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Debatte SozialpolitikWölfin im Schafspelz

Kommentar von Ursula Engelen-Kefer

Ursula von der Leyen ist in dieser Regierung der Medienliebling. Lächelnd stimmt sie jetzt zu, dass der Sozialetat bei den Ärmsten gekürzt wird.

W ährend sich die Bundesbürger noch im Fußballfieber befinden, startet Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen ihre "Charmeoffensive", um künftig bei Erwerbslosen, Familien und Alleinstehenden jährlich 30 Milliarden Euro einzusparen. Kommunikationstechnisch klug verkauft sie diese Entscheidung als gerecht: Der Sozialetat mache ja mit 147 Milliarden Euro etwa die Hälfte des Bundeshaushalts aus. Bei einem "Sparpaket", das insgesamt rund 80 Milliarden Euro umfasst, sei sie da "nur" mit Einsparungen von etwa einem Drittel dabei. Was sie verschweigt: Dieses Drittel soll ausschließlich bei den finanziell Schwächsten geholt werden. Also bei denen, die keine Lobby haben und sich ohnehin mehrheitlich von der Linkspartei vertreten sehen - falls sie überhaupt wählen gehen.

Für ihre Klientel geht von der Leyen über die Schicksale von Millionen Menschen hinweg, die auf die unteren Stufen der sozialen Leiter abgestürzt sind. Lächelnd kündigt sie die Grundidee der sozialen Marktwirtschaft - Solidarität mit den Schwachen - auf. Folglich stört sie auch nicht, dass ein großer Teil der übrigen Sparmaßnahmen reine Luftbuchungen sind - so die Brennelementesteuer, die an die schwer durchsetzbare Verlängerung des Laufzeiten für die Atomkraftwerke gekoppelt ist, oder die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die erwartungsgemäß beim jüngsten G-20-Gipfel verworfen wurde.

Die Fledderung des Sozialetats aber ist beschlossene Sache. Gegenüber den Medien wird weiter der Eindruck erweckt, dass die Einschnitte im Sozialetat noch schlimmer ausfielen, wäre da nicht von der Leyen, die Supermutter der Nation. Auch Angela Merkel versprach flugs, dass es beim Schnüren des Sparpakets gerecht zugehen werde, und befeuerte mit dieser Floskel weiter das Stimmungshoch ihrer mächtigsten Ministerin. Infolge der außergewöhnlich positiven öffentlicher Resonanz erlebte diese eine "gefühlte" Ernennung zur Kandidatin für das verwaiste Amt des Bundespräsidenten.

Bild: ap

Ursula Engelen-Käfer war bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und bis 2009 Mitglied im Parteivorstand der SPD.

Das alles ist nun Schnee von gestern. Das "olympische Glück" währte ohnehin nur wenige Tage. Was bleibt und wirkliche Konsequenzen für die Lebensrealität der Bürger hat, sind der systematische Rückbau der sozialen Absicherung der Bundesbürger. Anders formuliert: Von der Leyen verantwortet hochprofessionell und diszipliniert die Verschärfung einer Klassengesellschaft in Deutschland.

Dessen ungeachtet behauptet die "Wölfin im Schafspelz", am laufenden Lebensunterhalt von Arbeitslosen werde sich nichts ändern. Das ist platte Täuschung, denn die Leistungen für Hartz-IV-Empfänger werden gleich mehrfach reduziert. Zum einen durch die Streichung der Zuschläge auf die ALG-II-Leistungen für diejenigen Arbeitslosen, die nach langen Jahren harter Arbeit und Zahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen in die Bedürftigkeit von Hartz IV abstürzen - immerhin bis zu 160 Euro im ersten und 80 Euro im zweiten Jahr.

Zum anderen wird Familien und Alleinerziehenden das Elterngeld von 300 Euro im Monat gestrichen. Supermutter von der Leyen feierte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Regelsätzen zwar als "Sieg für die Kinder". Doch davon bleiben gerade mal 23 Euro pro Kind übrig - und die von ihr versprochene Hilfe für Sport- oder Musikunterricht werden den sozialen Abstieg und die Stigmatisierung der 1,7 Millionen Kinder keinesfalls aufhalten.

