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Ärztin über Gesundheitsreform"Kopfpauschale löst Widerstand aus"

Von der Gesundheitsreform sind viele betroffen. Deswegen könnten die Proteste größer werden als die gegen Hartz IV, sagt die Ärztin Nadja Rakowitz.

" In öffentlichen Krankenhäusern herrscht bisher noch keine Notwendigkeit, kapitalistische Profite zu machen", sagt Rakowitz. Bild: dpa
Interview von Peter Nowak

taz: Frau Rakowitz, könnte die Bewegung gegen die Kopfpauschale der Bundesregierung so groß werden wie die Proteste gegen Hartz IV?

Nadja Rakowitz: Die Proteste könnten sogar noch größer werden. Denn von Hartz IV fühlten sich viele Menschen nicht betroffen und kümmerten sich nicht darum. Doch von der Kopfpauschale und anderen Formen der Gesundheitsreform sind viele betroffen. Das könnte mehr Potenzial zum Widerstand haben.

Nadja Rakowitz

Ist Geschäftsführerin des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte. Der Verband fördert Demokratie im Gesundheitswesen.

Aber Politiker der Koalition rücken doch schon längst von der Kopfpauschale à la FDP ab.

Sicherlich, es ist noch nicht klar, wer sich in der Koalition durchsetzt. Es wird vor der Landtagswahl in NRW verstärkt betont, dass es einen abrupten Systemwechsel in der Gesundheitspolitik nicht geben soll. Dabei liegt die Betonung auf abrupt. Doch auch eine stufenweise Hinführung zur Kopfpauschale ist abzulehnen, weil sie dazu beiträgt, dass das Gesundheitssystem unsozialer wird. Zudem sind wir Zeugen der Einführung einer kleinen Kopfpauschale, weil verschiedene Krankenkassen bereits einen pauschalen Zusatzbeitrag erheben.

Warum kämpfen Sie dann nur gegen die Kopfpauschale?

Es ist sicherlich das Projekt, an dem sich der größte Widerstand entzünden wird. Aber eine Bewegung gegen die Kopfpauschale reicht sicher nicht aus. Es muss darum gehen, den Fokus der Kritik auf die Unterwerfung der Gesundheitspolitik unter Kapitalinteressen zu richten.

Halten Sie die von Attac und anderen propagierte Parole "Gesundheit ist keine Ware" für mobilisierungsfähig?

Sicherlich kann diese Parole dabei helfen, ein größeres Bündnis zu schmieden. Denn noch ist es in großen Teilen der Bevölkerung weitgehend Konsens, dass Gesundheit keine Ware werden darf. Doch aus einer emanzipatorischen Perspektive kann es nicht ausreichen, nur bestimmte Refugien wie Gesundheit und Bildung aus der Kapitalverwertung herauszuhalten.

Ist nicht auch Gesundheit in Deutschland schon eine Ware?

Nein, noch nicht flächendeckend. Zum Beispiel in öffentlichen Krankenhäusern herrscht bisher noch keine Notwendigkeit, kapitalistische Profite zu machen. Durch die Konkurrenz müssen heute aber auch öffentliche Krankenhäuser wirtschaften, als ob sie Unternehmen wären.

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9 Kommentare

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  • RK
    Rüdiger Kalupner

    @ CLAUDIA

    "Eine Revolution aber fällt nicht vom Himmel. Sie wird vom Volk gemacht oder sie fällt aus. Wenn man 1789 in Frankreich gesagt hätte: "Ach Leute, der König wird sowieso bald abgeschafft": was wäre daraus geworden?"

     

    Bevor das 'Volk' zuschlägt - wie heute in Athen - kann eine Revolution wirklich vom Himmel fallen, d.h. dass ein KAIROS-Szenario für die staatlichen Machtspitze eintritt, in der es für diese Personen die beste Option ist, den bisherige Ordnung/Entwicklungspfad zu verlassen und den Weg für die evolutionsprozess-logisch folgende, von den Systemdenkern erkannte Entwicklungsordnung freizugeben. Michael Gorbatschows Rolle entspricht diesem friedlichen Revolutionsmodell-von-Oben.

