Islamisten überfallen Vernissage in Istanbul: "Sie schrien Allahu akbar"
Im Istanbuler Stadtteil Tophane greifen Islamisten Besucher einer Kunstausstellung an. Die Anzeichen für einen neuen Kulturkampf in der Türkei mehren sich.
ISTANBUL taz | Drei alternative Kunstgalerien im Istanbuler Hafenviertel, unterhalb des touristischen Stadtteils Pera, wurden am Dienstagabend von einer fundamentalistischen Männergruppe angegriffen. Die Angreifer gingen mit Schlagstöcken, Metallstangen und Tränengas auf die Besucher der Vernissagen los und verletzten mehrere Menschen. Der Vorfall ereignet sich mitten in einer lebhaften Diskussion über die Zukunft der türkischen Gesellschaft nach dem Verfassungsreferendum vom 12. September.
Bürgermeister Kadir Topbas von der regierenden proislamischen AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) sagte in einer kurzen Erklärung, es handele sich wohl um ein "Gerangel vor den Galerien", der Fall werde genau untersucht. Es gebe bislang sieben Festnahmen.
"Das war kein Werk der Leute von hier. Der Überfall ist gut organisiert und wurde in Internetforen abgesprochen", sagte der Maler Nazim Dikbas gestern auf einer Pressekonferenz. Die Galerien Outlet, Non Stop und Pi, die ihre Vernissagen auf denselben Abend gelegt hatten, seien plötzlich von rund 50 Männern angegriffen worden.
"Sie hatten abgebrochene Flaschen in der Hand und schrien Allah-u Akbar." Dikbas musste am Kopf genäht werden. Es wäre zu keinen Diskussionen im Vorfeld gekommen. "Die Angreifer zwangen uns reinzugehen, wir ließen die Rollläden herunter und versteckten uns, bis die Polizei kam."
Andere Anwohner reagierten empört. "Das waren die Religiösen von der Bruderschaft. Sie leben hier im Viertel", sagte ein Verkäufer in einem Geschäft. Eine Kundin in einem Lebensmittelgeschäft sagte: "Das waren die Bärtigen. Ich lebe hier seit 60 Jahren. Das Viertel hat sich sehr verändert." Türkische Medien berichteten am Mittwoch, die Angreifer hätten auch Tränengas gegen die Gäste der Galerie eingesetzt. "Das ist eine Wohngegend hier. Ihr könnt hier keinen Alkohol trinken", habe ein Angreifer gebrüllt.
Der Istanbuler Stadtteil Tophane unterhalb des berühmten Galata-Turms ist seit je der Treffpunkt der Matrosen, der "leichten" Mädchen und der Mafia. Seit den 1960ern wohnen hier in heruntergekommenen Häusern viele konservative Zuwanderer aus Anatolien. In den letzten Jahren eröffneten hier viele Off-Galerien und Cafés. Vor allem junge Leute, darunter auch eine Boheme aus westlichen Ländern, ließen sich hier nieder. Dort reiben sich jetzt die Lebensstile von Alteingesessenen, jungen Großstädtern sowie der Zuwanderer. Istanbul ist in diesem Jahr eine von Europas Kulturhauptstädten.
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