piwik no script img

Plagiate und Doktorarbeiten"Wir müssen genauer hinschauen"

Koch-Mehrin und Guttenberg: Hochschulrektoren-Chefin Wintermantel über Lehren aus den Promotionsaffären und die Betreuung von jungen Wissenschaftlern.

Skeptisch: Margret Wintermantel, Präsidentin der deutschen Hochschulrektorenkonferenz. Bild: dpa
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Frau Wintermantel, ich habe Ihnen mal eine Promotion aus dem Bereich Medizin mitgebracht. Hätten Sie dafür einen Doktortitel vergeben?

(blättert in der Arbeit) Ich habe nicht genügend medizinisches Fachwissen für eine fundierte Beurteilung. Aber etwas dünn kommt mir die Arbeit schon vor.

Hier wird auf Daten zurückgegriffen, die der Verfasser gar nicht selbst erhoben hat. Als Ergebnis werden seitenfüllende Grafiken präsentiert wie diese: Geschlechtsverteilung der Patienten, 96 männlich, 20 weiblich.

Ja, das sind viele Tabellen (blättert weiter). Letztlich kann man aber den Gehalt einer Arbeit nicht außerhalb des Fachs beurteilen.

Karl-Theodor zu Guttenberg hat zwei Drittel seiner Arbeit abgekupfert, Silvana Koch-Mehrin "nur" ein Drittel. Ist es nicht peinlich für die Unis, dass diese Betrugsfälle durch eine Riege von ehrenamtlichen Internetdetektiven aufgedeckt wurden und hochdotierte Professoren nichts gemerkt haben?

Es stimmt nicht, dass die Hochschulen erst durch "Internetdetektive" auf Plagiate aufmerksam wurden. Auch im Fall Guttenberg kam der erste Impuls aus der Wissenschaft. Es hat in der Wissenschaft wie in anderen Lebensbereichen leider immer Betrügereien gegeben. Und auch früher wurden Plagiate aufgedeckt. Wir haben diese schlimmen Fälle nicht gebraucht, um genauer auf die Doktorarbeiten zu schauen.

Bild: dpa
Im Interview: 

Margret Wintermantel (64): die Psychologin ist seit 2006 Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz. Zuvor war sie Chefin der Universität des Saarlandes.

Die interne Kontrolle funktioniert also bestens?

Sie scheint ja nicht so zu funktionieren, wie es nötig wäre, sonst hätte es diese Fälle nicht gegeben. Die Hochschulen müssen da genauer hinschauen und die Einhaltung der Standards wissenschaftlicher Arbeit prüfen. Es braucht Wahrhaftigkeit und Vertrauen.

Was wollen Sie tun?

Wir können als Hochschulrektorenkonferenz nichts vorschreiben, sondern nur Empfehlungen geben. Das wollen wir und deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit der Weiterentwicklung der Qualitätsstandards bei Promotionen beschäftigt. Man wird sich dabei weniger auf die Betrugsperspektive konzentrieren, sondern auf die Frage, wie sichergestellt wird, dass in Promotionen Forschung von hoher Qualität betrieben und damit Beiträge zur wissenschaftlichen Erkenntnis im jeweiligen Fach geleistet werden.

Welcher Art könnten diese Empfehlungen sein?

Ich stelle mir vor, dass alle Doktorandinnen und Doktoranden ihren Platz in der Fakultät haben, mit ihrem Thema in ein größeres Forschungsprogramm und somit in einen wissenschaftlichen Diskurs mit ihren Betreuerinnen und Betreuern eingebunden sind. Sie sollten ihre Erkenntnisfortschritte regelmäßig vortragen und ihre Ergebnisse müssen sie auf nationalen und internationalen Konferenzen präsentieren dürfen. Die Idealvorstellung ist, dass sich Betreuer und Doktorand jeden Tag sehen und dass ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen besteht.

Wann wird die Hochschulrektorenkonferenz diese Empfehlungen herausgeben?

Wir werden sie voraussichtlich Ende nächsten Jahres vorlegen.

Sehen Sie den Doktortitel durch die jüngsten Betrugsfälle entwertet?

Aus meiner Kenntnis der deutschen Universitäten sage ich deutlich: Nein! Ich weiß, wie viele junge Leute mit Intelligenz, Fleiß, Redlichkeit und Wahrhaftigkeit ihre Doktorarbeit anfertigen. Sie wissen, dass sich weder die Manipulation von Daten noch der Diebstahl von Ideen noch das Plagiieren lohnt. Insofern bekümmert mich das nicht so sehr.