     

    Angela Merkel ist in diesen Tagen in dem gleichen KAIROS-Szenario. Sicherlich überlegt sie - vom Ende her denkend, d.h. von dem in Griechenland nicht durchsetzbaren Sanierungsprojekt ausgehend und um weitere Tote zu verhindern - ob sie nicht ihren Erkenntnisstand über die ®Evolutionsprojekt-Option in die folgende Weltordnung des KREATIVEN j e t z t in die Diskussion einbringen soll. Sie könnte darüber infromieren, dass das kulturrevolutonäre 'EPIKUR-Projekt für die Welt' (= E.volutions-P.rojekt-I.nformiertes, K.ultur-U.topie-Realisierungs-Projekt) erkannt ist und dass sie überzeugt ist, dass dieser Erkenntnsstand die politische und soziale Spaltung Griechenlands verhindern werde.

     

    Sie würde mit diesem Schritt Griechenland und Europa und alle Menschen den Weg auf den Evolutionspfad der KREATIVEN Fortschrittsordnung öffnen - ins 'Reich der Freien und der KREATIVEN'. Es handelt sich hier um das alt-europäisch-griechische Befreiungs- und Individualisierungs-Projekt. Sie würde die Gorbatschowa-Rolle übernehmen. Sie wird sie auch übernehmen. Wetten? Es gibt für sie keine andere politische Erfolgs- wie moralische Überlebenschance.

     

    Claudia, sie sehen also, dass eine Revolution wirklich 'vom Himmel fallen kann' - jedenfalls wenn sie evolutionsprozess-logisch für's GANZE überlebensnotwendig ist. Sie und wir alle bekommmen eine Weltrevolution geschenkt. Hannah Arendt sagte, dass der eigentliche Sinn von Politik das WUNDER sei. Die wichtigsten Dinge im Leben, wie ja auch das eigene Leben, bekommt man sowieso geschenkt.

     

    Epikur erkannte: 'Dank sei der glückseligen Natur dafür, dass sie das Notwendige leicht erreichbar und das Schwer-Erreichbare nicht notwendig gemacht hat'.

  • C
    claudia

    @Rüdiger Kalupner:

    >>Alle sachlichen Reformthemen werden überholt werden durch die Finanzierungskrise der Staats- und Sozialleistungen - und durch die systemrevolutionäre Lösung dieser Systemkrise.>Wer sich heute noch mit 'Kopfpauschale' beschäftigt ist vergleichbar mit jenen, die kurz vor der Öffnung der Berliner Mauer sich mit der Lebensmittelversorgung in Cottbus beschäftigten.

  • E
    end.the.occupation

    >> Langsam müßte das doch auch einigen marxistisch oder auch systemtheoretisch geschulte taz-Redakeuren dämmern.

     

    Heutige taz-Redakteure halten Marx für eine Kneipe, Systemtheorie für eine Behandlungsmethode gegen Arthritis und Antiimperialismus für Antisemitismus.

     

    Die taz sammelt heute kein Geld mehr für die Guerilla in der Peripherie des Imperialismus. Heute drücken selbst Ex-Maoisten unseren Jungs in Kunduz die Daumen.

     

    Gerade aus dem 30-jährigen Dornröschenschlaf erwacht?

    :))

  • A
    Amos

    Der Wähler kann mit diesem kapitalistischem Hörigkeits-

    Prinzip abrechnen. Noch haben wir eine Plutokratie.

    Die Demokratie sagt nur noch aus, dass man selbst wählen darf, von wem man sich verarschen lässt.

  • N
    Normalo

    Was geht es eigentlich die Ärzte an, bzw. was verstehen sie davon, welche Beitragsstruktur der Kassen die für die Bevölkerung sozialste oder zukunftsfähigste sein soll?

     

    Ich sehe in dem Interview eine Ärztin, die für ihre gesellschaftspolitischen Ansichten kämpft. Besondere Kompetenz oder gar fachliche Argumente vermisse ich.

