Reaktion auf instabile Währungsunion: Konzerne drohen mit Kapitalflucht
US-amerikanische und britische Firmen drohen mit dem Abzug von Kapital aus dem Euroraum. Experten erkennen darin nichts als Propaganda.
HAMBURG taz | Zu den täglichen Schreckensmeldungen über den Zustand des Euro ist eine neue hinzu gekommen: Laut Medienberichten rüsten sich Shell, Vodafone und andere britische sowie amerikanische Konzerne für einen Zerfall der Währungsunion. Es drohe eine Kapitalflucht aus dem Euroraum.
Beobachter bewerten solche Meldungen als Panikmache, um dem Euro als Dollar-Konkurrenten zu schaden oder die Europäische Zentralbank zu weiteren Aktivitäten zu ermuntern.
Den Anfang machte der britisch-niederländische Ölkonzern Shell. Finanzvorstand Simon Henry sagte der Londoner Tageszeitung The Times, man ziehe wegen der Schuldenkrise Gelder aus Europa ab. Das Unternehmen wolle die 15 Milliarden Dollar Barmittel stattdessen in US-Staatsanleihen oder bei US-Banken anlegen.
Auch der Mobilfunkkonzern Vodafone soll jeden Abend überschüssiges Bargeld abziehen, wenngleich nur aus Griechenland und der britische Pharmariese Glaxo Smith Kline überweist angeblich täglich Geldbeträge aus dem Euroraum nach London. Allerdings handelt es sich dabei nur um zweistellige Millionenbeträge.
Ängste vor einer Kapitalflucht aus dem Euroraum hält der Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup für unsinnig. „Das sind doch alles nur Propagandameldungen.“ Wie sollten Industriekonzerne denn ihr Kapital aus Europa abziehen, fragt der Professor an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen und Mitverfasser der jährlichen Memoranden der linken Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik rhetorisch: „Das geht technisch gar nicht.“
Tochtergesellschaften von Shell, General Motors oder Citigroup hätten schließlich eine eigene Rechtspersönlichkeit, aus denen man nicht einfach Geld und Kapital abziehen könne. Lediglich das Bargeld werde von einem zentralen Cashmanagement global gesteuert. „Zentral werden die Finanzspitzen täglich weltweit ausgeglichen“, sagt Bontrup.
Bedingungslose Aufkäufe von Staatsanleihen
Mit den Kapitalflucht-Meldungen sei einfach mal eine politische Botschaft abgesetzt worden, um dem Dollar-Konkurrenten Euro eins auszuwischen oder um die Europäische Zentralbank zu bedingungslosen Aufkäufen von Staatsanleihen zu ermuntern. So fordern es die Großbanken und Teile der Industrie selbst innerhalb der Eurozone.
Ähnlich wie Bontrup misst die Deutsche Bundesbank den sommerlichen Kapitalflucht-Meldungen nur „anekdotische Evidenz“ zu. Auch Analysten der privaten Banken halten sich zurück. Die verfügbaren Statistiken seien nicht detailliert und aktuell genug, um aussagekräftige Aussagen zu treffen, heißt es aus einem großen Kreditinstitut. Die jüngsten Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) für das erste Quartal zeigen keine Flucht aus dem Euro in den Dollar.
Eher weisen die BIZ-Statistiken aufVerschiebungen bei Finanzanlagen innerhalb des Euroraumes hin. „Dank des Euro kann jeder gewünschte Betrag ohne Kursverluste transferiert werden“, sagt Friedrich Thießen, Professor an der TU Chemnitz. Die Flucht von Geld hinterlasse in den betroffenen Ländern „in gewisser Weise verbrannte Erde“, indem sie die finanziellen Ressourcen entziehe, die zu einem Wiederaufschwung nötig wären. „Dann sind die Politiker gezwungen, drakonische Maßnahmen zu ergreifen.“ An erster Stelle wären das Kapitalverkehrskontrollen.
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