Weiter beabsichtigt Ursula von der Leyen die Arbeitsmarktprogramme zur Eingliederung Langzeitarbeitsloser zu überprüfen, um sie kräftig zusammenstreichen zu können. Auf diese Weise sollen 16 Milliarden Euro bis 2014 eingespart und trotzdem mehr Langzeitarbeitslose in Arbeit gebracht werden. Von der Leyen verspricht gleichsam die Quadratur des Kreises. Dass das kaum jemanden stört, zeigt, wie oberflächlich die Politik der Arbeitsministerin analysiert wird: Stimmt das Image, sind die Inhalte der Politik nachrangig. Von der Leyen versteht es meisterhaft, diese Einstellung für ihre Politik zu nutzen.

Für die Erwerbslosen und die Mitarbeiter in den Jobcentern muss es wie Hohn klingen, wenn die geplante Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen als Erweiterung ihrer Entscheidungsbefugnisse gelobt wird. Wo sollen denn die größeren Handlungsspielräume herkommen, wenn gleichzeitig der finanzielle Rahmen so massiv eingeengt wird? Abgesehen davon, dass es gar nicht genügend arbeitsmarktpolitische Pflichtleistungen gibt, die in Ermessensleistungen umgewandelt werden können, sind von den Kürzungen vor allem benachteiligte Jugendliche und Behinderte betroffen. Gerade diese Personengruppen sollten jedoch nach dem rechtzeitig vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen verkündeten Beschäftigungschancengesetz besonders gefördert werden - ein eklatanter Widerspruch.

Besonders befremdlich ist auch die Begründung der Bundesarbeitsministerin zu der vorgesehenen Streichung der Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose von 40 Euro: Den Arbeitslosen täte dies nicht weh, da sie von den 2,09 Euro im Monat an Rentenleistungen nichts hätten, sagt sie. Demgegenüber brächten diese Kürzungen der Bundesregierung 1,8 Milliarden weniger Ausgaben pro Jahr.

Was für eine Verdrehung der Tatsachen! Demnächst müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über höhere Beiträge und Rentner durch niedrigere Leistungen die Zeche für das Sparpaket zahlen - 8 Milliarden Euro bis 2014. Die Kommunen müssen die Armutsrenten der Arbeitslosen über die Grundsicherung finanzieren. Damit bleiben ihnen noch weniger Mittel, um den ehemaligen Herzenswunsch der Exfamilienministerin zu erfüllen: den Ausbau der Betreuung und Erziehung der Kinder.

Diese Widersprüche werden der Regierung spätestens nach der Weltmeisterschaft und der Sommerpause auf die Füße fallen. Für die ohnehin schwer angezählte Angela Merkel wird der weibliche Medienliebling damit vom Politstar zur schweren Belastung.

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12 Kommentare

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  • M
    Michael

    Mitte der 70er ist in den USA ähnlich das Sozialsystem total zusammengestrichen worden. Das hat u.a. zu einer bis heute etwa verzehnfachung der Gefängisinsassen geführt. Armut führt zu Kriminalität, und die ist erst mal teuer, teurer als das ganze vorher eingesparte.

    Na ja wenigstens ist man jetzt dabei, die Gefängnisse nach Mexiko Outzusourcen, und die Leute ordentlich schuften zu lassen.

    Und wenn der Terrorismus nimmer zieht als Begründung hat man sich durch die Armut und Perspektivenlosigkeit schon passend neue Probleme und Problemviertel erzeugt die eine weitere verschärfung der Überwachung und Gängelung der Bürger weiterzutreiben.

    Prost!

  • H
    HannaM

    Die Gewerkschaften und ihre Funktionäre machen doch überall mit (siehe aktuell bei der Bürgerarbeit).

     

    Und man schaue mal, welcher Gewerkschaftsfunktionär Mitglied welcher Partei und Kirche ist.

