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Sven-Regener-Verfilmung in der ARDAls Herr Lehmann schießen lernte

Bremen, die Bundeswehr und die Linke in den 80ern: Die Sven-Regener-Verfilmung "Neue Vahr Süd" (20.15 Uhr, ARD) ist eine gelungene Nostalgiereise für Westdeutsche.

Wird in der WG mit Spott und Unmut registriert: Frank Lehmann (Frederick Lau) in Bundeswehruniform. Bild: ard

Hallo. Hallo, ihr da. Ja, ihr da, ihr Westdeutschen. Vermisst ihr nichts? Ich meine, wir Ostdeutschen haben die DDR und die Westberliner haben immerhin noch das alte Westberlin. Aber was ist eigentlich mit euch?

Ich hab mir da nämlich diesen Film angeschaut - "Neue Vahr Süd" (Regie: Hermine Huntgeburth, Drehbuch: Christian Zübert). Das ist die Umsetzung von diesem Sven-Regener-Roman über Bremen, die Bundeswehr und die Linke in den 80ern. Und da habe ich so ein leises Ziehen im Herzen gespürt, das ich sonst nur spüre, wenn ich das rostgesprenkelte helle Blau sehe, mit dem in der DDR so viele Zäune gestrichen waren oder wenn mir der Kohlegeruch von damals aus dem Dorf heute in die Nase steigt. Das war Heimweh, würde ich sagen, Heimweh nach einem Land, das ich gar nicht kenne. Und da habe ich mich gefragt, wie es euch da eigentlich geht.

Es war doch nicht alles schlecht damals in der BRD. Im Film sieht es jedenfalls ganz danach aus. Da ist dieser Frank Lehmann, der zur Bundeswehr muss, weil er vergessen hat zu verweigern, und der fühlt sich überhaupt nicht wohl bei dem Laden. Aber der muss nicht in die triste Einöde von Kundus, sondern nur in die von Niedersachsen. An den Wochenenden darf er sogar nach Hause und als Sohn eines NVA-Offiziers weiß ich, da mussten die Jungs von der Gegenseite in der Kaserne hocken. Und es gibt da einen DDR-Fan im Film, der sagt, das sei rechte Propaganda, und Lehmann fertigt den ziemlich cool ab, weil er ihm auf den Sack geht, und diese Szene ist so bravourös gespielt wie alles in diesem Film.

Und was für ein Typ dieser Lehmann ist, der hat Speditionskaufmann gelernt und will das eigentlich gar nicht machen. Aber man hat keine Sorgen um den, weil man - ohne dass es gesagt wird - einfach weiß, wenn der will, dann studiert der einfach noch mal. Von dieser Angst heute, den Bachelor nicht auf Anhieb zu schaffen und damit gleich das ganze Leben in den Sand zu setzen, ist rein gar nichts zu merken. Irgendwie befreiend.

Aufgewachsen ist der Lehmann übrigens in einer Platte, und das würde heute ja Gosse bedeuten, aber da ist es einfach ganz normal, was übrigens für mich, der ich aus einer Ostplatte komme, auch mal ganz schön ist. Was ist so falsch an dem Gedanken, Leute unterschiedlicher Schichten könnten Tür an Tür wohnen, ohne sich gegenseitig anzuekeln? Hat eine ganze Weile doch ganz gut funktioniert, ob nun in Halle-Neustadt oder München-Neuperlach. Da hat der ganze Elite-Altbau-Dünkel einfach mal Zwangspause.

Tja, und da spielt dieser Frederick Lau auch so überzeugend den Mann ohne die große Antwort. Um ihn herum, da glauben sie die zu haben, die Offiziere (laut sein), die Kommunisten (Revolution) und die Punks (Alkohol). Aber Lehmann mit seinem leisen Lächeln, rau und zugleich verletzlich, ein halber Prolet, dem dennoch das Denken zugestanden wird, der seine Fragen stellt und damit ziemlich vielen Leuten arg auf den Wecker geht: der verkörpert das, was ich mir als das Beste an diesem Staat vorstelle - jemanden, der sich noch nicht so sicher war, ob er unbedingt seine Rolle spielen muss in der Welt. Nichts dagegen, dass heute alle wieder Schwarz-Rot-Gold lieben, aber zu Lehmanns Zeiten scheint das auch keinem gefehlt zu haben.

Wie eine Schneekugel aus Kindertagen, die man unter altem Krimskrams gefunden hat, ist dieser Film. Man hebt sie auf, schüttelt sie und schaut hinein und sieht das, was verloren wurde, und erschrickt ein bisschen.

