Neuer Eurogruppenchef Dijsselbloem: Ganz auf deutscher Linie
Der niederländische Politiker Jeroen Dijsselbloem wird neuer Chef der Eurogruppe. Als Politiker kaum bekannt, ist er erst seit Kurzem Finanzminister in Den Haag.
BRÜSSEL taz | Der wortgewaltige Mister Euro geht, ein blasser Nobody kommt: Die Eurogruppe, das Führungsgremium der 17 Euroländer, hat sich am gestrigen Montag von ihrem Chef Jean-Claude Juncker verabschiedet. Künftig soll die Währungsunion von dem neuen niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem geleitet werden. Dijsselbloem war erst im Herbst zum Finanzminister ernannt worden und ist selbst für die meisten Holländer ein unbeschriebenes Blatt.
Sein Abschied sei mit ein „bisschen Wehmut“ verbunden, aber im Vordergrund stehe „vor allem Erleichterung“, sagte Juncker. Insgesamt acht Jahre hatte er den exklusiven Euroclub geführt, am Ende empfand er den Job nur noch als Last. Vor allem das Gezerre um die Griechenland-Rettung und die deutsche Besserwisserei sei ihm auf die Nerven gegangen, ließ Juncker in seiner Abschiedsrede vor dem Europaparlament durchblicken.
Deutschland hatte sich lange gegen die Bildung der Eurogruppe gewehrt. Ursprünglich war sie eine französische Idee. Doch während der Eurokrise übernahm Finanzminister Wolfgang Schäuble, gemeinsam mit Niederländern und Finnen, mehr und mehr die Führung. Immer wieder trafen sich die Kassenchefs der drei „AAA“-Länder mit der höchsten Wertschätzung der Ratingagenturen, um ihre Haltung abzustimmen und Vorstöße der Südländer abzuwehren.
Auf einen deutschen Vorschlag geht denn auch die Wahl des Niederländers Dijsselbloem zurück. Ursprünglich wollte Schäuble selbst Eurogruppenchef werden, doch er scheiterte am Veto Frankreichs. Auch ein Duo mit dem französischen Finanzminister Pierre Moscovici kam nicht zustande. Der sträubte sich zwar zunächst auch gegen den 46-jährigen Dijsselbloem, gab jedoch schließlich seinen Widerstand auf.
Ein engagierter Bildungspolitiker
Wie so oft hat sich die EU auch diesmal für einen politischen Nobody entschieden. Die Niederländer kennen Dijsselbloem vor allem als Linksaußen seiner Partei – und als engagierten Bildungspolitiker. Mit Finanzpolitik befasst sich der studierte Agrarökonom erst seit einigen Wochen. Zunächst dürfte er vor allem mit seinem eigenen Land beschäftigt sein. Denn die Niederlande stecken mitten in einer schweren Immobilienkrise. Die Wirtschaft schrumpft, das Defizit droht über die in der EU erlaubten 3 Prozent der Wirtschaftsleistung zu klettern.
Wenn die Krise anhält, könnten die Niederlande ihr begehrtes „AAA“-Rating verlieren. Streng genommen müsste Dijsselbloem sein neues Amt dann sofort wieder aufgeben. Denn Berlin hatte für die Juncker-Nachfolge zur Bedingung gemacht, einen Kandidaten aus einem „AAA“-Land zu nehmen. Doch erstaunlicherweise blenden Schäuble und seine Amtskollegen in der Eurogruppe die schwierige Lage der Niederlande aus. Gestern wurde der Neue erst mal gefeiert.
Künftig werde es weniger um Krisenmanagement und mehr um Wachstum gehen, kündigte Dijsselbloem in einem Brief an seine Amtskollegen an. Verbal ging er damit auf Frankreich und die anderen Südländer zu. Allerdings soll das Wachstum nicht mit neuen Ausgaben, sondern vor allem durch Strukturreformen erreicht werden – und da liegt Dijsselbloem wieder ganz auf der deutschen Linie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern