Rentenexperte Otto Teufel: Einer schuftet im Augiasstall
Der Bruder von Fritz Teufel ist einer der versiertesten, kritischsten Rentenexperten Deutschlands. Seit 30 Jahren kämpft er gegen die Rechentricks der Rentengesetzgebung.
"Wir werden die Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen." Altbundeskanzler G. Schröder (SPD)
Otto Teufel, Dipl.-Ing. im Ruhestand. Rentenexperte, Mitgründer und 2. Vorsitzender der ADG e. V. (Aktion Demokratische Gemeinschaft). Er wurde 1935 in Ingelheim a. Rhein als viertes von sechs Kindern geboren. Der Vater war Dipl.-Volkswirt, die Mutter Hausfrau. 1946 zog die Familie nach Ludwigsburg, wo er das Schiller-Gymnasium besuchte. Nach dem Abitur arbeitete er ein Jahr, weil nicht genug Geld da war für mehrere studierende Kinder. 1957/58 nahm er an der TH Stuttgart ein Studium der Elektrotechnik (Nachrichtentechnik) auf und arbeitete noch 7 Monate nebenbei als Werksstudent. Nach dem Diplom ging er 1963 zu Siemens nach München, war zuerst im Entwicklungslabor und wechselte dann zur Vertriebsabteilung. 1969 wurde er für 3 Jahre in die USA versetzt. Anschließend Rückkehr zu Siemens nach München. In den letzten Jahren war er freigestellter Betriebsrat mit Schwerpunkt Sozialrecht. 1996 wurde er im Rahmen eines umfangreichen Personalabbaus wegrationalisiert. 1996 gründete er wegen dieser Erfahrungen mit betroffenen Kollegen zusammen die ADG, ein Zusammenschluss zur gemeinsamen Gegenwehr. 1999 wurde er Rentner. Otto Teufel ist verheiratet, seine Frau war Sozialarbeiterin, später Hausfrau, sie haben zwei Söhne.
Otto Teufel bewohnt mit seiner Frau ein Reihenhaus in einem Vorort Münchens. Sie bezogen es in den 70er Jahren, und noch heute ist zu sehen, wie modern sie es damals eingerichtet haben. Wir folgen unserem sanften, aber dynamischen Gastgeber die Treppe hinauf zu seinem Arbeitszimmer, vorbei an einer schönen kleinen Dampfmaschine. Sein Arbeitszimmer wirkt mit den Aktenordnern, Gesetzbüchern und Papieren auf dem Schreibtisch wie die Kanzlei eines stark beschäftigten Anwalts und nicht wie der geruhsame Rückzugsort eines Rentners. Hier oben studierte er das Rentenrecht und das Rentenunrecht und wurde in 30 Jahren zum weithin versiertesten kritischen Rentenexperten Deutschlands. Und hier schreibt er seine Anklagen, Aufklärungsschriften und Vorträge.
Er persönlich kommt aus mit seiner Rente und hätte durchaus auch noch andere Interessen. Warum also gibt er nicht einfach Ruhe? Otto Teufel sagt: "Ich habe in mir so eine soziale Ader, ein ,Gen' gegen Ungerechtigkeit, genau wie mein Bruder, nur bei ihm ist es viel früher zum Tragen gekommen." Er ist der Bruder von Fritz Teufel. Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, existiert eine zunehmend ungemütlicher werdende außerparlamentarische Opposition aus kritischen Alten, die sich vernetzt und versucht, öffentlich aufzuklären. Otto Teufel ist einer von ihnen.
Dass aus Otto Teufel, dem braven Ingenieur und Familienvater, letztlich eine Art Staatsfeind wurde, ein unerbittlicher Verfechter bürgerlicher Rechte und radikaler Ankläger politischer Willkür, zeigt, wie sehr das Maß des Zumutbaren überschritten ist. Otto Teufel hat sich seit Mitte der 80er Jahre akribischer als jeder bezahlte Beamte in die Materie hineingearbeitet, hat die Finten und Rechentricks, die Lügen und Propagandafeldzüge der Lobbyisten, der Politiker und Medien entlarvt. Mit fast 75 hat er als Rentenexperte der Aktion Demokratische Gemeinschaft alle Hände voll zu tun, er reist herum, hält Vorträge, diskutiert mit Vertretern der Gegenseite.
