Kommentar Nato in Afghanistan: Operation Eigensicherung
Die Nato-Truppen schützen in Afghanistan weniger die Bevölkerung als sich selbst. Das ist nicht nur moralisch ein Problem – sondern auch strategisch.
D ie neuen Sicherheitsmaßnahmen für das US-Militär nach der Welle sogenannter Grün-auf-Blau-Angriffe (also afghanischer Soldaten und Polizisten, die Nato-„Verbündete“ töten) zeigen, wie weit sich der Einsatz in Afghanistan von seinen ursprünglichen Zielen entfernt hat. Anstatt die dortige Zivilbevölkerung vor den Aufständischen und den korrupten und oft bewaffneten Selbstbedienern in der Zentralregierung und den Provinzen zu schützen, hat längst Eigensicherung Priorität gewonnen.
Das Nato-Motto lautet: Nur keine eigenen Opfer mehr bis zum Teilabzug Ende 2014. Längst werden die Streitkräfte des Verbündeten wie Feinde behandelt, denen man nur gepanzert und gewappnet entgegentreten kann.
Nicht nur moralisch sind die neuen Maßnahmen problematisch, sondern auch strategisch. Der westliche Afghanistan-Ansatz beruht ja maßgeblich darauf, bis Ende 2014 zwar die meisten der derzeit 140.000 Soldaten abzuziehen, aber wohl Zehntausende zu Trainern der Afghanen umzuwidmen.
ist Ko-Direktor des unabhängigen Thinktanks Afghanistan Analysts Network (Kabul/Berlin).
Wenn die Trainer aber jederzeit damit rechnen müssen, dass einer ihrer einheimischen Waffenbrüder seine MP auf ihn richtet, wird es bald keine Anwärter für diese Jobs mehr geben. Befehl hin, Befehl her. Nicht zuletzt zwei Grün-auf-Blau-Fälle zum Jahreswechsel, bei denen sechs Franzosen starben, trugen dazu bei, dass die neue sozialistische Regierung in Paris ihre Truppen vorzeitig abzieht.
Ein Ausweg wäre, die Afghanen selbst für ihre Sicherheit sorgen zu lassen. Das würde eigene Opfer vermeiden. Aber angesichts der politisch fraktionierten, ethnisch unausgewogenen und damit konfliktgeladenen afghanischen Polizei und Armee würde die Zivilbevölkerung die Zeche zahlen – mit Opfern, die hierzulande kaum jemand mehr registriert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader