Programmreform bei DRadio Kultur: Mitreden? Bitte nur noch online
Die nächtliche Radiosendung „2254“ soll nächste Woche eingestellt werden. Die Hörer protestieren. Sie wollen ihre Diskussionsplattform behalten.
„Wie gedenkt man den Verlust einer Diskussionssendung zu kompensieren, die für viele Menschen aufgrund ihrer schicksalhaften Lebenssituation unentbehrlich ist?“, fragt eine betagte Männerstimme am Mittwoch um 1.05 Uhr vom Anrufbeantworter der Sendung „2254“. „Von einem Sender der sich ’Deutschlandradio Kultur‘ nennt, hätte ich etwas mehr Mitgefühl und Menschlichkeit erwartet“, sagt er noch, dann hört man ein Knacken und die nächste Beschwerde über die geplante Absetzung ist dran.
Es ist ein letztes Aufbäumen. Schon am 20. Juni soll die Hörer-Talksendung „2254“ zum letzten Mal ausgestrahlt werden, denn offenbar sind die Einschaltquoten zu niedrig. Nach der Programmreform wird auf dem ungeliebten nächtlichen Sendeplatz Musik laufen. Die Hörer protestieren – nicht nur im Radio, sondern auch auf Facebook und Twitter.
Dabei sind es gerade die neuen sozialen Medien, die den Bedarf nach Diskussion im Radio verdrängen, argumentiert Kultur-Chef Hans Dieter Heimendahl, der am Mittwoch als Gast im „2254“-Studio saß: „Die Hörer gehen vermehrt ins Internet, um zu kommunizieren.“ Der Kerngedanke der Reform sei, den Sender als nationales Kulturradio zu profilieren, deshalb solle der Sender nun mit „Musik wuchern“.
Gerade die Älteren fühlen sich vom Diskurs ausgegrenzt, sie baten in der Sendung am Mittwoch darum, man möge ihnen die Lieblingssendung nicht nehmen. Sie stellten ihre Wecker, um einfach nur zuzuhören oder mitzudiskutieren – mal über Urlaubslektüre, mal über Sterbehilfe. „2254“ sei ein demokratisches Forum, in dem sechs Tage pro Woche Austausch stattfinde. Ersatz soll nun eine Sendung mit Experten am Samstag bieten. Das aber reicht den Hörern nicht: „2254“ ist ihr altmodisches soziales Netzwerk, das sie schlicht behalten wollen.
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