Im Ernst? Die Stimme der Hochschulen sagt zu einem der größten jüngeren Skandale in ihren Häusern: ist mir egal?

Die betroffenen Hochschulen haben Konsequenzen gezogen. Wirklich schockiert war ich über die Gespräche außerhalb der Hochschulen. Ernst zu nehmende Leute haben mit den Schultern gezuckt und gesagt: Was ist daran so schlimm, dass hier geschummelt wurde, jeder von uns hat doch mal in der Schule abgeschrieben. Das hat mich entsetzt. Es war für mich ein Zeichen, dass die Bedeutung der hohen Standards in der Wissenschaft vielen nicht bewusst ist.

Die Promotionsquote in Deutschland ist doppelt so hoch wie in den USA. Jedes Jahr werden 25.000 Promotionen vorgelegt. Glauben Sie, dass diese alle Erkenntnisfortschritte liefern, oder promovieren nicht viele Leute des Titels wegen?

Die Mehrheit der Doktoranden promoviert aus Interesse am Thema. Es ist sicher eine Fehlentwicklung, wenn Leute meinen, sie müssten nur des Titels wegen promovieren.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele medizinische Doktorarbeiten das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Und doch wird ein Viertel aller Doktorarbeiten pro Jahr in diesem Bereich geschrieben, für 80 Prozent der Medizinstudenten ist der Doktor der Regelabschluss.

Das wird ein Thema unserer Arbeitsgruppe sein. Ein Problem ist sicher, dass medizinische Doktorarbeiten studienbegleitend und ziemlich flott geschrieben werden. Aber auch in der Medizin muss der Anspruch des Erkenntnisfortschritts gelten.

Soll ich Ihnen noch verraten, von wem die Arbeit stammt, die ich mitgebracht habe?

Namen tun hier nichts zur Sache.

Die Doktorarbeit "Einfluss der prophylaktischen Sotalapplikation auf die Inzidenz des postoperativen Vorhofflimmerns im Rahmen der aortokoronaren Bypassoperation" wurde von FDP-Chef Philipp Rösler 2002 an der Medizinischen Hochschule Hannover eingereicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

11 Kommentare

 / 
  • JW
    Jens Warntjen

    Leider kommt durch, wohin die jetzige Diskussion auch führen wird:

     

    Nach der Verschulung des Grundstudiums zu einer Art erweiterten "wissenschaftlichen?" Oberschule (und folgerichtigem Abbau der 13. Klasse am Gymnasium!!) soll nun von oben her die Verschulung auch der postgradualen Studien erfolgen.

     

    Bisher gab es auch die Möglichkeit, auch als Externer erarbeitetes Wissen als Promotion einzureichen. Man mußte nicht speziell für ein Promotionsstudium immatrikluiert sein, man konnte es aber. Ein anderer weg war der über eine Assistentenstelle usw. ...

     

    Wenn zukünftig der Zwang kommen sollte, daß man nur noch in einer Herde von Dr.-Aspiranten promovieren darf (und dabei wahrscheinlich dann durch unnötige Regularien gegängelt wird und nebenbei seinem Doktorvater oder dem Fachbereich unbezahlte Lehraufträge halten darf), dann ist dies ein weiterer Sargnagel für die Freiheit der Wissenschaft und der endgültige Abschied von der freien Universität, wie sie die 68er (und auch ich noch in den 80er Jahren) noch erleben durften und in den 70er Jahren mit der Gründung von Reformhochschulen noch forciert werden sollte.

  • S
    SchnurzelPu

    "Die Mehrheit der Doktoranden promoviert aus Interesse am Thema. Es ist sicher eine Fehlentwicklung, wenn Leute meinen, sie müssten nur des Titels wegen promovieren."

     

    Da kann man von einer Psychologin aber mehr erwarten. Die Mehrheit promoviert, weil sie ohne Promotion keinen Job bekommen, oder weil es andere wirtschaftliche Vorteile bringt. Aus Interesse am Theme tun es vielleicht 20%. So ein Schmarrn.

  • G
    GGG

    Aha. Nun also hat das Ministerium für Wahrheit zugeschlagen. Nur noch Guttenberg und Koch-Mehrin stehen im Untertitel. Heute morgen lautete dieser noch:

     

    "Guttenberg, Koch-Mehrin und Rösler. Hochschulrektoren-Chefin Wintermantel über Lehren aus den Promotionsaffären und die Betreuung von jungen Wissenschaftlern."

