Olympia 2012 mit Geschlechtertests: Wettbewerbe der Weiblichkeit
Um einen zweiten Fall Semenya zu verhindern, soll es bei Olympia 2012 Geschlechtertests geben – anonym. Athletinnen mit erhöhten Androgenwerten drohen Sperren.
BERLIN taz | Sie ist fit. Der Rücken, der sie in den letzten Monaten des Vorjahres außer Gefecht gesetzt hatte, zwickt nicht mehr. Und die Form, ja, die Form stimmt auch. Das zumindest behauptet ihr Trainer Michael Seme. Nicht länger als zwei Minuten soll es dauern, bis Caster Semenya am kommenden Wochenende die Stadionrunde von Germiston bei den südafrikanischen U23-Meisterschaften zweimal umkurvt hat. Das wäre persönliche Jahresbestzeit.
In heimischen Gefilden wagt die amtierende 800-Meter-Weltmeisterin ihre erste Standortbestimmung in einer Saison, in der sie sich bei den Welttitelkämpfen im August in Südkorea abermals die Goldmedaille erlaufen möchte. Wird Semenya nicht von Verletzungen ausgebremst, steht ihrem WM-Start nichts im Wege.
So selbstverständlich diese Aussagen für eine Weltklasse-Athletin klingen mag - für Semenya ist sie alles andere als das. Elf Monate hatte die mittlerweile 20-Jährige keine Startberechtigung für internationale Meetings, während Sportverbände, Mediziner und Medien fleißig über ihre Geschlechtszugehörigkeit fachsimpelten. In letzter Konsequenz ließ der Leichtathletik-Weltverband IAAF sie am 7. Juli 2010 wieder für Frauen-Wettbewerbe zu.
Auch mehrere tausend Kilometer nördlich von Südafrika fiel unter der Woche immer wieder ein Name: Semenya. Die Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) verlieh im Rahmen einer zweitägigen Konferenz in London ihrer Absicht Nachdruck, einen zweiten "Fall Semenya" verhindern zu wollen – anhand klarer Regularien für Athletinnen mit einer Überproduktion männlicher Hormone. Vereinfacht gesprochen: Erstmals seit ihrer Abschaffung 2000 sollen bei den Olympischen Spielen von London 2012 wieder Geschlechtertests durchgeführt werden.
Zu viel männliche Sexualhormone sind eine "Störung"
Die Stoßrichtung der neuen Richtlinien: Athletinnen mit einem übernatürlich hohen Level an Androgenen, männlichen Sexualhormonen, das ihnen sportliche Vorteile gegenüber der Konkurrenz ermöglicht, werden von Wettkämpfen ausgeschlossen. Die Athletin wird über die Gründe informiert, kann anschließend ihre als Störung klassifizierte Besonderheit behandeln lassen. Die Entscheidung über den Geschlechtsstatus trifft dabei ein internationales Expertenteam aus dem Bereich Hyperandrogenismus.
"Wir haben dieses Thema nach einigen Symposien und Konferenzen nun in der IOC-Exekutive erörtert und wollen die neue Regel Anfang Juli bei der IOC-Vollversammlung verabschieden. Dieser Lösung sollen sich dann alle internationalen Fachverbände anschließen", sagt Professor Arne Ljungqvist, Chef der Medizin- und Doping-Kommission des IOC. Einer dieser Fachverbände: die IAAF.
Anonymität als Athletinnenschutz
Ganz gleich, wie das genaue Procedere letztlich aussehen wird - und das ist die wohl direkteste Reaktion auf den voyeuristischen Umgang mit Semenya: Die Athletinnen werden in Zukunft anonym bleiben. Denn Semenya war kein Einzelfall. Der indischen 800-Meter-Läuferin Santhi Soundarajan etwa wurde aufgrund eines Geschlechtertests ihre Silbermedaille bei den Asienspielen 2006 aberkennt. Sie erfuhr es aus den Medien – und unternahm einen Suizidversuch.
"Nach meiner Erfahrung wird es nicht viele Fälle geben", sagt Ljungqvist zwar. Jeder weitere aber, der in der Öffentlichkeit breitgetreten und auf dem Rücken einer Athletin ausgetragen wird, wäre einer zu viel. Das weiß man auch im IOC. Für Caster Semenya kommen die Neuerungen zu spät. Sie trainiert derweil und hofft, dass die Stoppuhr in Germiston nach weniger als zwei Minuten zum Stehen kommt.
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