Leiharbeiter im Dauereinsatz: Vier Jahre vorübergehend angestellt
Sandra Kersten arbeitet seit vier Jahren als Leiharbeiterin in einer Privatklinik und bekommt 250 Euro weniger als Festangestellte. Das ist kein Einzelfall.
BERLIN taz | Sandra Kersten streitet um das Wort „vorübergehend“: Seit vier Jahren arbeitet die 35-jährige Krankenschwester auf der gleichen Position in der privaten Asklepios-Klinik in der Stadt Brandenburg. Seit vier Jahren erhält sie als Leiharbeiterin rund 250 Euro netto monatlich weniger als ihre Kollegen. Bei einer 40-Stunden-Woche und 1.600 Euro netto, die Kersten bekommt, ein erklecklicher Betrag.
„Ich besetze hier dauerhaft eine Stelle. Daher will ich auch wie eine Stammbeschäftigte behandelt werden“, sagt Kersten. Um ihren Anspruch einzuklagen, ist sie gegen den Klinikkonzern und seine Verleihfirma Gfb Medi vor Gericht gezogen.
Leiharbeiter im Dauereinsatz – dieses Problem treibt die Gewerkschaften seit einigen Jahren um. Ursprünglich durften die Arbeitskräfte maximal drei Monate beschäftigt werden. Schwarz-Gelb dehnte diese diese Grenze mehrfach aus – bis sie Rot-Grün 2003 ganz kippte.
Seitdem würden vor allem in exportorientierten Branchen Leiharbeiter „strategisch als Instrument der Ungewissheitskontrolle“ eingesetzt, sagen die Soziologen Hajo Holst, Oliver Nachtwey und Klaus Dörre: Um auf Kapazitätsschwankungen auf den Absatzmärkten zu reagieren, werden Leiharbeiter dauerhaft eingeplant. Läuft es schlecht, wirft man sie raus. Sozialpläne und Abfindungen entfallen.
Bei Airbus stehen neben 17.000 Stammbeschäftigten rund 3.400 Leiharbeiter am Band, bei BMW sind es derzeit 12.000. Mehr als die Hälfte davon, so eine Umfrage der IG Metall, werden über ein Jahr auf dem gleichen Job beschäftigt, viele aber auch länger: „Drei bis vier Jahre sind kein Einzelfall“, sagt Helga Schwitzer, Tarifexpertin und geschäftsführendes IG-Metall-Vorstandsmitglied.
Auch in der Dienstleistungsbranche hat sich Leiharbeit festgesetzt. Relativ neu ist, dass sie nun häufiger in sozialen Berufen vorkommt – wo Personalbedarf planbar ist und Absatzmärkte keine Rolle spielen. Gab es 2009 bundesweit 5.664 pädagogische Fachkräfte, darunter SozialarbeiterInnen und KindergärtnerInnen, waren es 2011 bereits 7.338. In den Gesundheits- und Pflegeberufen wuchs die Zahl der Leiharbeiter zwischen 2005 und 2011 von 3.196 auf 16.350 Personen.
Formulierung absichtlich offen gelassen
Sandra Kersten ist also kein Einzelfall. Allein Asklepios soll in Brandenburg zwischen 2007 und 2011 319 nichtärztliche Leiharbeiter eingestellt haben, sagt der Betriebsrat. Asklepios bestreitet dies. „Private Klinikkonzerne setzen Leiharbeit systematisch ein, um Tarifverträge zu umgehen“, so Niko Stumpfögger von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Rekrutiert werde vor allem Pflegepersonal.
„Man setzt wegen des Renditedrucks auf kurzfristige, billige Lösungen, die Konzerne schauen nicht mehr über das eigene Haus hinaus.“ Das aber, so Stumpfögger, befördere langfristig den Fachkräftemangel.
Sollte Kersten ihren Prozess gewinnen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen. Es geht um eine Formulierung, die der Gesetzgeber 2011 in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz schrieb. Um eine EU-Richtlinie über Leiharbeit umzusetzen, steht dort seitdem: „Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend.“ Nun streiten Juristen, was das bedeutet. Klar ist: Die Bundesregierung hat die Formulierung bewusst offengehalten – und die Interpretation den Gerichten überlassen.
In erster Instanz hatte Kersten keinen Erfolg. Sie ist in Berufung gegangen, der nächste Prozesstermin ist Mitte Oktober vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Ihr Anwalt Holger Thieß hofft, dass das Gericht neue Leitlinien durchsetzt. „Oder die Frage gleich zur Klärung dem Europäischen Gerichtshof vorlegen.“ Das deutsche Gesetz sei nicht im Sinne der EU-Leiharbeitsrichtlinie, ist sich Thieß sicher: „Die Richtlinie legitimiert nicht den missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeitern auf Dauerarbeitsplätzen.“
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