Wikileaks-Enthüllungen: Peinlich berührt
Mehr als 250.000 Dokumente von US-Diplomaten veröffentlicht Wikileaks. Sie zeichnen arabische Politiker als feige. Doch in arabischen Medien ist darüber nichts zu erfahren.
KAIRO taz | In der arabischen Welt ziehen die von Wikileaks veröffentlichten diplomatischen US-Depeschen den Präsidenten, Königen, Emiren und Revolutionsführern regelrecht die Hosen runter. Die Dokumente geben ihnen nicht nur Blöße, was die amerikanische Einschätzung ihrer vorhandenen oder nicht vorhandenen Fähigkeiten angeht - hier geht es um die große Politik und schwelende Konflikte, die auch in Kriegen enden können.
Das gilt besonders für das tiefe Misstrauen arabischer Führer gegen den Iran. Der ist nicht nur eine benachbarte Regionalmacht, sondern über die Hisbollah im Libanon, die Hamas in den palästinensischen Gebieten und die besonderen Beziehungen zu Syrien eine feste Größe in der arabischen Politik. So hat es eine besondere Brisanz, wenn etwa der saudische Botschafter in Washington König Abdallah mit der Forderung zitiert: "Schneidet der iranischen Schlange den Kopf ab." Oder wenn der ägyptische Präsident Husni Mubarak die Iraner als "große fette Lügner" bezeichnet und den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad als einen Mann, "der nicht rational denken kann" und der "immer wieder Ärger macht". Oder wenn der Kronprinz von Abu Dhabi, Mohammed bin Zayed, den USA vorschlägt, "Bodentruppen zu schicken, wenn ein Luftangriff nicht ausreicht, um die iranischen Nuklearziele auszuschalten".
So zeichnen die diplomatischen Dossiers ein Porträt arabischer Führer, die zu feige sind, ihre Ansichten öffentlich auszusprechen, und die die USA die Drecksarbeit machen lassen wollen.
Aber selbst untereinander dürften die Enthüllungen zu einigen diplomatischen Verwicklungen führen, wenn Mubarak den irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki als "iranischen Agenten" bezeichnet, "dem man nicht trauen kann".
Interessant ist auch der Gehorsam der arabischen Regime gegenüber den USA - trotz gegenteiliger öffentlicher antiamerikanischer Rhetorik.
Wenn etwa der jemenitische Präsident Ali Abdullah Salah mit dem US-General David Petraeus über die geheimen Einsätze des US-Militärs gegen al-Qaida im Jemen spricht und sagt: "Wir behaupten einfach, wir Jemeniten hätten sie bombardiert". Worauf sein Vizeregierungschef süffisant hinzufügt: "Der Präsident hat dazu auch gerade das Parlament angelogen."
Natürlich gibt es auch einige eher unterhaltsame Enthüllungen, etwa über den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi oder den Jemeniten Abdullah Saleh, der Präsident eines der konservativsten islamischen Länder überhaupt ist und bei einem Gespräch mit US-General David Petraeus über das Problem des Schmuggels aus Dschibuti sagt, sein Problem seien der Drogen- und der Waffenschmuggel, nicht der Whiskey, "solange er guter Qualität ist".
Über all das ist in den arabischen Medien nichts zu lesen. Dabei hatten sie in den letzten Tagen in der Erwartung, Wikileaks würde wieder einmal die USA vorführen, die Enthüllungen angekündigt. Nun berichteten die arabischen Medien über wenig charmante Bemerkungen über europäische Politiker, aber nicht über die Auslassungen über arabische Politiker.
Selbst die großen "unabhängigen" Fernsehstationen hielten sich zurück, schließlich wird al-Dschasira vom Emir von Katar finanziert und al-Arabia von den Saudis. Beide würden am liebsten die Geschichte ganz verschweigen.
Einzige Ausnahme: die in London erscheinende überregionale Tageszeitung al-Quds-al-Arabi, die zu den arabischen Machthabern schreibt: "Irgendwann werden sie kapieren, dass es gefährlich für die arabischen Länder ist, dem amerikanischen Projekt in der Region blind im Geheimen zu folgen und zu glauben, dass das nicht irgendwann herauskommt."
Anders als die offiziellen Medien ist der Kurznachrichtendienst Twitter in der arabischen Welt nach den ersten Enthüllungen regelrecht explodiert, und verschiedene arabische Blogs geben genüsslich alle peinlichen Details ihrer Regime wieder.
Was dieses diplomatische Erdbeben für die zukünftige Politik in der Region bedeutet, ist noch vollkommen unklar. In keinem anderen Teil der Welt klafft die Lücke zwischen öffentlicher Rhetorik und Realpolitik so weit auseinander wie hier.
Die große Frage, die im Raum steht, lautet: Werden die politischen Führer jetzt, wo die privaten Ansichten bekannt sind, sich dazu öffentlich bekennen oder werden sie vor lauter Peinlichkeit noch mehr Rücksicht auf die öffentliche Meinung nehmen?
Auf jeden Fall darf man sich jetzt schon auf die nächsten politischen Treffen freuen, wenn die iranischen und arabischen Führungen in einem Raum zusammensitzen werden.
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