     

    Tja, kann man hier sagen, die TAZ fälscht ihre eigenen Artikel? Wäre wohl etwas zu hart ausgedrückt, aber hier hat man sich offenbar korrigiert. Nach der Veröffentlichung. Deshalb steht die Ursprungsversion im Raum und ist auch in den Kommentaren dokumentiert.

  • WW
    Wolfgang Weinmann

    Dieser Artikel ist ein Paradebeispiel, mit was für wiederlichen Mitteln LinksGrüne ihr Narrenrecht in dieser Republik inzwischen ausleben. Mit dem größten Selbstverständnis und in größter Selbstüberzeugung wird versucht, eine weitere FDP-Größe im Vorbeigehen zu diskreditieren. Der Zweck heiligt wohl bei LinksGrün alle Mittel gepaart mit grenzenloser Selbstherrlichkeit. Die TAZ zeigt mit solchen Glanzleistungen, daß sie das Niveau eines Herrn Pfeiffer hat. Ich nenne diesen Kampagnen-"Journalismus" schlichtweg verkommen und dreckig. TAZ - zahl ich nicht...

  • AH
    Andi H

    Ein wichtiger Aspekt bei Guttenberg und Merin war sicher die angagierte Parteiarbeit der beiden.Schuld an der Situation sind aber die Prof.die diese Arbeiten als würdig befunden haben!!Was passiert eigentlich mit diesen Blinden?!

    Die Sache bei Guttenberg war sicher schon lange vorher bekannt und da die Wahlen vor der Tür standen mußte gehandelt werden.Einige Kollegen von ihm hatten sicher Angst,daß aus einer sachbezogenen Wahl eine personenbezogene wird...Da hatte sicher einer ein As im Ärmel das er jetzt gezogen hat!Na,und Merin

    da schweigen wir mal drüber.Die war nie da wo sie sein sollte und macht sich dann mit etlichen Aussagen noch überall unbeliebt.Is halt blöd gelaufen für sie...die vorzeige Mutter!

  • D
    Dhimmitry

    Ich denke nicht, dass hier Plagiate von Guttenberg oder Koch-Mehrin mit der Arbeit von Rösler gleichgesetzt werden. Schon gar nicht formal!

    Fakt ist, dass die meisten medizinischen Doktorarbeiten nicht den Standards anderer Fächer entsprechen. Das ist der Witz. Das die dünne Arbeit von Rösler stammt ist lediglich die heitere Pointe...

  • G
    GGG

    Dieser Artikel ist billige Effekthascherei. Im Untertitel setzt die TAZ Philipp Rösler den überführten Plagiatoren Guttenberg und Koch-Mehrin formal gleich. Im Text stützt sich das auf den oberflächlichen Eindruck ("dünn") einer Fachfremden, die dann im ganzen Interview betont, sie könne und wolle die Arbeit nicht bewerten. Offensichtlich bereute Frau Wintermantel schon während des Interviews, eine wertende Aussage über eine ihr völlig unbekannte Doktorarbeit gemacht zu haben.

     

    Man erkennt deutlich den Wunsch der TAZ, einen weiteren Fakedoktor im schwarzgelben Personal auszumachen. Das hat mit seriösem Journalismus nichts zu tun.

  • H
    Holländer

    Nur zwei Gutachter. Der Professor selbst und einem von ihm ausgesuchten Freund/Professor ist keine Kontrolle. Eine Kommission von 5 bis 8 Leute macht es schwieriger nur Freunde einzuladen. In Holland lädt die Universität, statt der Professor/Doktorand, die Gutachter ein. Auch das macht Gefälligkeitsgutachten schwieriger.

     

    Und Professoren sollte man entlassen können; nur dann werden Kollegen den Mut aufbringen gegen Missständen vor zu gehen. Jetzt ist man sicher, wenn man einen Streit anfängt, dadurch bis zur Rente einen Gegner zu haben.

  • D
    Doktormutti

    Liebe taz,

    Philipp Rösler in einer Aufzählung mit Guttenberg und Koch-Mehrin zu nennen ist nichts anderes als Rufmord! Er steht weder auf vroniplag noch sonstwo im begründeten Verdacht ein Plagiat abgeliefert zu haben.

