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Ukrainische Filmtage

KINO in Solidarität mit Oleg Sentsov veranstaltet das Babylon-Kino jetzt die Ukrainischen Filmtage. Das Arsenal-Kino sekundiert mit dem Programm „Politik des Rhythmus: 
das Kino der 
ukrainischen Avantgarde“

von Claudia Lenssen

Mit seinem Spielfilmdebüt „Gamer“ beim Filmfestival in Rotterdam machte der 38-jährige ­ukrainische Regisseur Oleg Sentsov 2012 mit großem Erfolg auf sich aufmerksam. Sentsovs Porträt eines in Videospiele vernarrten Jugendlichen, der unbedingtin die internationale Community der Profi-Gamer will, weckte Neugier auf die nachwachsende Filmemacher-Generation seines Landes.

Die Laufbahn des Regisseurs hätte sich, begleitet vom kollegialen Respekt der Europäischen Filmakademie und vieler großer Festivals, entwickeln können, doch der in Simferopol auf der Krim geborene Oleg Sentsov unterbrach die Arbeit an seinem Folgefilm und engagierte sich im Winter 2013/2014 bei den monatelangen Protesten der Euromaidan-Bewegung in Kiew.

Das vorläufige Ende seiner Geschichte ist dramatisch: Oleg Sentsov half auch 2014 auf ukrainischer Seite, unter anderem mit Lebensmittelsendungen, als Russland seine Heimatregion annektierte. Der Aktivist wurde vom russischen Geheimdienst verhaftet und sitzt seither in einem Moskauer Gefängnis ein. Die russischen Behörden werfen ihm die Vorbereitung terroristischer Handlungen vor, Amnesty International wertet die Klage als menschenrechtsfeindliches politisches Manöver ohne juristische Substanz. Der umstrittene Prozess wurde ein weiteres Mal auf Mitte Juli verschoben.

Solidarität mit Oleg Sentsov

Sentsovs Porträt eines videospiel-­vernarrten Jugend­lichen, der in die internationale Community der Profi-­Gamer will, weckte Neugier

Nun rufen die Berlinale, die deutsche und die europäische Filmakademie, zahlreiche prominente Persönlichkeiten und internationale diplomatische Vertretungen zur Solidarität mit Oleg Sentsov auf. Ihm zu Ehren veranstaltet das Babylon-Kino vom 29. Juni bis2. Juli Ukrainische Filmtage, in denen Oleg Sentsovs Film „Gamer“ neben Sergej Losnitzas emphatischer Dokumentation des Maidan-Aufstandes und weiteren dokumentarisch-essayistischen Zeitbildern aus dem zerrissenen Land gezeigt werden.

Das Programm gibt zudem Gelegenheit, die Arbeit des jungen, vom autoritären russischen Regime verfolgten Regisseurs mit der eines leider vergessenen aufrührerischen Vorläufers zu vergleichen. Sergej Paradjanovs Film „Schatten der Vergangenheit – Feuerpferde“, einer der schönsten, international gerühmten und bei den sowjetischen Behörden in Ungnade gefallenen Filme des armenisch-georgischen Regievisionärs. Paradjanov hatte wie viele Regisseure der einstigen Sowjetunion in Moskau studiert und anschließend in Kiew versucht, im Umfeld des dortigen staatlichen Studios seine poetisch-imaginative Erzählweise zu verwirklichen. Auch er wurde für seine Haltung, die vom Diktat des sozialistischen Realismus abwich, bestraft und viele Jahre mit Arbeitsverbot belegt.

Die drängende aktuelle Solidaritätsbekundung für Oleg Sentsov trifft zufällig auf ein weiteres Programm zur Geschichte des ukrainischen Films im Arsenal-Kino. Dort stehen vom 1. bis 10. Juli Werke der postrevolutionären Avantgarde an der Schwelle zwischen Stummfilm und Tonfilm zur Diskussion – Filme, die legendären Status in der Geschichte des Films beanspruchen können, jedoch außerhalb der akademischen Auseinandersetzung selten zu sehen sind.

Die in einer Kooperation zwischen Berliner und Kiewer Filmhistorikern kuratierte Reihe bietet eine Revision der innovativen und wagemutigen Montagekonzeptionen von Regisseuren und Kamerakünstlern des staatlichen Studios WUFKU in Kiew, das der Verwaltung der 1922 gegründeten Sowjetunion unterstand, zeitweise jedoch relativ unabhängig arbeiten konnte. In den Jahren nach der Oktoberrevolution und dem anschließenden Bürgerkrieg zwischen Bolschewiken und der Weißen Armee, der sich auf ukrainischem Territorium abspielte, entstand im Zuge von Lenins neuer ökonomischer Politik eine Stabilisierung der Verhältnisse, begleitet von einer propagandistisch geförderten Euphorie des kollektiven Aufbaus. In diesem Umfeld schufen der Kameramann und Montagekünstler Dziga Vertov, seine ebenfalls an der Kamera arbeitenden Brüder Michail und Boris Kaufman sowie Alexander Dowshenko und eine Reihe anderer Dokumentaristen, Spielfilm- und Animationsfilmregisseure eine innovative, vom Diktat literarisch-narrativer Dramaturgien befreite Filmkunst.

Zwischen den Fronten

Trotz der gegenwärtigen Krise, die sich in einer Blues-Stimmung vieler ukrainischer Künstler niederschlägt, setzt das Filminstitut in Kiew unbeirrt seine verdienstvolle Rekonstruktion, Restaurierung und Digitalisierung dieser Klassiker fort. Das Programm präsentiert unter anderem einen mit Murnaus Film „Der letzte Mann“ vergleichbaren Stummfilm, „Zwei Tage“ von Georgi Stabowy, in dem ein alter Hausdiener zwischen die Fronten seiner Herrschaft aus der reaktionären alten Elite und der neuen roten Revolutionäre gerät.

Heute in Zeiten frei flottierender Filmstrukturen ist Dziga Vertovs souveräne Kompositionskunst in seinem Meisterwerk „Der Mann mit der Kamera“ nach wie vor ein Genuss. Seine aus Momentaufnahmen in Moskau, Kiew und Odessa montierte visuelle Symphonie, in der er sich und seine Kameramänner als sportive Idole der neuen Zeit und Repräsentanten eines emanzipierten, selbstreflexiven Kinos ins Spiel bringt, lohnen den Kinobesuch allemal. Einige der neuen Vertonungen erfordern allerdings Langmut. Die Vorträge der Kuratoren führen, so steht zu hoffen, in die politischen Kontexte dieser kurzen avantgardistischen Blüte ein. Die visuelle Faszination der Filmemacher für die technologischen Projekte zur Industrialisierung der jungen sowjetischen Ukraine übersah nämlich deren Kehrseite, die unermessliche Zahl der Opfer aus den Gulags, die in Bergwerken, Stahlwerken und an Staudämmen schufteten.

Ukrainische Filmtage: Babylon: 29. 6. bis 2. 7. 2015; Kino Arse­nal: 1. 7. bis 10. 7. 2015

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