piwik no script img

Kuppelshow mit KnebelverträgenSchwer verarscht

In der Kuppelshow "Schwer verliebt" zeigt Sat.1 Übergewichtige auf der Suche nach ihrer großen Liebe. Was man nicht sieht, sind Knebelverträge und psychischer Druck.

"Schwer verliebt"-Moderatorin Britt Hagedorn: "Wer sein Glück nicht in die eigene Hand nimmt, kann bekanntlich lange warten." Bild: Willi Weber/Sat1

Neun mollige Menschen nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand - so wirbt Sat.1 für seine Kuppelshow "Schwer verliebt", die seit 6. November immer sonntags im Abendprogramm des Privatsenders läuft. Das Konzept der Show ist einfach. Menschen mit leichtem oder großem Übergewicht - die Moderatorin nennt sie "unsere Hüftgoldträger" - lernen vor den Augen der Zuschauer möglicherweise passende Partner kennen.

Die Kandidaten frühstücken vor der Kamera gemeinsam Truthahnsalami auf einer Sonnenterrasse im Odenwald, sie lassen sich mit Schokolade einreiben und massieren, sie kuscheln sich unter ihre Bettdecke, sie essen Schaumküsse und lecken sich danach die Finger ab. Sie trinken Sekt.

Und manchmal, so will es das Drehbuch offenbar, geben sie sich einen Kuss auf die Wange. Dazu gibt es lauschige Kuschelmusik und hämische Kommentare aus dem Off. "Wer sein Glück nicht in die eigene Hand nimmt, kann bekanntlich lange warten", sagt Moderatorin Britt Hagedorn.

"Der fröhliche Flötenspieler"

Die gezeigten Situationen sind für die beteiligten Personen oft entwürdigend. Die Kandidaten werden grundsätzlich nur beim Vornamen genannt ("der schüchterne Sportsfreund Fabian") und mit lustigen Attributen versehen ("der fröhliche Flötenspieler Andreas").

Wenn die Kandidaten etwas sagen, dann hört es sich seltsam auswendig gelernt an ("Mmmh, die Salami ist ja wirklich gut"). Warum wird in "Schwer verliebt" so viel gegessen und geschmatzt? Nehmen hier Menschen tatsächlich ihr Schicksal selbst in die Hand? Wohl kaum.

Eher nimmt Sat.1 ihr Schicksal in die Hand; das zumindest haben am Dienstag veröffentlichte Recherchen des ZDF-Magazins "Frontal21" ergeben. Die zuständige Produktionsfirma Grundy Light Entertainment schließt mit den teilnehmenden Kandidaten zweifelhafte Verträge ab, ergab die Recherche. Jeder Kandidat muss sich damit einverstanden erklären, dass er "möglicherweise während der Produktion Situationen erlebt, die für ihn psychisch oder physisch belastend sein können".

Zudem untersagt Grundy Light Entertainment den Kandidaten, während der Produktion ihr Aussehen wesentlich zu ändern. Bis zu 15 Drehtage werden laut Vertrag mit 700 Euro entlohnt. Die Kandidaten dürfen über den Inhalt des Vertrags nicht sprechen, auch das ist vertraglich geregelt. Den Vertrag habe ihr ein Kurier vorbeigebracht, so eine "Schwer verliebt"-Kandidatin vor der Kamera des ZDF. Sie habe knapp fünf Minuten Zeit gehabt, die Klauseln zu lesen, dann habe der Kurier den Vertrag wieder mitgenommen.

Sat.1 schweigt

Während des Drehs habe man sie unter Druck gesetzt: Sie habe einen anderen Kandidaten vor der Kamera küssen müssen. Gegen ihren Willen. Ein anderer Kandidat berichtet dem ZDF von "psychischem Druck" und der "diktatorischen Art und Weise", mit der die Produzenten ihre Vorstellungen umsetzen und die Protagonisten dirigieren. Die Sendung, so der Kandidat, gehorche einem präzisen Ablaufplan.

Sat.1 will zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen. Zu Vertragsinhalten äußere sich der Sender grundsätzlich nicht, so eine Sprecherin gegenüber der taz. Der Sender schiebt die Verantwortung ab und verweist auf den Produzenten der Sendung, Grundy Light Entertainment in Köln.

