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Kommentar ungarisches MediengesetzLeider kein Triumph

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Die ungarischen Verfassungsrichter haben sich bisher nicht mit Courage hervorgetan. Vermutlich soll das kritische Urteil ein Signal an das Ausland sein.

U ngarns Verfassungsgerichtshof hat Teile des seit Jahresbeginn geltenden Mediengesetzes aufgehoben. Einzelne Bestimmungen verstoßen gegen die Pressefreiheit. Eine Entscheidung, die von Presseleuten in Ungarn und dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) gleichermaßen begrüßt wird. Der DJV feiert den Spruch jedoch nicht als "Sieg für die Pressefreiheit". Denn mit Inkrafttreten der neuen Verfassung in zehn Tagen werde er bedeutungslos.

Da hat der DJV wohl recht. Warum die Verfassungsrichter, die sich sonst nicht durch Entscheidungsfreudigkeit hervorgetan haben, gleichsam in letzter Sekunde Courage zeigen, ist nicht eindeutig zu interpretieren. Mit Jahresbeginn wird das Verfassungsgericht durch erzwungene Frühpensionierungen und die Erweiterung um zusätzliche Mitglieder ganz anders, nämlich noch regierungskonformer, aussehen.

Kritik an den oft schludrig im Schnellverfahren beschlossenen Gesetzen ist dann noch weniger zu erwarten. Also zeigen jetzt Leute, die bald nichts mehr zu sagen haben werden, Premier Viktor Orbán, der infolge der Wirtschaftskrise auch politisch angeschlagen ist, die Zunge.

Bild: privat
RALF LEONHARD

ist Österreich- und Ungarnkorrespondnet der taz mit Sitz in Wien.

Es gibt aber auch eine andere Deutung, wonach der Spruch - wie alle anderen Entscheidungen bisher - mit Orbán abgesprochen war und als Signal für das Ausland gemeint ist: Seht her, Ungarn ist ein Rechtsstaat. Selbst die EU hatte ja anfangs gegen die Einschränkung der Medienfreiheit protestiert.

Die rechtsnationalistische Regierungspartei Fidesz, die das Mediengesetz stets als Glanzstück der Demokratie verteidigt hatte, war jedenfalls vorab informiert und keinesfalls überrumpelt. Selbst wenn die beanstandeten Artikel nachgebessert werden sollten, muss Orbán keine Abstriche machen. Für die Gleichschaltung der Medien ist die Regierung nicht auf das Mediengesetz angewiesen.

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
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1 Kommentar

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  • S
    stargarten

    In der Tat haben die Verfassungsrichter vorweggenommen, was vor dem EuGH eh kassiert worden wäre. Unangetastet ließen sie jedoch die eigentlichen Kernpunkte der Pressezensur:

     

    Die über alles wachende Medienbehörde ist auf eine loyale Zentralfigur zugeschnitten, die die Medien nach belieben drangsalieren und ausschalten kann (Beispiel heute Abschaltung des einzigen kritischen Radiosenders Klubradio).

     

    Zum anderen bedeutet die Zentralisierung aller öffentlich-rechtlichen Medien und der komplette Austausch ihrer Führunsgriege eine quasi Hoheit über die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung.

     

    Da kann man als Verafssungsgericht gerne mal die wenigen Tageszeitungen arbeiten lassen und die Online-Medien verschonen, die ohnehin nicht einzufangen sind.

     

    Die neue Verfassung verändert an der Lage praktisch nichts. Sie zementiert die Zensur ein wie sie ist und hält einen bunten Strauß von Repressalien bereit, die wir etwa aus Russland kennen. Die Presse in Ungarn ist seit Montag endgültig nicht mehr frei.