Schlamperei im AKW Brunsbüttel: Verrostete Atomfässer
Im AKW Brunsbüttel sind rostige Behälter mit leicht- und mittelradioaktivem Abfall aufgetaucht. Die Atomaufsicht kritisiert den Betreiber Vattenfall.
KIEL taz | Schleswig-Holstein hat seine eigene kleine Asse: Fässer mit leicht- und mittelradioaktivem Abfall, die auf dem Gelände des Atomkraftwerks Brunsbüttel seit Jahrzehnten auf den Abtransport in ein Endlager warten, sind im Lauf der Zeit verrostet. Mindestens eines war so korrodiert, dass es beim Versuch, es zu leeren, auseinanderbrach.
Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos), in dessen Aufgabenbereich die Aufsicht der schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke fällt, betonte am Mittwoch bei einer Pressekonferenz, dass keine Gefahr für Menschen oder Umwelt bestanden habe. Es sei auch keine „unzulässige Radioaktivität“ ausgetreten.
Schmalfuß kritisierte das Verhalten des Betreibers Vattenfall: Das Unternehmen hatte der Atomaufsicht nichts von dem Vorfall mitgeteilt. Inzwischen hat das Ministerium das Umfüllen der strahlenden Abfälle vorerst verboten. Die Kavernen, in denen die Fässer lagern, wurden zubetoniert, Vattenfall soll ein Konzept vorlegen, wie es weitergehen soll.
Noch rund 500 Metallfässer lagern in den unterirdischen, mit Beton und Erdpech umschlossenen Kavernen. Bis zu sechs der 200-Liter-Behälter stehen in Regalen übereinander. Was sich am Grund der Kavernen tut, ist unsichtbar: Kameras halten der Strahlung nicht Stand, für einen menschlichen Kontrolleur ist zwischen den eng an eng stehenden Behältern kein Platz.
Immer wieder geriet der Energiekonzern Vattenfall in die Kritik, weil er bei technischen Problemen in den von ihm betriebenen Atommeilern die Aufsichtsbehörden und die Öffentlichkeit nicht oder zu spät informierte.
Die spektakulärste Panne passierte im August 2007: Nach einem Trafobrand kam es zur Selbstabschaltung der Kraftwerke in Brunsbüttel und Krümmel.
Krümmel stand zwei Jahre lang still - und musste kurz nach dem Wiederanfahren erneut abgeschaltet werden.
Brunsbüttel an der Unterelbe ist das älteste Kraftwerk im Norden. Der Pannenmeiler, der Vattenfall und Eon gehört, hat zahlreiche Ausfälle hinter sich. Nach der Novellierung des Atomgesetzes darf er nicht mehr ans Netz gehen.
Von „Abwassersumpf“ ist in der Pressemitteilung des Ministeriums die Rede – ob tatsächlich in einer der vier Kavernen neben dem Atommeiler Wasser am Grund steht, ist unklar. Es gebe darauf keinen Hinweis, so ein Vertreter der Atomaufsicht, aber „Abwassermöglichkeiten bestehen in allen unterirdischen Anlagen“. So weiß zurzeit auch niemand genau, wie viele der verbliebenen etwa 600 Fässer in kritischem Zustand sind.
Acht Stunden in der „Absauganlage“
Aufgefallen – jedenfalls bei Vattenfall – war das Gammel-Fass bereits am 15. Dezember. Seit 2004 werden die Fässer, die teilweise seit den 70er Jahren in den Kammern stehen, herausgehoben und ihr Inhalt in gusseiserne Behälter umgefüllt. Sie sollen in das Endlager im „Schacht Konrad“ bei Salzgitter gebracht werden, das allerdings erst ab 2019 bereitstehen wird.
Das betreffende Fass hing acht Stunden in der „Absauganlage“ im Feststofflager des AKWs, normalerweise dauert die Prozedur zwei bis drei Stunden. Was die Techniker am Ende herauszogen, war ein brüchiges, spinnwebfeines Gebilde: Der Rost, der das Fass zusammengehalten hatte, war beim Absaugen abgeschmirgelt worden, so beschrieb es einer der Fachleute der Atomaufsicht.
Radioaktiver Müll trat aber nicht aus, hieß es, der Vorgang passierte im Inneren der Kammer. Das Fass wurde per Kran aus der Kaverne zur Absauganlage gehoben – künftig wird das vorsichtiger geschehen, das hat Vattenfall zugesagt.
Die zuständige Sprecherin des Konzerns, Barbara Meyer-Bukow gab an, der Vorgang sei dem Justizministerium in Kiel am 11. Januar mitgeteilt worden. Doch nach Angaben des Justizministeriums war der TÜV Nord am 10. Januar bei einer Kontrolle von Dokumenten auf das defekte Fass aufmerksam geworden. Ein Techniker stolperte darüber, dass die Umfüllaktion deutlich länger gedauert hatte als geplant und hatte umgehend das Justizministerium informiert. Erst auf dessen Nachfrage hin, so das Ministerium, habe Vattenfall einen Tag später, am 11. Januar, geantwortet.
Kavernen-Lager
Das Kavernen-Problem könnte durchaus auch an anderen Standorten auftauchen, landes- und bundesweit, daher hat Schmalfuß das Bundesumweltministerium informiert.
Dabei sei das Verfahren den Betreibern nicht anzulasten, sagt Schmalfuß: Es sei anfangs nicht geplant gewesen, Fässer jahrzehntelang am Standort zu behalten. „Wir haben hier etwas aufzuarbeiten, was mit der ungelösten Endlager-Frage zusammenhängt.“ Kavernen-Lager gibt es vor allem bei älteren Meilern, während die neueren die radioaktiven Abfälle überirdisch stapeln: So sind die Fässer zumindest zu sehen.
Die Landespolitik reagierte über alle Parteigrenzen hinweg mit Lob für die Atomaufsicht und Kritik an Vattenfall: Verloren gegangenes Vertrauen gewinne der Konzern so nicht zurück, hieß von CDU und FDP.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Reaktionen auf Anschlag von Magdeburg
Rufe nach Besonnenheit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Bundesopferbeauftragter über Magdeburg
„Die Sensibilität für die Belange der Opfer ist gestiegen“