ProSiebenSat1-Konzern in der Krise: Die Richtung heißt Chick-Lit
Um der Krise des TV-Konzerns Einhalt zu gebieten, soll Pro Sieben weiblicher werden und Sat.1 noch mehr Romantic Comedy drehen. Die Betriebsräte fürchten Stellenabbau.
Der Aktientipp heute vor einer Woche war ungewöhnlich: Die ProSiebenSat1 Media AG sollte ihre Dividende senken, riet ein Analyst der Deutschen Bank und senkte das Kursziel von 10 auf 4 Euro. Die Aktie folgte der Empfehlung und verlor kräftig. Mit zeitweise weniger als viereinhalb Euro bewegte sich ihr Wert nahe am historischen Tiefpunkt - für mehr als das Sechsfache, 28,71 Euro pro Aktie, hatten im Dezember 2006 die aktuellen Eigentümer die Sendergruppe P7S1 gekauft, zum Wochenschluss notierte die Aktie bei 5,10 Euro.
Das Problem ist nicht ganz neu, doch es wird immer bedrohlicher: Schließlich handelt es sich bei den Eigentümern um Finanzinvestoren, die eigentlich das Ziel verfolgen, kurzfristig Gewinne zu erzielen. Und P7S1 (Pro Sieben, Sat.1, Kabel 1, N 24, 9 live) hat Probleme, weil die Investoren ihr Schulden aufluden und eben durch die hohe Dividende Geld entziehen. P7S1 habe "einen riesigen Schuldenberg" und trotzdem ein "erneutes, millionenschweres Sparprogramm" angekündigt, "bei gleichzeitiger Ausschüttung einer hohen Dividende an die Aktionäre", beschrieb Anfang Juli ein offener Brief der Betriebsräte den Teufelskreis. Kein Wunder, dass Anrufe in der Konzernzentrale immer in der Pressestelle landen, die verhindern möchte, dass solche Aussagen in Stimmungsbilder eingeordnet werden.
Die Betriebsräte wollen sich auch nicht namentlich äußern, jetzt, wo so viele auf das Unternehmen "einhämmern". Sie wollten mit dem offenen Brief ein Zeichen setzen - auch dagegen, dass sich die internationalen Vorstandsmitglieder gar nicht an den Betriebsstellen, wo sie Stellen streichen, blicken lassen. Kleiner Erfolg: Am Mittwochnachmittag vergangener Woche traf sich der Konzernvorstand inklusive seines (demnächst scheidenden) Chefs Guillaume de Posch in Berlin mit dem Betriebsrat. Man will nun regelmäßig sprechen.
So angespannt es hinter den Kulissen zugeht, so vergnügt wird derweil davor entertaint: Denn anders als andere Finanzinvestoren-besessene Medienhäuser investiert P7S1 auch. Gerade wird die nächste Fernsehsaison ab Herbst präsentiert, die Ankündigungen klingen nicht unimposant: Trotz der Krise deutscher Serien kündigte Sat.1 gleich drei neue an, "Plötzlich Papa" heißt eine. Jeanette Biedermann wird Protagonistin der neuen Telenovela, die an "Verliebt in Berlin" anknüpfen soll, bei der "Impro-Comedy" "Schillerstraße" mischt künftig Filmschauspieler Jürgen Vogel - auch nicht gerade ein billiges Kaliber. Und: In der teuren Programmgattung Fernsehfilm sollen aus 20 jährlichen Sat.1-Movies 30 im Jahr werden.
Pro Sieben hält sich dagegen mit Auskünften bedeckt, ob die Anfang des Jahres gegebene Auskunft, für eigene Filme und Serien "unterm Strich mehr" auszugeben, noch Bestand hat. Immerhin wurde letzten Mittwoch "Der Bibelcode" vorgestellt, ein zweiteiliges "Mystery-Event-Movie" mit Cosma Shiva Hagen.
Die Formatierung nimmt bei beiden Hauptsendern der Gruppe zu. Sat.1 setzt auf "Familien-, Frauenpower-, Switch-, Fantastische- und Fish-out-of-Water-Komödien". Pro Sieben strebt dagegen in eine "komödiantische Chick-Lit-Richtung". Was das ist, erläutert der Sender so: Es gehe "um weibliche Protagonistinnen, die innerhalb einer Corporate World harten Behauptungskämpfen ausgesetzt sind (…) und sich menschlich neu finden müssen." - Schönes Beispiel dürfte die jüngst abgedrehte Komödie "Runtergeputzt" sein: Um Beweise gegen ihre ungerechtfertigte Kündigung zu finden, heuert eine Anwältin bei einer Putzkolonne an.
"Runtergeputzt" zeigt aber noch eine ganz andere Konzernstrategie: Die Oberputzfrau spielt Katy Karrenbauer, deren Tochter Gina Lisa Lohfink - Kandidatin aus der jüngsten "Germanys Next Topmodel"-Staffel - auf dem Sprung zur B-Prominenz derzeit dienstags ihren Kolleginnen Gülcan Kamps und Collien Fernandes auf dem Lande Gesellschaft leistete ("Gülcan und Collien ziehen aufs Land"). Eine Zusammenfassung ihres "Runtergeputzt"-Drehtags, an dem sich dummerweise Gina-Lisas Haare in einem Handventilator verfingen, war bereits (und ist natürlich noch) in Folge 18 ihrer "Gina-Lisas Welt" auf prosieben.de zu sehen.
Das "GNTM"-generierte Sendergesicht verkörpert, so wie es durch alle Programmsparten geschleust wird, die aktuelle Konzernstrategie wahrscheinlich noch am besten.
Im offenen Brief nannten die Betriebsräte den geplanten Abbau von weiteren 155 Stellen einen "Erosionsprozess, in dessen Schlepptau Man-Power, Know-how, Identifikation und Leistungsbereitschaft dauerhaft ausgehöhlt werden". Ein Konzernsprecher beruhigte: Die Sparpläne würden eher durch "vermehrte Ausstrahlung von Wiederholungen" erreicht. Gerade das alarmierte die Deutsche Bank, die eigentlich nichts gegen Personalabbau hat: Wenn TV-Konkurrent RTL "beim Programm etwas anziehen" würde, würde das die Lage für P7S1 verschlimmern, analysierte sie.
Einen Ausweg könnte das Publikum bieten, zumindest der Teil, bei dem die Quote gemessen wird: Am neu durchprogrammierten, lustig gemeinten Dienstagabend erweist sich "Elton vs. Simon", eine aus Kanada importierte und in dritter (!) Auflage sichtlich preiswert produzierte Show, mit 15,3 Prozent Marktanteil als Erfolg. Die im Anschluss laufende Qualitätsserie "Dr. Psycho" erreicht keine 10 Prozent. Wenn die werberelevante Zielgruppe also blöden und billigen Formaten den Vorrang gibt, könnte das Konzept der Investoren, Erosion und Investition zu verbinden, glatt aufgehen.
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