Otto Teufel erzählt vom Hergang der Dinge: "Also, seit Anfang der 80er Jahre eigentlich, nach der ersten großen Rentenreform von 1978, beschäftigt mich die Sache. Und in den 90er Jahren mussten dann wegen Personalabbau viele Leute ab 53 bei uns in der Firma in München den Hut nehmen. Dabei wurde ihnen von einem Rentenexperten errechnet, dass sie ab 60 eine Rente in einer gewissen Höhe bekommen würden. Das ging praktisch in die Gesamtberechnung mit ein. Dann kam die Regierung Kohl mit gleich zwei Rentenreformen, die praktisch Rentenansprüche dieser Leute um bis zu einem Drittel abgewertet haben. Durch einen rückwirkenden Eingriff! Die Leute konnten ihre Regelungen mit der Firma nicht mehr rückgängig machen, auch vor dem Bundesarbeitsgericht hätte man keine Hilfe gefunden. Sie gingen baden. Wir waren der Meinung, das kann eigentlich in einem Rechtsstaat nicht sein. Da haben wir gesagt, o.k., wir schließen uns zusammen in einem Verein, damit wir das gemeinsam stemmen, damit wir ein oder zwei Verfahren bis zum Bundesverfassungsgericht durchbringen.
Als dann 1999 die Ersten in Rente gegangen sind, haben wir gegen diesen rückwirkenden Eingriff ins Rentenrecht geklagt. Und damit fing ein ununterbrochenes Anrennen gegen die Wand an. Zuerst Widerspruch, Widerspruchsbescheid, Klage beim Sozialgericht. Das beschied, die BfA - seit 2005 Deutsche Rentenversicherung - hat das Gesetz richtig angewendet. Das ist praktisch alles mit dem Grundgesetz vereinbar, hat das Bundesverfassungsgericht 1981 schon mal entschieden. Allmählich haben wir mitgekriegt, was da bereits gelaufen ist. Wir sind ja alle keine Juristen. Und waren um so erstaunter, was das BVerfG in seinem Urteil sinngemäß gesagt hat: dass für Arbeitnehmer und Rentner, wenn es um die Altersversorgung geht, nicht die gleichen Rechte gelten wie für andere Bürger, sprich Mitglieder der berufsständischen Versorgung oder für Beamten.
Die Entscheidung, dass wir kein einheitliches System haben, hat die Bundesregierung nach dem Zeiten Weltkrieg getroffen. Das Verwaltungswesen, die höheren Beamten, die ganze Justiz hat praktisch eins zu eins weitergemacht. Und beim Adenauer war ja jeder quasi entnazifiziert, automatisch, wenn er CDU-Mitglied war. Die haben es 1948 auch geschafft, gegen den ursprünglichen Willen der Alliierten, dass sie ins Grundgesetz in Artikel 33 Abs. 5 reingeschrieben haben: ,Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln.' Man geht, auch nach 1945, auf den Feudalstaat des 19. Jahrhunderts zurück. Oder was heißt ,hergebracht'? Hitlers ,Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums' von 33 kann ja wohl nicht gemeint sein?
Klar ist lediglich, dass der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes durch diesen Artikel relativiert wird. Das hat weitreichende Folgen. In diesem Zusammenhang wird auch verständlich, warum es die Parteien verhindert haben, dass wir, so wie es Art. 146 Grundgesetz vorsah, eine gemeinsame neue Verfassung kriegen nach der Wiedervereinigung. Das hätte die Parteiendiktatur beendet und das ,hergebrachte' Berufsbeamtentum abgeschafft.
Zweiklassengesellschaft
Tatsache aber ist, es herrscht eine Zweiklassengesellschaft bei der Altersversorgung in Deutschland, was so im Grundgesetz nie vorgesehen war. Grund dafür ist die Aufteilung der Bevölkerung auf die verschiedenen Altersversorgungssysteme (Rentenversicherung, berufsständische Versorgung, Beamtenversorgung). Arbeitnehmer erhalten ihre Altersversorgung als Rente, für die sie ins Solidarsystem der Rentenkasse erhebliche Beträge einbezahlt haben. Beamte erhalten im Alter angemessene Pensionen aus öffentlichen Mitteln, für die sie keinerlei Beiträge ins Solidarsystem bezahlt haben. Eine Mindestforderung ist, es müssen endlich alle Bürger, ohne Ausnahme, in ein wirkliches Solidarsystem eingebunden werden.