Das Unternehmen produziert neben "Schwer verliebt" Sendungen wie "Das Supertalent" (RTL), "X Factor" (Vox), "Bauer sucht Frau" (RTL) und "Das Quiz mit Jörg Pilawa" (ARD). Auch Showlegende Thomas Gottschalk lässt seine neue Vorabendsendung, die im Januar in der ARD startet, von Grundy Light Entertainment produzieren. Man wolle die Vorwürfe nun prüfen, so eine Grundy-Sprecherin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

21 Kommentare

 / 
  • N
    n00b1st

    @ Rizo:

     

    Deinem ersten Kommentar ist/war eigentlich nichts hinzu zufügen. Der bringt es schlicht auif den Punkt.

    Schade das dich anschliessnde Kommentare veranlasst sahen Rechtfertigungen/Erklärungen nachliefern zu müssen.

     

    @ Schuld und Bühne:

     

    Wer mit dem Argument "...Wenn naive und leichtgläubige Menschen..." in eine Diskussion startet, disqualifiziert sich von Anfang an selbst zu dieser Diskussion überhaupt konstruktiv beizutragen. Wer so "argumentiert" sollte meiner Meinung nach besser selbst aufpassen nicht "Opfer" solcher "Machenschaften" zu werden.

  • R
    Rizo

    @ Icke: Was man so alles in einen Kommentar reininterpretieren kann...sagenhaft!

     

    Falls Sie der Meinung sind, dass die von mir erwähnte Praktik nicht im Leistungsspektrum vieler SexarbeiterInnen (Ist das so politisch korrekt geschrieben?) enthalten ist, dann haben Sie die falschen Vorstellungen von der Branche.

     

    Ich habe weder geschrieben noch gemeint, dass eine Prostituierte alles mitmacht bzw. mitmachen muss - genausowenig wie die Darsteller von Fernsehshows. In beiden Fällen handelt es sich um erwachsene Menschen, die im Vorfeld ja oder nein sagen und Preise aushandeln können. Für beide gelten die selben Regeln - trotz unterschiedlicher Dienstleistungen.

  • S
    Show-Kuppel

    Im Rahmen der Mogel-HD-Diskussion und Analog-Abschaltungs-Diskussionen wäre schön, wenn man massivst auf "nach Drehbuch gespielt" vor und jeder Werbepause sehen würde.

    Schade das ich die RTL2-Eigenwerbung zu den Doku-Sendungen nicht aufgenommen habe :-((( Da wurde ein Seriöser Eindruck gemacht.

     

    Über Nachfragen bei den Werbekunden würden die TV-Sender vielleicht freiwillig die Auflösung und "nach Drehbuch gespielt" und "gedreht April-Juli 2011" o.ä. einblenden. Schade das Piraten sowas nicht organisieren. Vielleicht ja weil man dafür erst gewählt sein und tausende Bekannte als Beamte eingestellt haben muss... . Oder weil Heissluft-Ballon-Opposition besser ist als fürs Volk etwas gebacken zu kriegen ohne unsere Steuern zu verprassen.

  • N
    Nina

    Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Frontal21 das Thema nicht zum ersten mal aufgegriffen hat. "ZurSache Rheinland-Pfalz" hatte am 1.12. auch schon über die Frau berichtet (wobei der Bericht evtl. weniger ausführlich war):

     

    http://www.swr.de/zur-sache-rheinland-pfalz/-/id=7446566/nid=7446566/did=8770846/1psnmy5/index.html

  • I
    icke

    @ Rizo

     

    Das größte Problem scheint mir zunächst ihre Vorstellung von Sexarbeit zu sein. Das Prostituierte gegen Geld gefälligst zu tun haben, was immer sie verlangen ist eine Idee die man im allgemeinen der "rape culture" zurechnet. Richter vom gleichen Schlage weisen dann auch mal Vergewaltigungsklagen von Sexarbeiterinnen zurück, weil diese ja im eigentlichn Sinne gar nicht vergewaltigt werden können.

    Das sowas auch für Leser einer "linken" Tageszeitung normal ist, spricht schon für sich.

  • R
    Rizo

    @ Schuld und Bühne:

    Ach Gottchen, was du dich aufbläst!

    :-)

    Pass mal auf, Kollege: Das sind erwachsene Menschen, und keine Kinder. Wenn man irgendeinen Vertrag unterschreibt, ohne ihn gelesen zu haben, dann ist man halt selbst schuld wenn man abgezockt wird. "Auf´s derbste gedrängt", ich lach mich schlapp. Als ob man sie mit vorgehaltener Waffe gezwungen hätte. Mit solchen mediengeilen Vollidioten habe ich absolut null Mitleid.

     

    @ Christine:

    Hier noch ein weiterer Unterschied:

    Die Prostituierte wird anal penetriert.