  • C
    claudia

    Pauschale Extrazuschüsse zum Beitrag gibt es schon lange. Rezeptgebühren, Praxisgebühr und Krankenhauszuzahlung sind pauschale Extrabeiträge, mit denen der Beitragsrückgang kaschiert wurde. Politiker in der BRD wissen, daß man den Versicherten solche Dinge ohne große Gegenwehr aufs Auge drücken konnte.

     

    Wer wirklich gegen die anwachsenden Extrabeiträge außerhalb des Prozentbeitrages etwas tun wollte, müßte gegen die real hohe Erwebslosigkeit und gegen die drastische Erwerbsminderung der Versicherten angehen.

    Keine der 4 Parteien, die in der Vergangenheit regiert haben und aktuell regieren, ist dazu bereit. Der lineare Zusammenhang zwischen Einkommensrückgang und Beitragsrückgang wird standhaft geleugnet und die Lügen werden immer noch von zu vielen Bürgern geglaubt.

     

    >>Denn noch ist es in großen Teilen der Bevölkerung weitgehend Konsens, dass Gesundheit keine Ware werden darf>Durch die Konkurrenz müssen heute aber auch öffentliche Krankenhäuser wirtschaften, als ob sie Unternehmen wären.

  • KD
    kranker Demokratie

    Zur Kopfpauschale kommen noch die zentrale Erfassung aller Patientendaten unter dem Deckmantel der "elektronischen Gesundheitskarte", ELENA und der "elektronische Personalausweis". Bei uns im Betrieb kocht es schon. Habe selten so viel Geschlossenheit von der Chefetage bis zum Reinigungspersonal gesehen wie auf der letzten Betriebsversammlung. Mal sehe wie lange es dauert, bis Michel die Schnauze gestrichen voll.

     

    Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird bestimmt darüber berichten, ein wenig, wenn alles erfolgreich durchgeknüppelt wurde. Dafür gibt es dann demnächst die Haushaltsabgabe in Höhe von 25 Euro pro Monat als Super-GEZ-Gebühr, egal ob wir das wollen oder nicht.

  • MO
    Mike Ott

    Ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, dass wir eine Art Kopfpauschale in der GKV zumindest im oberen Segment de facto längst haben? Mit welchem Recht zahlt eigentlich ein (zugegeben gut verdienendes) GKV-Mitglied mit 3800 Euro brutto genausoviel Beitrag wie ein Mitglied mit 5 oder 10 mal so hohem Einkommen? Weg mit der Beitragsbemessungsgrenze in der GKV! Bei der Steuer sagt doch auch niemand ernsthaft, es ist fair, wenn jemand mit 10.000 Euro im Jahr genausoviel bezahlt wie einer mit 100.000, oder? Also bitte auch die oberen Einkommen auch bei der Krankenkasse an den steigenden Kosten beteiligen. Und dass gerade die 10% am besten verdienenden sich gleich ganz aus dem Solidarsystem verabschieden dürfen, indem sie in die PKV wechseln, ob nun mit oder ohne 3 Jahre Wartezeit, ist ohnehin ein Skandal. Gerade die, die den größten Beitrag leisten könnten und sollten, zieht man gar nicht erst heran. Bei der Steuer kauft man sogar Schweizer Daten-CDs, um die großen Fische zu ihrem gerechten Beitrag zu zwingen. Aber in der Krankenversicherung ist ja alles anders ...

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Alle sachlichen Reformthemen werden überholt werden durch die Finanzierungskrise der Staats- und Sozialleistungen - und durch die systemrevolutionäre Lösung dieser Systemkrise.

     

    Wer sich heute noch mit 'Kopfpauschale' beschäftigt ist vergleichbar mit jenen, die kúrz vor der Öffnung der Berliner Mauer sich mit der Lebensmittelversorgung in Cottbus beschäftigten.

     

    Langsam müßte das doch auch einigen marxistisch oder auch systemtheoretisch geschulte taz-Redakeuren dämmern.