Denn wir haben kein Solidarsystem. Es gibt keinen einzigen demokratischen Rechtsstaat in Europa, bei dem nicht die Rentenversicherung einheitlich geregelt ist. Nur Deutschland hat eine Arbeitnehmerversicherung für abhängig Beschäftigte, während Dänemark, Finnland, die Niederlande, Schweden und die Schweiz eine Volksversicherung für alle ihre Bürger haben. Belgien, Frankreich, Luxemburg, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Österreich, Portugal und Spanien haben eine Erwerbstätigenversicherung für alle Erwerbstätigen.
Es ist erschreckend, mit welchem Selbstverständnis unsere staatlichen Eliten ein Zweiklassenrecht bei der Altersversorgung verinnerlicht und durchgesetzt haben. Der Gesetzgeber ist zugleich der Empfänger von Pensionen. Über Rentenfragen sprechen bei uns öffentlich in der Regel ausschließlich solche Personen, die davon in keiner Weise betroffen sind. Sie haben nicht das geringste Interesse, da was zu ändern, weil sie erheblich davon profitieren. Nicht umsonst haben Bundestag und Länderparlamente es immer wieder abgelehnt, ihre eigene Altersversorgung der gesetzlichen Rentenversicherung anzuvertrauen.
Adenauers Umlage
Ein anderes und ganz zentrales Problem ist der Griff des Gesetzgebers in die Rentenkassen. Das ging schon gleich 1957 weiter, mit der willkürlichen Umstellung auf das Umlageverfahren. Diese Umstellung war ein Manöver Adenauers, mit dem er in erster Linie die Entlastung der öffentlichen Haushalte bezweckt hat. Adenauer hatte das Problem mit der Versorgung von Millionen Kriegsteilnehmern, Heimatvertriebenen, Kriegerwitwen usw. Er wollte 57 die Wahl wieder gewinnen und hat gesagt, wir gehen jetzt weg vom Kapitaldeckungsverfahren der Rentenversicherung, wir machen ein Umlageverfahren. Beim Umlageverfahren werden die Einzahlungen gleich wieder ausbezahlt. Man hat also die Rentenversicherung enteignet. Und als dann damals im Laufe der Zeit die Rentenversicherungsträger erhebliche Überschüsse ansammeln konnten, weil Wirtschaft und Löhne stetig nach oben gingen, hat die Bundesregierung sich bedient.
Obwohl die versicherungsfremden Leistungen, für die wir als Versicherte ja bezahlen mussten und müssen, nicht geringer geworden sind, sondern mehr, wurden die ,Zuschüsse' dafür gekürzt. Diese versicherungsfremden Leistungen gibt es seit 1957. Es wurde bewusst von Anfang an keine Buchführung über Art und Umfang der einzelnen Leistungen gemacht - es gibt sie übrigens bis heute nicht -, denn wenn man eine Buchführung macht, kann man ja nicht so leicht betrügen.
Da kann sich der Bürger nur wundern. Jeder kleine Handwerker muss genauestens Buch führen, seine Ein- und Ausgaben belegen. Es wurde erstmals 1984/85 vom damaligen Verband deutscher Rentenversicherungsträger, dem VDR, eine Art Überschlagsrechnung gemacht, so über den Daumen, wie hoch der Anteil an den Rentenausgaben ist. Sie kamen auf 35,4 Prozent, vermuteten aber, dass es mehr ist! Damals war bereits der Bundeszuschuss unter 20 Prozent.
Versicherungsfremde Leistungen
Nach Definition des VDR sind alle Leistungen als versicherungsfremd anzusehen, die nicht oder nicht in vollem Umfang durch Beiträge der Versicherten gedeckt sind." (Zum Beispiel Kriegsfolgelasten, Anrechnungszeiten, Zwangsarbeiterrenten, Aussiedlerrenten, Entschädigungsleistungen für NS-Unrecht und für SED-Unrecht und andere vereinigungsbedingte Leistungen und vieles mehr. Die Wiedervereinigung wurde ja im Wesentlichen aus der Rentenkasse mitfinanziert. Anm. G.G.) "Diese versicherungsfremden Leistungen, die der Rentenkasse entnommen werden, erfüllen gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Ich stelle gar nicht deren Wichtigkeit in Frage, sondern nur, dass sie, statt mit Steuermitteln finanziert zu werden, systematisch der Rentenkasse zur Zahlung aufgebürdet werden. Also von Angestellten, Arbeitern und Rentnern bezahlt werden.
