spielplätze (5): Im Prager Café Slavia: Das Spiel im Spiegel
Original Böhmische Küche. Euro 2008 Live (außer Montag)
Er sei kein Nationalist, sagt der Wirt, kein Patriot. Und Fan, na ja, "zum Teil". Stanislav Regal stammt aus demselben Land wie die jungen Männer in den roten Trikots, die gerade ins Stadion in Genf eingelaufen sind. Vorne, auf dem Flachbildschirm im Prager Café Slavia, sind sie zu sehen. Regal ist als Musiker Ende der 60er in Berlin hängengeblieben, als auf den Trikots der Tschechen noch CSSR stand und damit auch die Slowaken gemeint waren. Es ging um eine deutsche Frau. Er ist Toningenieur geworden, hat einen kleinen Hit mit einem Mosambikaner produziert, ein Studio übernommen, sich von seiner Frau getrennt und kam mit einer Tschechin zusammen. Die wollte sich irgendwann selbst verwirklichen. Deshalb haben sie seit über zehn Jahren das Prager Café Slavia in Friedenau. Eigentlich eine "Nebensächlichkeit", sagt Regal - 59 Jahre alt, randlose Brille, braune Sandalen mit Klettverschluss -, der in der Hauptsache immer noch Musik mischt, für die TV-Serie "Lindenstraße" etwa.
Er setzt sich dann doch ein bisschen zu der blonden, jungen Bedienung, die gerade Feierabend gemacht hat, und ihrer Freundin an den Tisch in der ersten Reihe, direkt vor dem Fernseher. Da steht es zwischen Portugal, weiß, und Tschechien, rot, schon 1:1. Und die Bedienung hat bereits einige Male "oh" und "uh" gerufen und ihre Freundin ganz sanft und damenhaft in die Hände geklatscht, nach den erstaunlichen Paraden des tschechischen Keepers jeweils.
Im Fenster hängen gelbe Zettel: "Original Böhmische Küche. Euro 2008 Live (außer Montag)". Der Parkettboden ist gemütlich abgewetzt. Die hellrosa Stuckblumen, die braunen Stuhllehnen, die märchenhaft mattgoldenen Kleiderständer - alles verschnörkelt geschwungen. Jugendstil. Nirgendwo Flaggen. Weder tschechische noch deutsche. Nur im Fernsehen und draußen vor der Tür, an den Autoantennen. Auch mal angenehm.
Das Highlight hängt direkt über dem Flachbildschirm: ein goldgerahmter Spiegel. Darin live und noch direkter: ein zweites Fußballspiel, vom Bolzplatz gegenüber. Manchmal, wenn die Sonne günstig fällt, legen sich die beiden Partien auf dem Fernseher übereinander. Die schnellen Profiteams, beide mit etwas legerem Abwehrverhalten, und die Freizeitkicker von draußen. Dass die beiden Nationalteams viel filigraner wirken, liegt nicht nur daran, dass für die Übertragung mehrere Kameras im Einsatz sind. Wahrscheinlich wären ihre Kombinationen auch im Spiegelstandbild etwas flüssiger.
Regal und die beiden jungen Frauen interessieren sich nur für die Tschechen unter dem Spiegelspiel. Sie sind die Spitzen im Raum; hinter ihnen, leicht hängend, sitzt ein Mann im blauen Hemd und isst Braten mit böhmischen Knödeln. Dem Geruch nach zu urteilen, ist Regals Freundin eine sehr gute Köchin. Im Mittelfeld: ein ineinander gelehntes Pärchen bei Palatschinke mit Eis und Erdbeeren. Zur Halbzeit dann Wechsel: Mann und Frau, etwas älter. Graubärtig er. Handy an der kurzen Hose. Berliner Weiße. Und bei jedem gefährlichen Schuss: Ah! Mann! Oh!
Und vorne, die Spitzen: Uh! Schhhhhhhh! Ganz hinten, neben der Tür, sehr defensiv: noch ein mittelaltes Pärchen. Abwehr. Nur gelegentlich ein Blick zum Fernseher. Am Ende doch ein wenig häufiger, als die Portugiesen schließlich führen und die Tschechen dagegenhalten und noch das 3:1 fällt, kurz vor Schluss. "Leben geht weiter", sagt Stanislav Regal. "Ist ja noch Türkei." Seine blonde Bedienung schaut ein bisschen traurig. Ihr kleines Bier ist immer noch fast voll.
Das Prager Café Slavia in der Wiesbadener Str. 79 zeigt alle Spiele (außer Montag). Eintritt frei
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