     

    Solche Artikel/ Aufschreie (Gottchen) sind Feigenblätter.

     

    Eine Hand wäscht die andere. Und dann so tun als ob. Als ob das Volk vollends blöde wäre.

  • H
    Hanna

    Das ist ein zutreffender, wenn auch in einigen Punkten sehr drastisch in den Formulierungen, nicht unbedingt in den Inhalten. Die Streichung des Elterngeldes ist eine Spaltung grundsätzlicher Natur: Weil ein Millionäre oder ein Topverdiener diese Leistungen bekommt - ob er sie braucht oder nicht.

    Der arme Mann/Frau, Familie oder Alleinerziehende braucht dieses Geld. DRINGEND!

    Und die Leistungen bei den Maßnahmen betreffen 1-EURO-Jobs, Trainingsmaßnahmen und dann erst höherwertigere Maßnahmen. Und die 1-EURO-Jobs und Trainingsmaßnahmen sind (fast immer) nutzlos, entwürdigend und in der Wissenschaft bisher ohne Ausnahme als Fehlentwirklung bebrandmarkt worden.

    Dass dies so ist, darüber haben DGB und SPD ganz gut geschwiegen, oder es stand im Kleingedruckten.

    Insofern: In der Sache vielleicht grob richtig, ansonsten aber muss Frau Dr. Engelen-Käfer mal wieder selber in der ersten Reihe eine Demo stehen, damit sie begreifft, dass dieser ganze Unsinn von der SPD (mit tatkräftiger Unterstützung aus der IG Metall NRW) geboren wurde und dass es diese Partei überhaupt möglich gemacht hat, dass Langzeitarbeitslose zu Aussätzigen, Ausgegrenzten - zum Spielball einer bornierten und ignoranten Politik werden konnten.

    Und der Punkt mit der Rente geht auch so: Die Rente sinkt, weil SPD (und IG Metall-Mitglied) Walter Riester dies durchgesetzt hat. Darauf ist dann Hartz gesattelt und das bedeutet eine sowieso Mini-Rente bei ALG-II-Niveau. Wenn die nochmals gekürzt wird, sehen wir 2025 und 2035 Rentner, die Müll wühlen, schwarz arbeiten und versuchen im Internet ihr Hab und Gut zu verschachern, um sich Medikamente zu kaufen.

    Die Zeiten als Senioren mit 52 in Rente und dann jedes Jahr auf Malle oder in Antalya urlaubten, sind jetzt schon vorbei, aber die Rechnung liegt noch zur Abholung bereit. Und daran hatte Ursula Engelen-Käfer durchaus Anteil - was sie nicht störrt, denn ihre Rente ist mit den Vergütungen des Top-Managements in der Deutschen Finanzbranche und Industrie kompartibel. Dafür kann sie allerdings nichts, aber ein Stück bigotte verbale Radikalisierung verdeckt doch nicht die Tatsachen, dass die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auch von SPD und Gewerkschaften geschreddert wurden. Und das macht es so schwierig, jetzt einen sinnvollen Protest zu organisieren. Ich (wahrscheinlich viele andere auch) warten seit langer Zeit, wann die Gewerkschaften den Protest anführen, weil das notwendig ist, damit Kirchen und Sozialverbände mitmachen, damit nicht Böller explodieren und das Ganze diskreditieren.

  • W
    Werner

    Schließe mich L.A. Woman an.

    Dass Frau Engelen-Kefer bei der letzten Wahl zum Parteivorstand der SPD durchgefallen ist, sagt alles über diesen Verein und seiner Führung.

  • D
    dietah

    Die regierenden "Eliten" arbeiten weiter fleissig an ihrer eigenen Demontage.

     

    Lächeln, Winken, Volksmusik. Immer schön direkt auf die Klippe zu.

     

    Respekt! Weiter so. Es wird euch niemand vermissen.

  • P
    Papi

    @ eine Mutter

    Liebe Mutter (die Sie vermutlich meine Tochter sein könnten), ich kann Ihren Aufschrei nachvollziehen. Ändern wird er wahrscheinlich nichts.

