Gesundheitspolitik in den USA: Obamas Gesetz vor Gericht
26 US-Bundesstaaten klagen gegen die Reform, die die Bürger zwingt, eine Krankenversicherung abzuschließen. Dies sei ein unzulässiger Eingriff des Staates.
WASHINGTON taz | Ein Herzstück der Politik von US-Präsident Barack Obama steht ab Montag auf dem Prüfstand: Die neun Richter des Obersten Gerichtshofes sollen befinden, ob das vor zwei Jahren verabschiedete „Gesetz für Patientenschutz und bezahlbare Gesundheitsversorgung“ verfassungskonform ist.
Geklagt haben 26 Bundesstaaten. Ihr Argument: Niemand dürfe im Land der Freien per Gesetz gezwungen werden, sich zu versichern. Mitten im Wahlkampf steht für Obama einiges auf dem Spiel.
Der Widerstand der Kläger richtet sich vor allem gegen den Kern des Gesetzes: Es verpflichtet 30 Millionen US-Amerikaner, bis Januar 2014 eine Krankenversicherung abzuschließen. Andernfalls müssen sie Strafgeld zahlen. Diese Verpflichtung soll unter anderem verhindern, dass US-Bürger erst dann eine Versicherung abschließen, wenn sie krank sind. Die klagenden Bundesstaaten fühlen sich dadurch in ihrer Selbstverantwortung eingeschränkt.
Ein Berufungsgericht im Bundesstaat Georgia hatte 2010 das Gesetz in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt. Begründung: Der Kongress überschreite seine Kompetenzen, wenn er US-Bürger gegen ihren Willen zum Kauf einer Versicherung zwinge, für das sie ihr Leben lang zahlen müssten. Ein Gericht in Florida hatte die ganze Reform für ungültig erklärt.
Berufen auf die Gründerväter
„Das individuelle Mandat ist klar verfassungsfeindlich“, so der Rechtswissenschaftler Stephen Presser von der Northwestern University in Chicago. „Um das zu wissen, muss man nur den 10. Artikel der Verfassung lesen, in dem steht: … die Macht, die nicht der Bundesregierung zusteht, ist den Staaten vorbehalten … und das haben die Gründerväter auch so gemeint.“
Im Rahmen der dreitägigen Anhörung werden die Richter unter anderem erörtern, ob die sogenannte Handelsklausel der Verfassung dem Kongress in Washington das Recht gibt, wirtschaftliche Angelegenheiten zwischen den einzelnen Bundesstaaten zu regeln.
Immerhin mache die Gesundheitsindustrie ein Sechstel der Wirtschaft des gesamten Staates aus, argumentiert Jura-Professor Nathan Cortez von der Southern Methodist University in Dallas. Aus der Handelsklausel lasse sich daher ganz klar das Recht ableiten, die Versicherungspflicht für alle einzuführen. „Es gibt keinen Zweifel, dass die Gesundheitsfürsorge ein nationales Problem ist und kein lokales“, erklärt er.
Im Supreme Court beraten darüber je vier konservative und vier linksliberale Richter. In der Mitte bildet Richter Anthony Kennedy das Zünglein an der Waage – ein Jurist, der dafür bekannt ist, dass er in Wirtschaftsfragen eher konservativ urteilt.
Die Opposition hatte Obama von Anfang an damit gedroht, das Gesetz bei nächster Gelegenheit rückgängig zu machen – spätestens dann, wenn wieder ein Republikaner im Weißen Haus sitzt. „Dabei geht es nicht um die inhaltliche Frage, was denn schlecht daran ist, allen US-Bürgern eine Versicherung zu garantieren“, so ein Gesundheitsberater im Kongress. „Es geht um eine rein parteiliche Fehde.“
Als „Angriff auf die Religionsfreiheit“ bekämpften die Konservativen, angeführt von Kandidatenanwärter der Republikaner für die Präsidentschaftswahl, Rick Santorum, eine Regel der Reform: Danach müssen alle Firmen ihren Angestellten über die betriebliche Krankenversicherung Kosten für Verhütung oder Sterilisation ersetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands