Musikalische Improvisation: „Wir sind über die Musik gereift“
Das Album „Silfra“ ist ein Experiment: von Geigerin Hilary Hahn und Pianist Volker Bertelmann alias Hauschka. Er spricht er über Minenfelder und tektonische Platten.
taz: Sie haben Ihr gemeinsames Album nach Silfra benannt, einer unter Wasser vor der Küste Islands gelegenen Felsspalte. Warum hält die Natur als Albumtitel her?
Volker Bertelmann: Unser Album ist in Island entstanden, was die Mittellinie der beiden tektonischen Platten Europa und Nordamerika markiert. Unabhängig von mir hat Hilary Hahn in Island Valgeir Sigurdsson kennengelernt. Er ist ein guter Produzent, hat ein tolles Studio und einen guten Überblick über unser musikalisches Schaffen. Als wir in Island gelandet waren, sahen wir eine uns fremde Kargheit. Hilary ist in der Silfra-Spalte getaucht und war beeindruckt von ihrem abgeschlossenen Charakter, was die Weltabgewandtheit dieser Natur noch verstärkt.
Bei tektonischen Plattenverschiebungen denkt man an Reibung. Wie würden Sie Ihre Zusammenarbeit beschreiben?
Es gab viele Auseinandersetzungen, geprägt davon, dass wir in unterschiedlichen musikalischen Welten beheimatet sind. Letztendlich haben wir aber doch vom Aufeinanderprallen unserer unterschiedlichen Arbeitsroutinen profitiert.
Hilary Hahn ist eine Geigenvirtuosin. Sie sind in der elektronischen Musikszene zu Hause. Wie haben Sie eine gemeinsame Sprache gefunden?
Hauschka: 1966 als Volker Bertelmann im siegerländischen Kreuztal geboren. In den Neunzigern war der Pianist mit der HipHop-Band God’s Favorite Dog aktiv. International bekannt wurde er durch sein Soloprojekt Hauschka. Auf Alben wie „Ferndorf“ (2008) oder „Salon des Amateurs“ (2011) brachte Hauschka die metallischen Klänge des preparded piano – ein Klavier, in dessen Innenraum Alltagsgegenstände gelegt werden – einem Pop-Publikum nahe.
Hilary Hahn: 1979 im US-Staat Virginia geboren, zählt zu den führenden Violinistinnen. Ihr Schallplattendebüt gab Hahn 1997 mit den Solopartiten und -sonaten von J. S. Bach. Später trat sie zudem mit Interpretationen der Werke moderner Komponisten wie Arnold Schönberg und Charles Ives hervor. Ihre Spielweise zeichnet sich durch Zurückhaltung und Nüchternheit aus. Hahn ist auch auf dem Album „Worlds Apart“ der Rockband … And You Will Know Us by the Trail of Dead zu hören.
Wir wurden von einem gemeinsamen Freund einander vorgestellt und waren uns sympathisch. Hilary Hahn hat für sich entschieden, dass Platz für ein Projekt wäre, das über ihre Arbeit hinausreicht. Mich interessiert klassische Komposition schon länger, ich bin allerdings kein gelernter Musiker, und so habe ich mich beim Kollaborieren bisweilen gefühlt, als ginge ich über ein Minenfeld.
Wie ging die gemeinsame Arbeit vonstatten?
Wir haben uns über einen Zeitraum von zwei Jahren regelmäßig getroffen, ausschließlich zum Zwecke des Musikmachens. Im Abstand von drei, vier Monaten haben wir jeweils für ein paar Tage gespielt: Mikrofone angeschlossen und improvisiert. Anfängliche Unsicherheit wich bald einer Spielfreude.
Die Rede ist von Minimal Music als Einflussgröße für „Silfra“. Mir kamen beim Anhören eher Anklänge an die Romantik in den Sinn.