Eventuell idealisiere ich das Ganze auch zu sehr, kann schon mal passieren. Als Ossi glaube ich halt, auch ihr hättet ab und an diese melancholischen Momente. Aber schaut mal diesen Film, der auch einfach als Film großartig ist - mit seiner tollen Musik, den immer stimmigen Kameraeinstellungen und diesem lustigen kleinen gelben Auto, das der Lehmann fährt. Und dann vermisst ihr ja vielleicht doch was. So ein ganz kleines bisschen.

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10 Kommentare

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  • WD
    Wat'n dit für'n Döner?

    Gab's denn 1980 Döner in Bremen? Und Sweatshirts mit der Henry Rollins Sonne von 1989?

    Überhaupt nicht rüber kam, wie fett die Geburts-Krawalle der autonomen Bewegung gegen die Rekrutenvereidigung waren...

    Wahrscheinlich war das Drehteam einfach zu jung!

  • K
    kotelette

    habe mich sehr auf den film gefreut, nachdem ich das buch geradezu verschlungen habe.

     

    ich fand ihn enttäuschend, weil echt viel fehlt hat. wieso keinen 2-teiler machen aus dem stoff. dann wirkt das nicht so gehetzt und teilweise zusammenhangslos.

     

    schade, aber trotzdem handwerklich guter film.

  • BS
    bernd samland

    Na gottseidank hat Herr Ulmen diesmal nicht Herrn Lehmann gespielt. Er hätte mit Sicherheit dem Film den Rest gegeben. Denn die trübe Bremer Vorgeschichte von Herrn Lehmann wird allein durch den Schauspieler Ley gerettet. Und der running gag "Warum hast du nicht verweigert?" ist nun wirklich eine Qual.

    Nein, ich habe 1962 auch nicht verweigert, bin aber durch Auslandsstudienaufenhalte bewahrt worden. Verdamp lang her.

  • J
    J.Plewka

    Lieber Daniel Schulz,

     

    habe heute ausnahmsweise die taz erst nach dem "Fernsehabend" gelesen und freute mich, als ich in der taz auf eine Kritik des Films stieß, den ich grad gesehen hatte.

    Noch größer die Freude, als ich in der Kritik auf just jene Gefühle stieß, die mich - einen Wessi - während des Films begleiteten.

    Herzlichen Dank für ihre klugen Anmerkungen, die mich den Film noch ein bisschen mehr haben mögen lassen.

     

    J.PLewka

  • NA
    Nicht alles glauben

    z.b. mußte man damals nicht den Fahrschein beim Einsteigen zeigen, Hörbuch ist genauso 80er wie 80er Jahre Disco ohne Dead Kennedys und Gropiusstadt rockt eh alles in den Boden. BETON nich PLATTE!

  • JR
    Jan Reyberg

    In der Tat ein wahsinnig gutes Buch; habe das Höhrbuch schon mindestens 20 mal gehört, in den letzten 3 Jahren. Ich frage mich, ob man das filmisch überhaupt unmsetzen kann, wo doch ein Großteil des Inhaltes aus den Gedankengängen Franks besteht.

     

    Danke übrigens für den Hinweis auf das altbundesrepublikanische. Das wollten mir bekannte nie glauben, dass sich dieses Gefühl einstellt, wenn man das Buch hört...

  • E
    EnzoAduro

    Lau ist ein super schauspieler für verlegene Charakter

     

    Auch bei ulmens neuer online serie Snobs

     

    http://www.3min.de/video/serien/die-snobs/4/153

  • H
    Hubert

    "Als Ossi glaube ich halt, auch ihr hättet ab und an diese melancholischen Momente"

     

    Klar haben wir Wessis diese Momente. Hör dir mal Lieder wie "80er Jahre" oder "Familie Gold" von Reinald Grebe an.

  • D
    Daniel

    Lieber Namensvetter,

     

    es ist wie Du's schreibst, auch wir Wessis haben Momente, in denen wir uns an die 80er zurück erinnern und uns ein Gefühl von Behaglichkeit und vielleicht sogar Sehnsucht befällt. Genau aus dem Grund habe ich als Westberliner, der aber auch ein paar Jahre im "echten" Wessiland verbracht hat, schon den Film "Herr Lehmann" bestimmt sechs bis sieben Mal "verschlungen", dies gemeinsam mit Freunden, denen es genauso geht. Mann, wenn ich zurück denke, allein die Telefone waren ja schon genial! Vor allem die ersten bei denen es nicht nur Tasten gab, nein, die befanden sich sogar schon im Hörer (nannte sich "Dallas"-Telefon und musste damals ja noch von der Deutschen Telekom sein, anderes war ja nicht zugelassen). Ach ja, in diesen Momenten verstehe ich auch die Ostalgiker! Da gehts nicht um Sehnsucht nach der DDR, sondern um Sehnsucht nach dem "Ich fühl mich heimisch"-Effekt der Vergangenheit.

  • H
    Hagen

    Schade, dass Herr Lehmann nicht wieder von Christian Ulmen gespielt wird.