Kommentar Kölner U-Bahn: Alle machen mit, keiner ists gewesen
Der Sumpf beim Kölner U-Bahn-Bau wird immer tiefer. Doch wer denkt, es handelt sich hier um ein rein lokales Problem, der irrt. In Köln ist es nur öffentlich geworden.
D er Bau der Kölner Nord-Süd-Bahn hat sich zu einem Großskandal entwickelt. Immer neue Hiobsbotschaften über nicht eingehaltene städtische Auflagen beim Brunnenbau, manipulierte Protokolle oder geklaute Eisenbügel verunsichern die Menschen in der Domstadt zutiefst. Auch rund ein Jahr nach dem schrecklichen Unglück am Waidmarkt gibt es keine Gewissheit, wie es zum Einsturz des Historischen Stadtarchivs kommen konnte. Nun muss auch noch die Baugrube am Heumarkt geflutet werden.
Kein Wunder, dass das bei den betroffenen Anwohnern neue Ängste auslöst. Sie glauben der Stadt, den Kölner Verkehrs-Betrieben und den beteiligten Bauunternehmen gar nichts mehr - nur zu verständlich, angesichts jener Mischung aus Sorglosigkeit, Dilettantismus und krimineller Energie, die beim Kölner U-Bahn-Bau zutage getreten ist.
Aber wer glaubt, es handele sich bei dem Desaster um ein rein lokales Phänomen, der irrt gewaltig. Fehlende Baukontrolle und Sicherheitsmängel sind nicht allein auf den kölschen Klüngel zurückzuführen. Es ist bloß ein glücklicher Zufall, dass es nicht auch anderswo bei vergleichbaren Bauprojekten bereits zu ähnlichen Katastrophen gekommen ist.
Pascal Beucker ist NRW-Korrespondent der taz.
Immerhin steht fest, dass beispielsweise beim Düsseldorfer U-Bahn-Bau ebenfalls systematisch gepfuscht wurde - was ohne die Geschehnisse in Köln niemandem aufgefallen wäre; zumindest so lange nicht, bis es möglicherweise zu spät gewesen wäre.
Das Beispiel Kölner Nord-Süd-Bahn zeigt, wohin es führt, wenn der Staat seine hoheitlichen Aufgaben nicht mehr ausreichend wahrnimmt: Die Aufsicht über den Bau wurde über mehrere Stufen delegiert, bis sich schließlich der Bauherr selbst beaufsichtigte.
Möglich wurde dies durch die bundesweit geltende "Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen". Sie sieht vor, dass sich die eigentlich zuständige Technische Aufsichtsbehörde "bei der Ausübung der technischen Aufsicht anderer sachkundiger Personen oder Stellen bedienen" kann. Explizit sieht diese Verordnung vor, dass die Aufsicht auch an den Bauherrn selbst delegiert werden kann. Dieser Möglichkeit wurde sich nach dem neoliberalen Prinzip der "Entstaatlichung" allerorten bedient.
Es ist höchste Zeit, dass der Gesetzgeber die Konsequenzen aus den Kölner Vorgängen zieht und das von ihm verantwortete System der Unverantwortlichkeit beendet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?