    Die Darsteller von "Schwer verliebt" nicht.

     

    Die wesentliche Gemeinsamkeit:

    Beide haben sich (als mündige, volljährige, wahlberechtigte Bürger einer Demokratie) freiwillig und gegen Bezahlung dafür hergegeben.

  • I
    imation

    Wer dort mitmacht und nicht merkt das er sich zu Obst macht ist:

    A. total dumm, dann ist es aber auch egal; oder

    B. ihm ist es sowieso egal.

     

    Die Leute die dort oder bei ähnlichen Sendungen mitmachen tuen dies freiwillig.

    Und jeder hat schliesslich das recht dazu das andere über ihn lachen.

  • K
    Kaiserbubu

    Das Konzept bedient den Zeitgeist. Es ist den neoliberalen Think Tanks in Zusammenarbeit mit den Medien gelungen die "Verhältnisse" auch gesellschaftlich durchzusetzen. Ist es in der bürgerlichen Medienwelt der arbeitende Mittemensch, der auf die faulen, arbeitslosen Hartz IV Prekarianer eindrischt, sind es im Brot und Spiele TV Die, die nicht der bürgerlichen Norm entsprechen,die auf die Fresse kriegen. Man könnte auch sagen:" Die, die nichts haben schlagen auf Die ein, die gar nichts haben und können sich dazu noch an den "aus der Norm Gefallenen im Fernsehen selbstbefriedigen." Das entspannt und lenkt von Denen ab, die für die "Verhältnisse" eigentlich zur Verantwortung gezogen werden müssten.

  • C
    Christine

    Hallo Rizo, solch einen Kommentar hätte ich nicht unter einem Artikel der TAZ erwartet!

    Der Unterschied!?

    Die Prostituierte wird sicherlich nicht auf alle ihre Wünsche eingehen!! Sie hat auch ihre Grenzen.

    Der Unterschied hier: Ein Millionenpublikum sieht zu und das hat Konsequenzen für die gezeigten Menschen! Sie und ihre Prostituierte werden nicht dem Fernsehpublikum vorgeführt! Es bleibt geheim!!

    Die Teilnehmer solcher Sendungen werden verarscht und benutzt ohne vorher darüber aufgeklärt zu werden. Und jetzt sagen Leute wie sie auch noch: selber Schuld!

  • J
    Jengre

    @Rizo:

     

    Bei Dir und Deinesgleichen.

  • P
    Philipp

    Ich verstehe die Aufregung auch nicht - und zwar, da die Verträge, wenn man sie im Wortlaut -und nicht in den Auszügen, die hier veröffentlicht wurden- liest, schlicht branchenübliche Verträge sind. Die Verschwiegenheitsklausel zum Beispiel erklärt sich schlicht daraus, dass die Verantwortlichen aus verständlichen Gründen nicht wollen, dass der Inhalt der Sendung vor Ausstrahlung bekannt wird.

     

    Der einzige wirkliche Skandal ist, dass das Lohndumping in der Filmbranche mit einer Pauschale von 700 Euro für 15 Drehtage als de-facto-Hauptdarsteller eine neue Dimension angenommen hat.

  • S
    Smi

    Da kann ich Rizo nur zustimmen. Dass während der Dreharbeiten psychische und physische Belastungen auf die Teilnehmer zukommen, scheint mir eine Selbstverständlichkeit zu sein. Dass man sich in aller Öffentlichkeit zum Deppen macht, wenn man an solchen Shows teilnimmt, ist inzwischen auch allen hinlänglich bekannt.

     

    Beklagenswert finde ich eher, dass die (bislang) seriöse Presse mehr und mehr über diesen und ähnlichen Schwachsinn berichtet. Wenn schon, dann schreibt doch wenigstens über die allgemeine Hirnlosigkeit, die eine offensichtlich stabile Zuschauerquote solcher Sendungen impliziert.

  • SU
    Schuld und Bühne

    @ Schizo

     

    Wenn naive und leichtgläubige Menschen, die in diesem Einzelfall noch zu 50% behindert waren, aufs derbste gedrängt werden, Verträge zu unterzeichnen, die sie, selbst wenn sie Zeit bekommen hätten, diese zu lesen, nicht verstanden hätten; wenn bei Nicht-Einhaltung des "Drehbuches" (und man sich z.B. als Adipöser vor der Kamera nicht ausziehen will) mit Vertragsstrafen von 500€ gedroht wird, die charmante Moderatorin "BriTT" die "Kandidaten" nie getroffen hat und wenn die Stromrechnung des Kamera-"teams" das Dreifache des Gehaltes für die Sendung übersteigt (der Kandidat also am Ende dafür bezahlen darf, in der Sendung zu sein)

     

    DANN IST DA VERD**MT NOCHMAL EIN PROBLEM !!!

