Interview mit Wassertisch-Sprecher Rudek: "Das ist keine Verschwörungstheorie"
Am Sonntag stimmen die Berliner über die Offenlegung der Wasserverträge ab. Hat der Senat die nicht schon offengelegt? Thomas Rudek, Sprecher der Initiative Wassertisch, sieht das anders.
taz: Herr Rudek, seit drei Monaten sind die Wasserverträge nicht mehr geheim, sondern öffentlich. Ist es da nicht völlig überflüssig, am Sonntag zur Abstimmung über die Veröffentlichung zu gehen?
Thomas Rudek: Wir fordern nicht nur die Veröffentlichung der Verträge zur Wasserprivatisierung, sondern auch von Beschlüssen und Nebenabreden. Wir alle wissen: Auf das Kleingedruckte kommt es an. Um auch das offenzulegen, brauchen wir die 617.000 Ja-Stimmen beim Volksentscheid.
Sowohl der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit als auch der Wirtschaftssenator Harald Wolf haben öffentlich beteuert, dass alles veröffentlicht ist, was Ihr Gesetzentwurf fordert. Es ist doch abwegig anzunehmen, dass die beiden trotzdem etwas verschweigen.
Thomas Rudek, 49, ist Politologe und Sprecher des Berliner Wassertischs, der Initiative hinter dem Volksentscheid.
Die BerlinerInnen sind am 13. Februar zum dritten Volksentscheid seit 2008 aufgerufen. Sie können darüber abstimmen, ob alle Verträge und Absprachen zum Teilverkauf der Berliner Wasserbetriebe im Jahr 1999 offengelegt werden müssen. Die Teilprivatisierung gilt als ein Grund für die hohen Wasserpreise, die im Land Berlin anfallen. Der Senat hat im vergangenen November zwar rund 700 Vertragsseiten ins Internet gestellt (unter berlin.de/sen/finanzen/vermoegen/beteiligungen/berlinwasser.html), die Bürgerinitiative Berliner Wassertisch glaubt jedoch, dass noch nicht alles auf dem Tisch liegt.
+ + +
Erfolg hat der Entscheid, wenn die Mehrheit der TeilnehmerInnen und gleichzeitig mindestens ein Viertel aller Abstimmungsberechtigten mit Ja votieren. Notwendig sind damit rund 617.000 Jastimmen. Sollte eine solche Mehrheit zustande kommen, ist das Ergebnis verbindlich - schließlich handelt es sich um ein vollwertiges Gesetz.
+ + +
Wer am Sonntag keine Zeit hat, ins Wahllokal zu gehen, kann noch bis zum heutigen Freitag Briefwahl beantragen oder sein Kreuz direkt in einer Briefwahlstelle machen. Informationen sowie eine Wahllokalsuche gibt es auf der Seite www.wahlen-berlin.de. Hier lässt sich auch die Briefwahl beantragen.
+ + +
Auch ein Infotelefon wird am Wochenende eingerichtet, wie die Berliner Landesabstimmungsleiterin Petra Michaelis-Merzbach am Donnerstag mitteilte. Unter der Nummer (0 30) 90 21 36 31 kann am Samstag zwischen 8 und 14 Uhr sowie am Sonntag zwischen 8 und 18 Uhr erfragt werden, wo sich beispielsweise das zuständige Abstimmungslokal befindet oder wie abgestimmt werden kann, wenn jemand plötzlich erkrankt. (taz, dapd)
In unserem Gesetzentwurf steht, dass die Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden, die nicht veröffentlicht werden, unwirksam werden. Ich finde es sehr interessant, dass sowohl Herr Wowereit als auch Herr Wolf sich an dieser Unwirksamkeitsklausel stören, weil sie angeblich verfassungswidrig sei. Wenn alles offengelegt ist, wie behauptet, würde ja die Klausel gar nicht zur Anwendung kommen. Das ist für uns ein klarer Beweis dafür, dass noch nicht alles offengelegt ist.
Dann müssten die Finanz- und Wirtschaftssenatoren der vergangenen zehn Jahre, zwei Regierende Bürgermeister und eine Reihe von Mitarbeitern in der öffentlichen Verwaltung, bei RWE und Veolia verabredet haben, die Öffentlichkeit dauerhaft belügen. Das ist doch völlig abwegig.
Es geht um die Frage: Welche Gesetze bieten eine höhere Rechtssicherheit und auch eine Bestrafung, wenn das Gesetz gebrochen wird? Bisher wurden die Wasserverträge vom Senat nur auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes veröffentlicht. Doch laut diesem Gesetz bleibt es ohne Folgen, wenn Dokumente nur unvollständig veröffentlicht werden. Unser Gesetz hat eine Sanktion: Die geheimen Teile werden unwirksam. Das hat nichts mit einer Verschwörungstheorie zu tun.