Politiker, Selbständige und Beamte beteiligen sich nicht, obwohl es sich doch um die Finanzierung von Aufgaben der Allgemeinheit handelt. Und was nun die sogenannten Bundeszuschüsse beziehungsweise die angebliche Rentensubvention betrifft, so ist das eine der größten Rentenlügen. Diese Zahlungen gibt es seit 1957, sie haben die Reichszuschüsse abgelöst. Diese Bundeszuschüsse werden fälschlicherweise vonseiten der Politik und auch von den Medien als Zuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung bezeichnet. Als Finanzspritze für die notleidende Rentenkasse. Das ist wie gesagt eine Lüge. Es handelt sich in Wahrheit nicht um einen Zuschuss oder gar um Subvention, sondern um eine Teilrückzahlung zuvor abgezapfter Gelder.
Und nun kommt es, der große Skandal, der immer verdeckt werden soll." (Siehe dazu auch die "Teufelstabelle" im Internet. Anm. G.G.) "Es handelt sich um die Plünderung der Rentenkassen. Die aufgelaufene und nicht durch zurückgezahlte Bundesmittel gedeckte Summe ist riesig. Seit 1957 haben die verschiedenen Bundesregierungen rund 700 Milliarden Euro inklusive 300 Milliarden Zinsen quasi veruntreut. Sie wurden zweckentfremdet, für versicherungsfremde Leistungen aus der Rentenkasse in Anspruch genommen. Dieses Geld schuldet die Regierung unserer Rentenkasse und die Rentner und Beitragszahler bestehen auf Rückzahlung.
Es ist immerzu die Rede von der drohenden Pleite der Rentenkasse wegen der demografischen Entwicklung. Diese Propaganda ist Teil des Konzepts der systematischen Demontage des Sozialstaats. Solche Schlagworte der Meinungsmanipulation dienen der gezielten Irreführung der Versicherten und der Öffentlichkeit. Dafür sorgen hoch bezahlte Experten für Demografie wie Meinhard Miegel. Sagt ihnen der was? Ein Mietmaul der Versicherungswirtschaft in Sachen privater Altersvorsorge." (Ebenso ein gewisser Prof. Raffelhüschen, ehemals Mitglied der Rürup-Kommission.) "Man muss sich fragen, warum eigentlich wirkt sich der demografische Wandel nur auf die gesetzliche Rentenversicherung aus? Tatsache ist, bei den Finanzierungsproblemen der gesetzlichen Rentenversicherung handelt es sich nachweislich nicht um die Folgen ,langfristiger demografischer Veränderungen', sondern um die Auswirkungen der Eingriffe des Gesetzgebers in die Rentenkasse. Wir leiden nicht unter einem demografischen Problem, wir leiden unter einer wirtschaftspolitischen Elite, die sich bereichert. Wir haben kein Rentnerproblem, wir haben ein Verteilungsproblem.
Dieses Problem wird uns als Mangel an Eigenverantwortung und Notwendigkeit zum Sparen dargestellt. Jede Rentenreform hat einschneidende Verschlechterungen zustande gebracht. Die von 1978 unter Helmut Schmidt brachte damals schon Nullrunden. Besonders die von 1996, der zweite große Eingriff unter Kohl, der viele hart getroffen hat, auch von unseren Leuten. Und das war dann der Moment, da sagten wir, das kann nicht angehen, dass manchen Leuten per Federstrich die Rente um ein Viertel gekürzt werden kann in einem Rechtsstaat.
Und Mitte 1999 ging es dann los mit der ersten Klage, die natürlich abgewiesen wurde, auch in der nächsten Instanz und so weiter. Und es hat dann länger als zehn Jahre gedauert, bis wir beim BVerfG grade mal die Verfassungsbeschwerde einreichen konnten, weil uns Sozialgericht und Landessozialgericht vorher am steifen Arm verhungern ließen. Nach drei Jahren habe ich mal vorsichtig angefragt, mit Hinweis auf mein Alter, na ja.