     

    Um bei deinem wirklich angebrachten Beispiel zu bleiben, wäre das in etwa so, Kinder mit Süßigkeiten ins Auto zu locken, um sich an ihnen zum eigenen Vergnügen (und derer, die das Video sehen) zu vergehen sowie ihnen zu drohen, falls sie "Probleme" machen und Hilfe suchen, man sie fertig machen wird und es die Eltern und alle erfahren.

     

    Du hast echt keinen Durchblick. In welcher Welt lebst du? In der von RTL und SAT1? Das ist die Hölle!

     

    Die Erde ist eine Kugel und keine Scheibe ...

  • N
    nocomment

    Bitte, was soll die Betroffenheitsrethorik? Haben diese schwer Hilfsbedürftigen sich da freiwillig gemeldet oder hat man sie gezwungen? Wer so doof ist, bei einer solchen Produktion eines Senders wie SAT1 mitzumachen, hat, sorry, aber so ist das, nun mal selbst schuld. Wenn man sich in dieser Weise zur Schau stellen lässt, und meint, es ginge um mehr, als um die Befriedigung primitivster Voyeurstriebe, merkt wohl gar nichts mehr.

  • R
    r.kant

    Ich hoffe die Regierung wir reagieren. Es kann nicht sein das RTL einfach in fremde Wohnungen einbricht, die Bewohner kidnappt und dann gegen deren Willen in solche Shows schleppt.

  • F
    Flosn

    Die Leute sind doch selber schuld, wenn sie bei so einer Sendung überhaupt erst mitmachen. Sonst würde es solche Sendungen doch gar nicht erst geben.

  • V
    viccy

    Finde auch (so wie wohl UliB), dass Herr Kreymeyer mit seiner überaus besuchenswerten Webpräsenz fernsehkritik.tv stärkere mediale Erwähnung verdient hat.

  • S
    Sonja

    Prinzipiell finde ich derartige Sendungen unerträglich. Mir genügen schon die Vorschauen in den Werbepausen. Aber, offenbar gibt es ein Publikum dafür, sonst würde man diesen Mist nicht drehen.

     

    Die Darsteller, die sich dort bloßstellen, wurden nicht gezwungen die Verträge zu unterschreiben. Das ist nun mal Fakt.

     

    Sofern sie nicht durch einen Vormund vertreten werden, sind sie voll geschäftsfähig.

     

    So leid mir diese Leute tun, sie haben sich durch ihre eigenen Wunschvorstellungen, die vom Sender natürlich nicht erfüllt werden, zu diesem Schlamassel verleiten lassen. Vielleicht können ihre Anwälte die Verträge wegen Sittenwidrigkeit anfechten.

  • R
    Rizo

    Ich verstehe ehrlich gesagt die Entrüstung in diesem Artikel nicht.

    Wenn ich eine Prostituierte anheuere, kann ich ja wohl schließlich auch erwarten dass sie sich an einen (von mir ganz allein und völlig undemokratisch bestimmten) "festen Ablaufplan" hält, zu gewissen Handlungen bereit ist, die manche Menschen als unschön bezeichnen würden, und danach nicht über den Inhalt unseres Vertrages mit einem Dritten spricht. Dafür wird sie ja bezahlt.

     

    Wo, bitteschön, ist jetzt das Problem?

  • U
    UliB

    Diesen Stein ins Rollen gebracht – wie auch viele andere Belege zu Manipulation und Menschenverachtung im Fernsehen gesammelt – hat Holger Kreymeier mit seinem Internetformat www.fernsehkritik.tv.

    Interessant, dort nachzuvollziehen, wie sich ausgerechnet RTL mit seinen Sendungen, die die Würde des Menschen schon lange nicht mehr anerkennen, gegen satirische Seitenhiebe mit schersten Geschützen wehrt.

  • F
    Flint

    Spaß haben auf dem Rücken der Anderen...war das nicht schon immer das Konzept der Wahl??

    Nicht, daß ich das gutheißen möchte, aber so ist er, der moderne Medien-Mensch: Nichts amüsiert ihn mehr, als das Elend der Mitmenschen.

    Fette Schweine, hoffnungslose Messis und arbeitslose Gratler - das sorgt für Kohle und Quoten.

     

    Schade, aber so ist das.