oder vermeidbar gewesen wären. Eine pauschale Einordnung in die Kategorie "Pfusch" sei unlauter. Jede Klinik sei verpflichtet, ihre Verstorbenen samt Todesursache an die zuständigen Standesämter zu melden. Diese meldeten weiter an die Gesundheitsämter, diese wiederum an die statistischen Landesämter und diese ans Statistische Bundesamt.

Pro Jahr sterben in Krankenhäusern in Deutschland zwischen 820.000 und 850.000 Menschen; die Zahl der Behandlungsfälle in Kliniken insgesamt liegt bei etwa 18 Millionen.

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5 Kommentare

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  • A
    Ansichten

    Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass die genannte Zahl nur die Eisbergspitze ist.

    "Fehler" lassen sich zumeist nicht zweifelsfrei als Fehler nachweisen, da es oft die Summe kleinerer Fehlentscheidungen ist, die zu entsprechenden Folgen führt.

    Aber - ohne hier Fehlleistungen entschuldigen zu wollen - ist das Gros auch auf die Begleitumstände in den Kliniken - und so letztlich auf die bestehende Organisation unseres Gesundheitswesens zurückzuführen.

    Also die auf marktwirtschaftlicher Basis organisierten Kliniken.

    Die zeitlichen Einschränkungen bei Untersuchungen (die hierfür von Krankenkassen bezahlte Zeit reicht oftmals nicht einmal für den Weg zum Patienten und der Zeit für die Desinfektion der Hände: Die Untersuchung ist schon nicht mehr "im Preis" enthalten) und mithin die Problematiken dabei, sich mit Kollegen aus anderen Abteilungen abzustimmen, der niedrige Personalschlüssel, die Tatsache, dass die behandelnden Ärzte zumeist junge Kollegen mit wenig Berufserfahrung sind, die zudem unter dem Druck stehen, sich durch "Entscheidungsfreude" und "Effizienz" zu beweisen.

    Und, nicht zuletzt, das Problem, dass nötige Untersuchungsverfahren aus Kostengründen nicht angewendet werden, weil die Krankenkassen sie nicht übernehmen.

    So kommen die neuen, auch durch Steuermittel subventionierten Verfahren, nur bei wenigen Patienten an. Bei denen nämlich, die es sich leisten können.

    Dabei sollte es Ärzten aus ethischen Gründen eigentlich egal sein können, wie ggut ihr Patient denn nun versichert ist.

     

    Leisten wir uns möglicherweise nur so viele verschiedene Krankenkassen - mit je eigenen, hochdotierten Vorständen und Geschäftsführern - damit nicht noch mehr reguläre Arbeitsplätze verloren gehen?

    Das allerdings kann nicht die Aufgabe des Krankenkassenbeitrags sein.

    Dann sollte das Geld doch besser in den Personalschlüssel der Krankenhäuser - und anschliessender Maßnahmen fliessen.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Ärtzte sind nicht fehlerfrei

    Mediziner unterlaufen Fehler.was gestellte Diagnosen und eingeleitete Therapien betrifft.Das Nachsehen.oft mit Todesfolge haben Patienten.

    Wenn ein Patient Zweifel hat was die erstellte Doiagnose und die ein zu leitemnde Therapie betrifft,sollte er ein oder zwei unabhängige Mediziner zu Rate ziehen.

  • C
    Celsus

    Und es ist nachvollziebar, dass es immer weniger Klinkpersonal gibt, weil die privaten Träger Personal abbauen oder eben in Vorbereitung einer solchen Privatisierung vorweggenommen wird. Die Verantwortung liegt dabei nicht nur bei Ärzten.

     

    Eigenartig, was da in einem der reichsten Lädner der Welt möglich ist. Aber eine Minderheit sitzt da auf dem Geld und hält auch innerhalb von Deutschland die Mehrheit immer knapper. Währenddessen zeigt sich die Politik unfähig und unwillig, bei denjenigen Steuern auch für derartige Zwecke einzunehmen, deren Schultern das tragen können.

  • SS
    Stink sauer

    Wo führt das noch hin?

    Es geht nur noch ums eigene Interesse, um Profitgier, mangelnde Einsicht und Eitelkeiten!!!

    Politiker, die korrupt und Machtgeil sind, Ärzte, die sich für unfehlbar halten, ebenfalls korrupt und machtgeil sind. Lehrer die in sich selbst verliebt sind und ihren Altagsfrust an unseren Kindern auslassen.

    Gesellschaft: Wann reagierst Du? Wann ist das Maß voll?

    Oder bist Du zu feige?!

  • F
    FMH

    "Häufige Ursachen für den Tod von Patienten sind laut Statistik mangelnde Desinfektion, Abstoßungsreaktionen bei einer Transplantation und Komplikationen beim oder nach einem Einbau künstlicher Implantate."

     

    Da liegt doch schon mal der journalistische Hase im Pfeffer. Heißt es denn wirklich in der Statistik "Mangelnde Desinfektion"? Ganz bestimmt nicht. Ich denke, dass dort "Infektionen" erwähnt werden, weil sich bei einer solchen schlicht und einfach in den meisten Fällen nicht nachweisen lassen wird, woher diese kommt - aus "mangelnder Desinfektion" oder durch andere Einflüsse nach der Operation. Eine Infektion ist nicht unbedingt ein Fehler des Arztes, und eine "mangelnde Desinfektion" wird sich niemand so einfach nachweisen lassen.

     

    Auch Abstoßungsreaktionen sind ja nicht per se zu den Ärztefehlern zu rechnen, da diese immer passieren können.