Aber eines Tages hatten wir es geschafft, brauchten aber einen Anwalt. Sie finden einfach keinen, der sich auskennt. Das lohnt sich für die nicht, sich in die Materie einzuarbeiten. Und es wird ja auch bewusst verhindert, dass man eine Sammelklage machen kann. Ich habe dann praktisch für den Anwalt die ganzen Klagen selbst entworfen. Trotzdem war es richtig teuer. Wir hatten zwei Beschwerden eingereicht, aber das BVerfG hat beide Beschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Und wir haben jetzt praktisch zwei Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die habe ich auch selber verfasst. Von der einen hörte ich gerade, dass sie zur Bearbeitung angenommen wurde. Das ist quasi die letzte Instanz.
Ich bin gespannt, ob die zu anderen Ergebnissen kommen, dann hätte Deutschland nämlich ein massives Problem. Bisher ist ja die Rechtsauffassung bei uns unerschütterlich. In einer Entscheidung vom BVferfG zur Sache vom 1. 7. 1981 und auch vom 27. 2. 2007 - die mussten sie annehmen, weil es eine Vorlage vom Bundessozialgericht war -, da heißt es kategorisch, dass das Rentenversicherungsverhältnis, ,im Unterschied zum Privatversicherungsverhältnis von Anfang an nicht auf dem reinen Versicherungsprinzip, sondern wesentlich auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Daher gebührt dem Gesetzgeber auch für Eingriffe in bestehende Rentenanwartschaften Gestaltungsfreiheit.' Der Gestaltungsfreiheit wird ein höherer Stellenwert beigemessen als dem Gleichheitsgrundsatz, dem Vertragsrecht und der Zweckbindung der Beiträge. Für die Betroffenen bedeutet das, bei uns gelten für Arbeitnehmer und Rentner nicht die gleichen Rechte wie für andere Bürger. Deshalb ist das Gefasel vom Solidarsystem auch gegenstandslos, weil es keines gibt, wenn die Eliten draußen bleiben.
Also dieselben Eliten, die das Zweiklassenrecht geschaffen haben und es rechtfertigen, nehmen für sich selbst ein höherwertiges Recht in Anspruch. Für Arbeitnehmer und Rentner hingegen wird die politische Beliebigkeit einer Gestaltungsfreiheit zum Rechtsstaatsprinzip erhoben. Und diese Gestaltungsfreiheit besteht in der Plünderung unserer Rentenkasse.
Der Schattenhaushalt
Es gibt seit Jahren einen Schattenhaushalt im Bund, in Höhe von 65 Milliarden Euro, der aus der Sozialversicherung der Arbeitnehmer gespeist wird. Und die GRV-Beitragszahler müssen auch noch die Alimentation der Politiker bezahlen, von denen sie um ihre Beiträge betrogen werden. Hier findet eine Umverteilung von unten nach oben statt. Das halte ich für einen Skandal ersten Ranges. Das BVerfG hat seit 30 Jahren nicht eine einzige Verfassungsbeschwerde zum Rentenanspruch oder zur Rentenhöhe auch nur zur Entscheidung angenommen. Weil es keine Aussicht auf Erfolg gibt. Sehr wahr. Wenn es aber um die eigenen Rechte geht und um die Pensionen der Beamten, dann schreitet das Gericht ein. Ich kann ihnen zig Fälle nennen.
Die Richter sind alle zwangsläufig abhängig bei uns, weil im Grundgesetz keine Gewaltenteilung festgeschrieben wurde. Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass also eine Handvoll Politiker entscheidet, wer in der Exekutive, in der Legislative und in der Judikative das Sagen hat? Haben Sie schon mal verfolgt, wie ein Richter gewählt wird? Die sind sozusagen handverlesen, bis zum Landessozialgericht macht dies das Landesjustizministerium, ab Bundesgericht macht es der Bundesjustizminister, nach Absprache mit den entsprechenden Leuten von SPD und Union, die abwechselnd benennen dürfen.
