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Doku im RBB"Von Brandenburg überleben lernen"

Fünf Stunden Dokumentarfilme, nonstop: "20xBrandenburg" ist ein filmisches Wagnis. Ein Gespräch mit dem künstlerischen Leiter Andreas Dresen.

Regisseur Hakan Savas Mican, Kameramann Sebastian Lempe und Tonmensch Matthias Steinach in blühender brandenburgischer Landschaft. Bild: rbb/niels leiser
Interview von Diana Aust

taz: Herr Dresen, Rainald Grebe sang schon "Ich fühl mich leer, ich fühl mich Brandenburg". Wieso zieht ein Filmemacher freiwillig dorthin?

Andreas Dresen: Ich lebe seit meinem Studium in Potsdam, mittlerweile seit 25 Jahren. Da bin ich nicht aus Liebe zu der Stadt, sondern eher aus Versehen hängen geblieben, und mittlerweile mag ich Potsdam. Auch wenn es leider zum Zuzugsort für Leute mit dickem Geld geworden ist, die Ufergrundstücke aufkaufen und absperren lassen. Das ist ein lustiges Potsdamer Paradox, dass dort die Mauer auf eine andere Art wiederaufgebaut wird. Aber ich habe meine ganzen Freunde hier, das ist vielleicht das, was Heimat am meisten ausmacht.

Sie haben fast alle Ihre Filme im Osten gedreht. Hätten sie auch bei "20 x Bayern mitgemacht?

Grundsätzlich ja. Wenn man sich für Menschen interessiert, kann man überall arbeiten. Natürlich kenne ich mich in Brandenburg viel besser aus, was ein Filmprojekt einfacher macht. Aber ich denke nicht, dass man ein Bayern-Gen braucht, um über das Land zu berichten!

Was kann Deutschland von Brandenburg lernen?

Überleben!

Und wie überlebt man in Brandenburg?

Zum Beispiel so wie zwei Frauen in Boitzenburg, die nach der Wende arbeitslos geworden sind. Die haben im Keller eines Neubaublocks eine Marmeladenmanufaktur aufgebaut. Mit dem "Boitzenburger Früchtezauber" haben es die Frauen geschafft, sich eine kleine Existenz aufzubauen. Und das ist für mich eine sehr typische Brandenburger Geschichte, die Brüche beinhaltet, aber auch den Überlebenswillen. Aber das schaffen natürlich nicht alle Leute. Es gibt auch sehr viele, die abstürzen.

Das hört sich nach einem braven Geburtstagsporträt zum Zwanzigsten an.

Niemand von uns hatte Lust zu sagen: Wir wollen jetzt einen fröhlichen Geburtstagsstrauß zum Dank an das Land Brandenburg zusammenbinden und zeigen, wie wir nach 20 Jahren in blühenden Landschaften angekommen sind. Aber jeder Autor ist natürlich seinen eigenen Weg gegangen.

Und Ihr Fazit?

Es ist ein eigener Blumenstrauß für Brandenburg geworden, muss ich sagen. Es ist schon eine Liebeserklärung an die Menschen, die in dem Land leben. Aber es beschönigt in keinster Weise die Umstände, unter denen sich die Brandenburger durchschlagen müssen. Die Filme handeln, oft beiläufig, von den Narben, die die Leute hier in ihrer Seele haben. So ist das zum Beispiel im Film von Uli Gaulke über eine Panzerfahrschule in Steinhöfel. Dort haben zwei ehemalige Fähnriche der NVA ein paar schrottreife Panzer gekauft und eine Art Abenteuerspielplatz für Militärbegeisterte und Freaks gebastelt. Das klingt erst mal lustig, aber die Geschichte nimmt dann eine überraschend ernsthafte Wendung. Und daraus kann man viel über die Leute lernen, die hier leben.

20 Dokumentarfilme, 5 Stunden nonstop in der besten Sendezeit - ein Selbstmordkommando für einen Sender?

Mag sein. Zum Glück gibt es bei solchen Projekten auch noch andere Kriterien als die Quote. Ich kann es gar nicht hoch genug schätzen, wenn ein Sender einfach mal etwas riskiert und sagt: Wir schmeißen unser ganzes Sendeschema über Bord. Heiligtümer wie die Nachrichten "RBB Aktuell" um 21.45 Uhr wird es an diesem Abend nicht geben. Vielleicht werden Leute versehentlich einschalten und statt des Nachrichtenmagazins zu ihrer Überraschung den Panzerschulenfilm sehen und hängen bleiben. Das wäre schon viel. Und auch, wenn es nicht funktioniert: Solche Projekte müssen trotzdem gemacht werden, gerade von den öffentlich-rechtlichen Sendern. Die Leute haben schon längst vergessen, dass im Fernsehen nicht immer die endgültigen Wahrheiten per Kommentar verkündet werden müssen. Von den 20 Filmen haben nur zwei einen sehr persönlichen Kommentar der Filmemacher. Ich hoffe, die Leute fangen nicht an, nach der fehlenden Tonspur zu suchen!

Wenn viele namhafte Regisseure wie Rosa von Praunheim oder Thomas Heise zusammenarbeiten, ist da nicht Streit programmiert?

