THEATER: Ground Control to Don Quijote
Wenn Religion und Politik nicht mehr helfen, dann hilft radikaler Subjektivismus. Zu erfahren ist das in der "Don Quijote"-Inszenierung, die das Hamburger Thalia-Theater auf die Bühne gebracht hat - kurz nachdem in einer anderen Sache ein Proteststurm losgebrochen war
HAMBURG taz | Das Theater ist voll bis auf den letzten Platz, die Premierengäste sitzen da und warten, aber das Licht geht nicht aus. Um 20 Uhr hätte es losgehen sollen und es vergehen gut zehn Minuten, bis vorne auf der Bühne etwas passiert. Der Intendant kommt auf die Bühne, die Arme verschränkt, der Gesichtsausdruck ernst. "Wir haben ein technisches Problem und die schlechte Nachricht ist: Wir haben es noch nicht gelöst. Wir wissen nicht, ob wir das Stück zeigen können. Es kann sein, dass wir während der Vorstellung abbrechen müssen. Aber wir wollen es versuchen."
Das technische Problem bei der Premiere von "Don Quijote. Trip zwischen Welten" bestand darin, dass das Pult des Inspizienten ausgefallen war. Um es vorwegzunehmen: Die Premiere am vergangenen Wochenende musste nicht abgebrochen werden, das Hamburger Thalia-Theater hatte Glück.
Dafür steht das nächste Problem bereits fest: Fundamentalistische Christen haben Proteste gegen die Aufführung des Stücks "Gólgota Picnic" am kommenden Montag angekündigt. Auf der Internetseite kreuz.net etwa bezeichnet eine Margareta-Maria Huebner die Theatermacher als "Lumpen" und kündigt für die Aufführung indirekt "Störmaßnahmen" an - mit Stinkbomben, Tränengas und Alarmsignalen. Ferner hat die traditionalistische Piusbruderschaft zum Protest gegen das aus ihrer Sicht gotteslästerliche Stück aufgerufen.
Auch Don Quijote hat zum Thema Religion einiges zu sagen, allerdings sind seine Gedanken weit weniger plakativ und für die kreuz.net-Brüder vermutlich zu komplex. Die Religion gebe ihm keinen Halt mehr, sagt Don Quijote, ebenso wenig wie die Politik oder das Geld oder sonst ein externes Angebot zur Daseinsbewältigung. Seine Lösung ist nicht nur ein radikaler Subjektivismus, der Windmühlen wie Drachen erscheinen lässt. Der Thalia-Don Quijote hat auch erkannt, dass die Realität ein Konstrukt ist und er alles Recht dazu hat, seine Welt selbst zu konstruieren. "Ich bin ein absoluter Verfechter der Anti-Realität", sagt er. "An der Realität bin ich zu nullkommanull Prozent interessiert."
So konstruiert wie Don Quijotes Weltsicht ist auch die Inszenierung von Regisseur Stefan Pucher. Eine Geschichte wird nicht erzählt, dafür gibt es Beiträge von acht Autoren, die größtenteils eigens für diese Aufführung geschrieben und als szenisches Patchwork zusammengefügt wurden. Der rote Faden sind die beiden sehr guten Hauptdarsteller Jens Harzer (Don Quijote) und Bruno Cathomas (Sancho Panza). Außerdem halten die beiden Musiker Carsten "Erobique" Meyer und Ben Schadow den Abend mit ironischen musikalischen Kommentaren zusammen.
Don Quijote und Sancho Panza starten mit halbwegs werktreuen Kostümen und befinden sich doch von Anfang an in einer Welt der Spiegelungen. Auf der Bühne steht eine Konstruktion aus Gaze-Vorhang und Spiegeln, die mal unten und oben vertauscht, mal das Geschehen ins Traumhafte entrückt. Dazu gibt es diverse Video-Einspielungen und regelmäßige Drehungen der Konstruktion um sich selbst.
Die Lessingtage am Thalia Theater in Hamburg gehen vom 18. Januar bis zum 4. Februar und bieten Zeitgenössisches und Gegenwärtiges Theater.
Unter dem Motto "Um alles in der Welt - Lessingtage 2012" sind mehr als 70 verschiedene Veranstaltungen geplant.
Zu den gezeigten Theaterstücken gehören unter anderem "Don Quijote" und "Gólgota Panic". Ferner gibt es unter anderem "In Ongenade" von Luk Perceval und "Berlin Elsewhere" von der dortigen Schaubühne.
In seinem Foyer stellt das Thalia Theater einen "Gebetomat" auf, der Gebetstexte gegen Münzeinwurf liefert.
Um Schöpfungsmythen zur Entstehung der Welt geht es bei der Langen Nacht der Weltreligionen (4. Februar).
In dieser Installation macht dann unter anderem eine Wutbürgerin ihrem Ärger über einen geplanten Windpark Luft: Die Schriftstellerin Juli Zeh hat den Kampf gegen die Windmühlen wörtlich genommen und unschwer in der Gegenwart entdeckt. Diedrich Diederichsen hat ein kleines Dramolett über altbräsige Hamburger geschrieben: Die nämlich hießen "Udo" oder "Uwe" anstatt "Don" und trügen ihren Vornamen wie einen Titel. Am besten gelungen aber ist die Reflexion Ginka Steinwachs über Don Quijote und das Potenzial der Literatur, Realität herzustellen.
Szenisch wird Steinwachs Reflexion unter anderem aufgegriffen von Sancho Panza, der die schöngeistige Realitätsflucht seines Herrn irgendwann nicht mehr aushält. In einem wuchtigen Solo zählt er auf, was so ein Gedicht alles nicht hergibt, redet sich in Rage, wird zum geerdeten Gegenpol des Don Quijote - der wiederum durch seine traurigen Augen und seine langgezogenen Vokale wirkt wie ein ebenso charmanter wie autistischer Aristokrat.
Und über allem hängt während dieser Aufführung das Damoklesschwert einer Technik, die jederzeit Fiktion und Realität dieses Premierenabends zunichte machen könnte. Nachher ist zu erfahren, dass das technische Problem durch eine große Teamleistung aufgefangen wurde. Der Inspizient, der das Bühnegeschehen koordiniert, indem er über sein Pult Einsatzkommandos an die einzelnen Abteilungen schickt, kommunizierte an diesem Abend über Funk - und alles klappte wunderbar.
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