     

    Rösler hat eine medizinische Doktorarbeit verfasst. Und diese sind regelmäßig nicht (!) mit Dissertationen in anderen Naturwissenschaften zu vergleichen. So mancher Student der Medizin beginnt mit seiner Doktorarbeit schon vor dem Ende seines Studiums, so manche Arbeit wird auch schon vor den letzten Prüfungen fertig. In anderen Fächern wäre so etwas undenkbar. Auch die Mindestanforderungen an den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ist bei medizinischen Doktorarbeiten z.B. nicht mit den Anforderungen einer Arbeit in der Biologie vergleichbar. Das hat nichts mit Betrug, Pfusch oder einer Verschwörung der Mediziner zu tun, sondern entspringt der Tradition dieser Disziplin, wonach fast jeder Patient seinen Arzt als "Doktor" ansieht.

     

    All das ist kein Geheimnis! Und so weiß auch jeder Arbeitgeber, der einen Doktor der Medizin als Wissenschaftler (!) einstellen will, dass es sich lohnen kann, sich genauer anzuschauen, wie viel wissenschaftlichen Tiefgang dessen Dissertation hat. Außerhalb der Forschung, im Klinikalltag, ist so etwas für den Patienten aber völlig unerheblich.

     

    Und schließlich: "Hier wird auf Daten zurückgegriffen, die der Verfasser gar nicht selbst erhoben hat."

     

    Was soll das? Wer die Daten erhebt ist hier doch völlig irrelevant! Man kann hervorragende Wissenschaft betreiben, ohne selbst irgendwelche Daten zu erheben, oder von anderen erheben zu lassen. Wenn man es schafft, alte Daten aus anderen Arbeiten auf neue Art auszuwerten, so dass daraus neue Erkenntnis gewonnen wird, ist das absolut in Ordnung. Die Interviewerin mag es für "unsportlich" halten, wenn man nicht eigenhändig Fragebögen verteilt, Patientenakten durchwühlt und dann im Kerzenschein per Strichliste die Daten zusammenträgt, aber das ist kein Kriterium für wissenschaftliche Arbeit.

     

    Röslers Arbeit mag eine etwas dünne Suppe sein. Aber die Interviewerin hat nicht einmal ein Krümelchen von einem Indiz geliefert, dass Rösler unredlich, oder unter dem geforderten Niveau gearbeitet hat. Deshalb ist es schimpflich seinen Namen im Kontext von Promotionsaffären zu erwähnen und es grenzt an Verleumdung ihn in einem Atemzug mit Koch-Mehrin und Guttenberg zu nennen. Solche Kampagnen sind bei der Springer-Presse besser aufgehoben!

  • GN
    Guido Nierhauve

    Mößbauer hat für seinen Physik-Nobelpreis eine Arbeit von ein paar Seiten erhalten. Die Qualität einer Arbeit in Abhängigkeit von der Masse bedruckten Papiers ableiten zu wollen ist wirklich bekloppt. Das ist so, als ob eine Partitur danach bewertet würde, wie viele Noten denn da drin sind.

     

    Aber so ist das mit Frau Wintermantel, wenn erst mal ihre linke Vision von verschultem Klein-Klein-Lernen gegriffen hat, wird das Niveau unserer Bildung ein neues Minimum auf der nach unten offenen Schlichtheitsskala erreichen. Ich frage mich ernsthaft, in wessen Auftrag sie dieses Land so geschädigt hat.

  • R
    Rod

    Der deutsche Doktortitel gerät immer mehr ins Abseits. Doktoranden müssen als Doktorand die meiste Zeit den Laufburschen für ihre Professoren spielen. Sie halten Vorlesungen, auf die der Professor keine Lust hat, korrigieren Klausuren und dergleichen. Kurz gesagt ein deutscher Doktortitel sagt nur aus, dass der Doktorand gut einen Bückling machen und sich einschmeicheln kann.

    Aus diesem Grund wird es in Deutschland zunehmend populär, den Doktortitel im Ausland zu machen. Das geht oft sogar berufsbegleitend, so dass keine Zeit mit 5 drögen Jahren als Laufbursche verbracht werden müssen. Das Forschungsthema kann frei gewählt werden und man verbringt 100% der Zeit wirklich mit Forschung und nicht mit Laufburschentätigkeit für alternde Professoren.

    Es gibt hervorragende Angebote anerkannter britischer und amerikanischer Hochschulen. Dazu muss man nicht einmal die gesamte Zeit über in die USA reisen.