Lustigerweise überhaupt nicht. Ich hatte auch befürchtet, dass wir uns alle zerreiben würden. Aber es ging ja darum, den Autoren die Freiräume zu geben, die sie sich immer wünschen. Und insofern gab es keinen Anlass zum Streiten.

Ihr Markenzeichen ist die Empathie mit Ihrer Crew und Ihren Schauspielern. Sind Sie harmoniesüchtig?

Durchaus. Ich glaube schon, dass ich das bin. Jeder Mensch möchte gemocht werden, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass ich ein bisschen zu nett erzähle. Ich bewundere Leute wie Luis Buñuel, die mit so einer Radikalität und Bosheit über Dinge erzählen können, ohne dabei die Leute zu verraten.

Wären Sie gerne auch mal böse?

Ja. Weil ich glaube, dass die Welt nicht aus Nettigkeiten gemacht ist. Die Welt ist rau und hat ihre Abgründe, und von denen muss man auch erzählen. Aber das ist ein Lernprozess, wie man mit Geschichten umgeht.

Ihr eigener Film erzählt sehr ästhetisch und positiv von Fabrikarbeitern. Haben Sie das Thema verklärt?

Wenn, dann hat das mit der Halle zu tun, wo wir gedreht haben. Dort ist eine ganz besondere Atmosphäre, denn dort arbeiten viele Ältere - teilweise schon über 40 Jahre. Es gibt ein schönes, leider fast verstaubtes Wort, das heißt Solidarität. Das hat mich in dieser Halle gerührt, dass die Leute füreinander einstehen. Auch uns gegenüber. Wir haben im Juli gedreht während dieser wahnsinnig heißen Tage. In der Halle waren über 40 Grad. Wir haben alle geschwitzt und es entstand so ein Gefühl, dass man gemeinsam im selben Boot sitzt. Und dann brachte uns einer plötzlich drei Bockwürste und sagte: Hier, ihr müsst auch mal was essen. Das erlebt man sehr selten, finde ich.

Bild: rbb
Im Interview: 

Andreas Dresen 1963 in Gera geboren, studierte Dresen von 1986 bis 1991 Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf". Für Spielfilme wie "Halbe Treppe" (2002), "Sommer vorm Balkon" (2005) oder "Wolke 9" (2008) erhielt er zahlreiche Preise.

Trotzdem malochen im Film alle gerne. Keiner scheint daran kaputtzugehen. Warum?

Es gibt schon einen, der sagt: Du bist als Arbeiter der letzte Arsch. Wenn du in der Schule nicht aufgepasst hast, musste du eben das machen, was übrig bleibt. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich keinen gefunden habe, der nicht froh ist, diesen Job zu haben. Das hat zum einen damit zu tun, dass sie gut bezahlt werden. Zum anderen, dass sie eine sehr komplexe Arbeit verrichten, die wenig mit der klassischen Fließbandarbeit zu tun hat. Man hat ja sofort das Klischee von "Modern Times" im Kopf, wenn man an Fließband denkt.

Was ist an dem Klischee falsch?

Zum Beispiel würde das Klischee sagen: Wenn die Schicht um sechs Uhr früh beginnt, sticht der Arbeiter um fünf vor sechs ein, geht an seinen Arbeitsplatz, und lustlos geht's an Werk. Ich wollte drehen, wie die Lichter in der Halle angehen. Sie gehen aber bereits um 4 Uhr 30 an, weil da schon der Erste kommt und für die anderen Kaffee kocht. Um Viertel nach fünf ist die Halle schon voller Leben und die Leute lesen Zeitung oder quatschen.

Das klingt fast romantisch.

Arbeit ist mehr als Broterweb, hat eben auch eine starke soziale Komponente. Ich bin vielleicht romantisch, aber ich bin auch Realist. Ich mag Menschen und haue sie ungern in die Pfanne. Weil ich mich selber als so widersprüchlich in dieser Welt empfinde, dass ich denke, man muss Menschen auch ihre seltsamen Seiten lassen. Und davon erzähle ich gern. Wenn Sie das als romantisch bezeichnen, bin ich gern ein Romantiker.

Sie selbst kommen aus einer Künstlerfamilie, Mutter Schauspielerin, Vater Theaterregisseur. Ist Ihr Interesse für die "kleinen Leute", die immer wieder in Ihren Filmen vorkommen, eine Rebellion gegen das eigene Elternhaus?

Das glaube ich nicht. Mich haben die Leute, die nicht so im gesellschaftlichen Fokus stehen, schon immer interessiert. Das war auch zu Ostzeiten schon so. Ich möchte bei meinen Geschichten nicht auf einen fahrenden Zug aufspringen, sondern über etwas erzählen, wo es ein Defizit gibt. Und Fabrikarbeiter kommen im Fernsehen und in den Medien sowieso kaum vor. Die werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wo sie doch eigentlich im Zentrum stehen sollten. Das sind die Leute, die die Werte erwirtschaften, von denen wir alle leben. Ich wollte diese Menschen aus der Versenkung holen, ihnen ein Stück Würde zurückgeben.

Was machen Sie am 3. Oktober?

Auf jeden Fall werde ich nicht zu irgendwelchen Sektempfängen gehen. Ich werde einfach mal im Bett bleiben und ausschlafen.

"20xBrandenburg", Freitag 1. Oktober, RBB, 20.15 Uhr

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