Was für Vereinbarungen werden denn Ihrer Ansicht nach geheim gehalten?
Harald Wolf zum Beispiel hat Rechtsgutachten über die Wasserprivatisierung in Auftrag gegeben bei Kanzleien, die keine Experten auf dem Gebiet sind. Die haben dann auch keine verbraucherfreundliche Position vertreten. Da drängt sich die Vermutung auf, dass es eine Absprache mit RWE und Veolia gab, dass man die Gutachter gemeinsam auswählt.
Es stimmt, die Auswahl der Gutachter kann man seltsam finden. Aber die Vermutung ist absurd, dass es darüber eine bindende Vereinbarung gab. Harald Wolf hat ja auch von sich aus ein Interesse daran, die Gutachter zu wählen, die seine Position stützen und zu dem Ergebnis kommen, dass die Privatisierung der Wasserbetriebe rechtsgültig war. Dafür braucht es keinen Geheimvertrag.
Das unterstellen Sie, dass Harald Wolf dieses Interesse hat! Das ist Ihre persönliche Bewertung. Ich sehe nur, dass Harald Wolf damals sehr unkritische Juristen beauftragt hat, und das soll er aus eigener Überzeugung heraus gemacht haben? Das glaube ich nicht! Er ist da sicherlich in Zugzwängen gewesen, als er auf diese neoliberalen Gutachter zurückgegriffen hat.
Sie bleiben also bei Ihrer Verschwörungstheorie: Mehrere Personen haben eine Vereinbarung getroffen, von der sie jetzt öffentlich behaupten, es gebe sie nicht.
Das ist keine Verschwörungstheorie. Es gibt Fakten, die auf der Hand liegen wie die Gutachter-Entscheidung. Und wenn der Senat gegen ein Gesetz ist, das für den Fall einer Geheimhaltung klare Rechtsfolgen hat, ist das doch ein klares Indiz, dass da noch etwas schlummert.
Auf der Webseite Ihrer Initiative heißt es, der Senat halte die Vereinbarung darüber geheim, wie die Gewinne zwischen dem Land und den privaten Anteilseignern der Wasserbetriebe genau verteilt werden. Das ist falsch - es steht in Paragraf 23 Absatz 7 des Konsortialvertrages, und der ist seit Monaten vollständig öffentlich.
Oh. Das stimmt. Das hatte ich noch gar nicht gesehen, dass das auf unserer Seite steht. Ich zeichne nicht alles gegen, was da hinkommt. Wir sind inzwischen ein größeres Netzwerk mit vielen ehrenamtlichen Helfern, und da können leider auch Fehler vorkommen.
Der Senat und die Abgeordneten sagen, sie könnten die Unwirksamkeitsklausel nicht Gesetz werden lassen, weil sie verfassungswidrig ist. Und tatsächlich spricht viel dafür, dass man Verträge nicht rückwirkend per Gesetz unwirksam machen kann.
Es gibt Juristen, die das nicht so sehen. Vor allem ist es nicht die Aufgabe des Senats und des Abgeordnetenhauses, darüber zu urteilen, was verfassungswidrig ist. Dafür ist der Verfassungsgerichtshof zuständig. Wir haben Gewaltenteilung! Schlimmstenfalls ist zu erwarten, dass das Gericht die Unwirksamkeitsklausel - und nur die - aufhebt.
Da möchte ich widersprechen: Natürlich ist es auch Aufgabe des Senats und der Abgeordneten, Gesetze selbst zu überprüfen und nichts zu beschließen, was verfassungswidrig ist. Es kann ja nicht sein, dass die erst immer in Kraft treten und man dann darauf warten muss, bis ein Verfassungsgericht urteilt.
Wie viele Gesetze hat denn das Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen, die anschließend von einem Verfassungsgericht kassiert worden sind? Sehr viele. Das jüngste Beispiel war, glaube ich, das Ladenschlussgesetz, das zu viele verkaufsoffene Adventssonntage erlaubte und damit gegen die Religionsfreiheit verstieß.
Ich sage ja, die Abgeordneten sollten die Gesetze viel häufiger vorher besser prüfen.
Dazu haben die Berliner Abgeordneten gar nicht die Kapazitäten, das ist ja ein Feierabendparlament. Jedenfalls fällt mir auf, dass sie ausgerechnet bei unserem Gesetz alle sagen, dass das Paket verfassungswidrig ist. Sie diffamieren das gesamte Projekt. Uns ist klar, dass wir durchaus offene Rechtsfragen berühren. Aber die sind bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt, und diesem Urteil sollte man auch nicht vorgreifen.
Was machen Sie selbst eigentlich nach dem Sonntag?
Urlaub. Zwei Wochen brauche ich mindestens. Und danach schreibe ich vielleicht ein Buch über meine Erfahrungen mit der direkten Demokratie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste