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Ditfurth über Meinhof"Faszinierendes Ausmaß an Mythen"

Jutta Ditfurth hat ein Buch über Ulrike Meinhof geschrieben - und festgestellt, dass es viele Legenden gibt, aber wenig brauchbare Forschung. Vor allem Stefan Austs Meinhof-Bild brauche Korrekturen.

Viel diskutiert, aber noch immer rätselhaft: Ulrike Meinhof. Bild: ap

taz: Frau Ditfurth, Sie haben in Ihrem Buch über Ulrike Meinhof heftige Kritik an dem RAF-Biografen Stefan Aust geübt. Warum?

Bild: dpa

JUTTA DITFURTH, 56, ist Sozialwissenschaftlerin und Publizistin. Sie lebt in Frankfurt am Main und ist für die Wählervereinigung ",ÖkoLinX-Antirassistische Liste" im dortigen Stadtparlament. Sie war in den späten 70er-Jahren Mitbegründerin der Grünen. 1991 trat sie, gemeinsam mit anderen linken Grünen, aus der Partei aus. Das Buch "Ulrike Meinhof. Die Biografie" (480 Seiten, 22,90 Euro) erschien kürzlich im Berliner Ullstein-Verlag.

Jutta Ditfurth: Aust hat kaum etwas nachrecherchiert, was über die interessengeleiteten Legenden von Meinhofs Ex-Ehemann Klaus Rainer Röhl, ihrer ehemaligen Pflegemutter Renate Riemeck und dem Bundeskriminalamt hinausgeht, also kein kritischer Umgang mit Zeitzeugen, keine Recherche in den Primärquellen. So wird zum Beispiel in Austs Darstellung im "Baader- Meinhof-Komplex" aus Ulrike Meinhofs Vater, einem Nazi, der an der Kampagne "Entartete Kunst" beteiligt war, plötzlich ein christlicher Widerständler.

Ein übliches Bild zeichnet Meinhof als tollpatschige Frau, die bei der Baader-Befreiung 1970 nur versehentlich in den Untergrund stolperte

Das ist ein Beispiel für so eine Legende. Die Wahrheit ist, sie hatte den Weg in den Untergrund längst eingeplant. Es gibt in Austs Darstellungen eine Kette von Fehlern, darunter den, dass Meinhof sich kurz vor ihrem Tod von der RAF habe trennen wollen und dass sie das ausgerechnet dem Stammheimer Gericht angedeutet habe. Aber ihre Äußerungen und Handlungen belegen, dass sie sich bis zu ihrem Tod nicht von der RAF distanziert hat. Im Gegenteil, sie hat eine neue Kampagne für die RAF vorbereitet. Hätte sie aussteigen wollen, hätte sie nur bestimmten Menschen einen winzigen Fingerzeig zu geben brauchen. Dass sie das nicht getan hat, muss man zur Kenntnis nehmen.

Sie sagen, Aust habe einen Mythos Ulrike Meinhof aufgebaut. Sie aber schaffen in Ihrem Buch einen neuen, indem Sie infrage stellen, ob Meinhof sich 1976 wirklich selbst tötete - oder umgebracht wurde.

Nein, das tue ich nicht. Ich weiß es einfach nicht. Es ist schlimm genug, falls es nach vier Jahren inhumaner Haftbedingungen Selbstmord war. Das Ausmaß der Verschleierungen gleich nach ihrem Tod hat mich überrascht. Die Leiche wird sofort weggeschafft, alle Spuren in der Zelle zertrampelt, kein Arzt des Vertrauens der Anwälte oder von Ulrikes Schwester darf bei der Obduktion dabei sein. Man macht eine Obduktion nicht heimlich an einem unbekannten Ort. Man hinterlässt eine Leiche nicht in einem solchen Zustand, dass der Zweit-Obduzent Professor Jansen nur noch sagen kann, dass zu viel Zeit vergangen ist, um alle notwendigen Untersuchungen zu machen, und dass die Leiche in einem Zustand war, dass er die Kaiserschnittnarbe nicht mehr fand. Außerdem habe ich im Archiv ein Foto der erhängten Ulrike Meinhof gefunden. Es zeigt, dass unter der am Fenstergitter hängenden Leiche ein Stuhl steht und darauf ihr linker Fuß. Kann ein Mensch, der nur noch 46 Kilogramm wiegt, sich so erhängen? Ich bin vorsichtig in der Bewertung dieses Fotos, aber es bleibt sonderbar.

Vielleicht ist der Stuhl später hingestellt worden?

Die Justiz behauptet, das war die Auffindungssituation.

Meinen Sie, dass in den letzten Monaten zwischen Baader & Ensslin & Meinhof Friede, Freude, Eierkuchen in Stammheim herrschte?