Man benutzt das Wort „Romantik“ nur ungern, weil sofort festgefügte Assoziationen an das Weiche und Sentimentale erfolgen. Romantik ist in ihrem Kern aber eine Epoche voller Widersprüche gewesen, Komponisten waren auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Würde man diese Definitionen von Romantik anwenden, so entsprächen sie der Musik auf „Silfra“ durch und durch.
Und Minimal Music?
Die drängt sich eher durch das wiederkehrende Muster der Repetition auf. Ansonsten eröffnen unsere Stücke in zwei, drei Minuten mehrere Klangwelten. Die eine ist komponiert, die andere wird am Computer kreiert.
Können Sie etwas zur melancholischen Anmutung des Stücks „Krakow“ sagen, bei dem besonders Hilary Hahns Geige Kaffeehausstimmung verströmt?
Vielleicht kommt da der romantische Gedanke wieder mit rein, dass ein Gefühl Anhaltspunkte findet. Das ist auch ein Ansatzpunkt zwischen uns beiden als Künstler. Wir sind keine Menschen, die im Schaffen das Nachsinnen über Veränderung, Sehnsucht und dergleichen aussparen.
„Silfra“ strahlt tiefe ortlose Einsamkeit aus.
Für mich spielt nicht der lokale Aspekt eine Rolle, sondern der Zwischenmenschliche. Beim Aufeinandertreffen einander fremder Musiker kann es zu intensiven Begegnungen kommen, weil man sich in dem Moment eine neue Welt kreiert, die abgeschlossen ist. Man fühlt sich dann wie unter einer Glasglocke. Ich komme ursprünglich aus einem Dorf im Siegerland, wo Enge existiert, Ausweglosigkeit, Beschränktheit, aber auch Offenheit. Für mich waren die USA eine unheimliche Befreiung. Die Aufbruchstimmung, der Wille, etwas zu verändern, an Dinge zu glauben, auch wenn sie einem alle ausreden wollen. Hilary Hahn sagt auch: just do it. Ich will voranschreiten und mir immer neue Herausforderungen suchen, daran hat mich in den USA – anders als in Deutschland – niemand gehindert.
Eine Zusammenarbeit mit umgekehrten Vorzeichen: Wenn die Alte auf die Neue Welt trifft, dann repräsentiert sie zumeist die Hochkultur. Im Falle von „Silfra“ war es umgekehrt.
Alt und neu ist für mich schwierig zu unterscheiden. Bei unserem Projekt sind beide Merkmale zusammengekommen, wir haben etwas Neues gemacht, mit alten Komponenten.
Gab es in Ihrer Zusammenarbeit typische Rollenverteilungen?
Natürlich bleiben Rollenmuster des Alltags auch nicht vor der Tür eines Aufnahmestudios. Ich will das gar nicht auf eine geschlechterspezifische Bedeutung reduzieren. Mir hat an der Zusammenarbeit mit Hilary Hahn imponiert, dass es überhaupt keine Bestrebungen gab, Rangordnungen herzustellen. Sie hat durchaus Argumente vorgebracht, die eine solche Ordnung hätten plausibel erscheinen lassen.
Rangordnung ist im Kern jeder Beziehung.
Es hat damit zu tun, dass man sich sowohl die schlechten als auch die guten Seiten anschaut und den Schmerz aushält, der damit verbunden ist. Als Musiker hatten wir keine Angst vor diesen Spannungen. Unsere erste Unterhaltung erzeugte Zündstoff für Weiteres.
Weil Sie gefeierte Künstler jenseits dieses Projekts sind?
Ja, wir sind über die Musik gereift. Mit 18 hätte ich so eine Kollaboration noch nicht geschafft. Der beim Reisen entstandene Erfahrungsschatz hat mir geholfen. Dadurch bin ich offener geworden. In Deutschland werden die Künstler gerne klein gehalten. Die einzige Möglichkeit ist, über den Umweg des Auslands, nach draußen zu gehen und verändert wieder zurückzukommen. Das, finde ich, ist ein Qualitätsmerkmal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!