     

    Aber wen, bitte sehr, meinen Sie mit "berühmtem Quotenmacho"? Ich wüsste ja nun wirklich gern, ob das einer von denen ist, die ich auch erschreckend lächerlich finde???

  • A
    AVG

    Nachdem das WM-Getröte nun endlich vorbei ist, haben vielleicht schon ein paar Mitbürger mitbekommen, was die Bundesregierung ihnen in der Zwischenzeit klammheimlich untergejubelt hat.

    Dazu kann man nur sagen:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=qCYRxHz-OY0

  • BP
    Bernd P.

    So kurz ist der Weg von der Mutter der Nation zum "eiskalten Engel". Von der Leyen bleibt sich treu, sie betreibt eine eisklte Klientelpolitik für ihre Golfclub-Freundinnen. Nun merken`s endlich auch die Medien!

  • L
    L.A.WOMAN

    Frau Engelen-Käfer:

    Sie waren schon immer eine meiner liebsten Nervensägen, und das ist nur positiv gemeint!

    Wie aus dem DLF Interview 'Zwischentöne' zu entnehmen war, hatten Sie jahrelang mit der Macho-SPD Riege kämpfen müssen, und haben durchgehalten

    Meine Hochachtung dafür!

    Zum Artikel:

    Sie haben so schöne Umschreibungen für die eiskalten Gemeinheiten der Regierung gewählt wie:

    -platte Täuschung

    -Verdrehung der Tatsachen

    -Widersprüche

    näher an der Wahrheit wäre das eindeutige Wort

    LÜGEN

    gewesen.

    Insgesamt eine sehr gute Analyse der Maßnahmen.

    Man könnte diese Vorgehensweise der Regierung auch Euthanasie durch die Hintertür nennen.

  • EM
    eine Mutter

    Diese Frau/Mutter(?), die die das Recht sein Kind die ersten 3 Lebensjahre zu begleiten in eine Unmöglichkeit verwandelt hat. Die Frau(?), die 12 Monate Erziehungszeit vorgaukelt, von denen tatsächlich nur 10 übrig bleiben, denn die 8 Wochen Mutterschutz werden ja mit angerechnet... und auch die sollen nun für die HartzIV-Menschen gestrichen werden. Neues "Sozialprojekt" für HartzIV-Empfänger: der Ein-Euro-Job vom Kindbett aus... wäre doch auch mal ganz nett, oder? Denn ohne Bezüge kann man nicht Zuhause bleiben. HartzIV berechtigt ist man nur, wenn man vermittelbar ist. Wenn man ein kleines Kind unter einem Jahr hat, ist man nicht vermittelbar. Das Recht auf freie Entscheidung ist hiermit nicht gegeben.

     

    Wir rasen mit riesigen Schritten zurück in die Zukunft!!

     

    Manmanman, da hat ja der berühmte Quotenmacho (bitte liebe Herren, Männer, Jungen, Kerle, nun nicht als Diskriminierung verstehen!!!) mehr Empathie, Weitblick und Sozialverständnis, als diese XX-Lebensform!

  • S
    Simon

    Die von der Leyen ist für mich als Mitglied der Piraten ohnehin ein rotes Tuch. Dass sie die Zusammenstreichung der Sozialleistungen genauso schönfärbt wie die Internetsperren überrascht mich kein bisschen.

  • A
    Amos

    Die gesamten Parteienlandschaft(mit Ausnahme der Linken)sind gekaufte Bastarde, die so weit gesunken, dass sie schon seelenlos leben können, wenn nur der eigene Mammon stimmt. Das wird sich rächen! Bei einer menschlichen Politik, gäbe es diese Armut in einem reichen Land wie Deutschland nicht. Die Reichen wären zwar nicht so unverschämt reich-aber immer noch reich

    genug. Der Speichel von der ewigen Speichelleckerei muss ja so kleben, dass man nach oben hin bewegungsunfähig geworden ist. Wer die Armut schafft,muss auch für die Armen sorgen.