Es gab auch knallharte Auseinandersetzungen. Es wäre weltfremd zu glauben, dass vier Gefangene unter diesen Extremstbedingungen keine aggressiven Auseinandersetzungen haben. Manche Paare schaffen das nicht mal in einem 14-tägigen Urlaub. Es gibt Briefe von Gudrun Ensslin und von Ulrike Meinhof, lange vor Meinhofs Tod, in denen beide ihren Streit reflektieren und auf ihre Haftbedingungen zurückführen. Eine Ursache für einen Selbstmord gibt der Streit nicht her.

Meinhof erscheint in Ihrem Buch als vorbildliche Mutter. Hat sie nicht mit ihren beiden Kindern dasselbe getan, was ihr bei ihrer Mutter und auch bei Riemeck widerfahren ist: viele Umzüge, ständig wechselnde Bezugspersonen?

Wie kommen Sie auf diese Darstellung? Ulrike Meinhof war die wichtigste Bezugsperson ihrer Kinder von der Geburt 1962 bis zur Befreiung von Andreas Baader 1970. Sie hat, um auch tagsüber bei ihren Kindern zu sein, auf eine Festanstellung bei einem Rundfunksender verzichtet. Sie ist einmal in Hamburg mit ihnen umgezogen und dann nach Westberlin. Na und? Ein bis zwei Mal im Jahr waren die Kinder bei den Pflegegroßeltern zu Besuch. Das hält noch nicht mal die CDU für Kindesvernachlässigung. In Berlin hat sie durchgehend mit ihnen zusammengewohnt und vergeblich versucht, andere Erwachsene mit Kindern für ein gemeinsames Wohnprojekt zu finden. Woher nehmen Sie also dieses Bild? Bevor Meinhof in den Untergrund ging, wohin sie ihre Kinder kaum mitnehmen konnte, hatte sie bestimmt, dass die Kinder künftig, bis sie wieder bei ihnen sein konnte, bei ihrer Schwester Wienke und deren Familie leben sollten. Ein Gericht hat das im Sommer 1970 sogar als Lösung akzeptiert, genau wissend, dass die Mutter im Untergrund war. Kurz vor der letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung hat Stefan Aust die Kinder aus Sizilien entführt und dem Vater übergeben. Das war aus sehr guten Gründen der letzte Ort, an dem Ulrike ihre Kinder wissen wollen.

Was hat Sie an Meinhof so fasziniert?

Ich fand Mitte der 1990er-Jahre, dass endlich ihre Biografie geschrieben werden musste, und vermittelte einen Autor an einen Verlag. Das scheiterte, also musste ich selbst ran. Faszinierend war das Ausmaß an Mythen und Legenden, die 30 Jahre unüberprüft überlebt hatten. Es gab praktisch keine Forschung, auf die ich mich hätte stützen können. Da war vorwiegend Ideologieproduktion. Auch die Sekundärliteratur war bezüglich Ulrike Meinhof extrem problematisch. Ich musste bei null anfangen, erst Forscherin sein, dann Autorin. Deshalb hat es sechs Jahre lang gedauert. Mein Ursprungsmanuskript hat mehr als 6.000 Quellenangaben, die sind aus komplizierten rechtlichen Gründen leider nicht im Buch enthalten.

Hat Sie Ulrike Meinhofs Radikalität beeindruckt?

Nein, darum geht es auch nicht. Ich komme aus der undogmatischen Linken der 1970er-Jahre, die harte Kritik an der RAF hatte. Ich finde auch, dass ich mich mit Bewertungen sehr zurückhalte und nur versuche einem Menschen gerecht zu werden. Mich interessierte, dass ihr Leben höchst interessante Spannen deutscher Zeitgeschichte umfasst, sie ist Kriegskind, rebellische Jugendliche in den späten 1940ern, ist bisexuell, Atomwaffengegnerin in den 1950ern und 1958 einziges weibliches SDS-Mitglied in Münster zu einem Zeitpunkt, als die späteren APO-Aktivisten oft noch zur Schule gehen. Sie gehört zu einer Generation, die bisher im Schatten der 1968er gestanden hat und zugleich ist sie, fast vergessen, eine wichtige Vorläuferin der APO.

Ihr Buch ist passagenweise geschichtslastig und belehrend. Wer sind die Adressaten?

Belehrend? Schade, dass Sie das so sehen. Hätte ich Ulrike Meinhof aus der Zeitgeschichte heraustrennen sollen? Das Buch ist vor allem für Menschen geschrieben, denen die Jahre von 1934 bis 1976 nicht automatisch geläufig sind. In den Lesungen wird meistens noch mehr Zeitgeschichtliches nachgefragt, so falsch kann ich also nicht liegen. Die Säle sind voll und die Leute hochinteressiert. Das Buch hat Beine gekriegt und läuft allein weiter, ein schönes Gefühl.

INTERVIEW: HEIDE PLATEN

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