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Magazin von BehindertenGiraffe mit hochhackigen Schuhen

Für das Magazin "Toll" schreiben Autoren mit und ohne geistige Behinderung. Zwei Jahre lang haben die Macher unentgeltlich an der Nullausgabe gearbeitet.

Liebevoll gestaltet: Das Magazin "Toll". Bild: Screenshot: Toll-magazin.de

Einem Motto gleich stehen die Worte in großen, klaren Buchstaben am Anfang des Print-Magazins Toll: "Ich will dir mal was sagen. Du musst das Risiko überstehen. Heute ist ein schöner Tag." Riskiert haben die Macher von Toll in der Tat eine Menge bei dem Versuch, das international erste professionelle Print-Magazin mit Beiträgen von Menschen mit geistiger Behinderung zu schaffen. Zwei Jahre lang haben sie an dem Dummy, also der Nullausgabe des Magazins, gearbeitet.

Der Versuch ist vorerst geglückt. Am 14. September war für die Macher von Toll, dem "Magazin für Wundertage", nach viel Risiko ein wahrlich schöner Tag, als die Nullausgabe vorgestellt wurde. Und die steht dafür, wie das Heft in Zukunft aussehen könnte, sollte die Redaktion Verlage und Sponsoren finden, die die Finanzierung weiterer Ausgaben sicherstellen.

Geplant ist eine Zeitungsbeilage, vielleicht einmal im Monat. Der Dummy muss also volle Überzeugungsarbeit leisten. "Unser Ziel ist tatsächlich, dass wir es schaffen, eine Redaktion zu installieren. Dass wir bezahlte Arbeitsplätze schaffen", erklärt Chefredakteurin Sylvia Heinlein. Mit diesem Ziel vor Augen und dem fertigen Heft in der Hand klopft sie nun bei Verlagen an, um sie "gucken und staunen" zu machen.

Ganz am Anfang stand die Schreibwerkstatt, in der sich die Journalistin und Kinderbuchautorin Sylvia Heinlein für den Verein "Leben mit Behinderung Hamburg" ehrenamtlich engagierte. Aus diesem Projekt entwickelte sich "die Idee, einen Schatz zu bergen, ein Potenzial in die Medien zu bringen, sodass alle was davon haben", sagt Heinlein. Das Ziel: nicht wegschauen, nicht glotzen. Kein Mitleid erregen, sondern zeigen, "dass Behinderung nicht heißt, dass etwas fehlt, sondern dass etwas anders ist".

TOLL

Das Magazin für Wundertage ist im Netz abrufbar unter www.toll-magazin.de und als Druckexemplar über Bestellung bei redaktion@toll-magazin.de erhältlich.

Aus der Schreibwerkstatt entwickelte sich ein autonomes Projekt mit einer Redaktion, in der zehn Autoren mit Handicap Texte für Toll verfassten. Unterstützt wurde die Produktion von freien Autoren und Medienprofis: beim Layout, mit Fotos, mit Texten. Unentgeltlich und nicht selten in Nachtschichten. 48 Seiten sind so entstanden. Es sind liebevoll gestaltete, bis ins Detail gedachte und persönlich anmutende Seiten mit ausdrucksstarken Texten über Leben und Tod, Liebe, Kummer, Partys, das Wetter. Mal verfasst in klaren Worten mit unerwartet drastischen Wendungen, mal fantasievoll und philosophisch sind die Texte letztlich immer eins: Poesie.

Dabei verweigern sie niemals das Ich und gewähren ungewöhnliche Blickwinkel auf das Leben im Allgemeinen und Einblicke in die Welten ihrer Verfasser im Besonderen. Muss Mann so cool sein wie James Bond? Wie fühlt es sich an, "eine gefleckte Giraffe mit hochhackigen Schuhen" zu sein? Wieso gehören Liebe und Tod zu guter Letzt doch immer wieder zusammen?

Nicht auf jede Frage kann das Heft eine Antwort geben. Muss es aber auch gar nicht. Oft reicht der gedankliche Anschub. Wann hat man sich beispielsweise zuletzt mit einer "aufblasbaren Weltraumzeit" auseinandergesetzt? Neben den Texten lebt das Heft vor allem von kunstvollen Bildern, einer bunten Modestrecke, in der die Autoren Street Wear präsentieren, und einem aufwändigen Layout, sodass sich jede Seite bestens eignet, sie vorsichtig herauszutrennen und zu rahmen. Das Schwierigste dabei dürfte die Entscheidung sein zwischen Vorder- oder Rückseite.

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