Die Richter unterstehen den Gerichtspräsidenten, die Beamte sind und ihrerseits dem Justizministerium unterstehen. Richterernennung und Dienstaufsicht erfolgt durch die Exekutive. Es ist eigentlich so, dass die Justiz von der Regierung verwaltet wird, als wäre sie eine ihrer Behörden. Wir sind kein Rechtsstaat! Zu dieser Überzeugung musste ich leider kommen bei meiner Tätigkeit.
Entsprechend kann sich in Deutschland auch ein ungebremster Lobbyismus erfolgreich überall hin ausbreiten und beliebig Einfluss nehmen. Bei der rot-grünen Rentenreform 2000/2001, die ja eine Aushebelung des Rentensystems war, hat die Schröder-Regierung genau gewusst, wenn sie die Rentner schröpft und einen Zuschuss bietet, dann lassen sich die Leute willig in eine private Altersvorsorge hineintreiben. Da gab es viele Pressekampagnen, viele willige Helfer. Auch der Rürup mit seiner ,unabhängigen' Expertenkommission - eine treibende Kraft für die private Altersvorsorge - hat dann Farbe bekannt und ging als Chefökonom zum Finanzdienstleister Maschmayer. Mit Maschmayer hat ja auch die rot-grüne Koalition - angefangen bei Schröder - engste Beziehungen gepflegt, während sie das System vorangetrieben hat. Die FDP ist selbstverständlich ebenfalls von der Versicherungswirtschaft gut gesteuert, wie man heute sieht."
(Noch vor der rot-grünen Rentenreform schätzten Experten der Versicherungswirtschaft den Markt für eine private Altersvorsorge auf bis zu 3 Billionen Mark. Die Rezeptur zur Realisierung dieses Geschäfts für die Assekuranz-und Finanzwirtschaft stellten die Politiker her: Rentenkürzungen, Erhöhung des Renteneintrittsalters, Panikmache mit leeren Kassen, demografischem Wandel und der bedrohlichen Langlebigkeit der Rentner. Seit Einführung der Riester-Rente 2002 haben sich etwa 14 Millionen Bürger zu einer Versicherung verleiten lassen. Unlängst erst wurde bekannt, dass die Renditen für die Riester-Renten auch durch Anlagen bei Vermarktern von Streubomben erwirtschaftet werden. Anm. G.G.) .
Goldesel Riester-Sparer
"Nehmen wir den Riester. Für mich ist das also wirklich eine Katastrophe, dass ein leitender Mitarbeiter der IG Metall - Riester war ja mal 2. Vorsitzender - in seiner Funktion als Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das durchgezogen hat! Aber er war eben auch Referent eines Finanzdienstleisters und wurde dann Aufsichtsrat in einem Versicherungskonzern, der Union Investment, größter Anbieter von Riester-Renten. Der Herr hat inzwischen mindestens sechstellige Beträge gekriegt, allein für Vorträge und Werbeauftritte. Und auch dieses Geld müssen die Riester-Sparer natürlich erwirtschaften. Also die Interessen sind ganz offensichtlich.
Es ist leider auch offensichtlich, dass die Leute nicht merken, wie sie betrogen werden. Die Riester-Rente wird als staatlich subventionierte Altersvorsorge dargestellt, obwohl es sich vor allem um eine Subventionierung der Versicherungswirtschaft handelt, die der Allgemeinheit Milliarden entzieht. Das sogenannte Finanzprodukt ist zudem teuer, von der ,Rente' gehen 20 Prozent und mehr für Gebühren, Provisionen und so weiter. ab. Das meiste Geld kommt bei den Versicherungen an, nicht bei den Versicherten. Außer sie werden älter als 87.
Aber die Leute lassen sich beeinflussen und haben zu Recht Angst. Arbeitnehmer erhalten schon lange keine angemessenen Renten mehr. Der durchschnittliche Rentenbetrag für Männer lag 2009 bei 931 Euro (für Frauen nur bei 521 Euro), während die durchschnittliche Beamtenpension bei 2.500 Euro lag (12,8-mal pro Jahr). Seit 2003 ist die Kaufkraft der Rente zurückgegangen, etwa um 20 bis 25 Prozent. Und es gibt keine Instanz oder Regierungspartei, bei der auf Hilfe zu hoffen wäre. Im Gegenteil, der Jens Spahn z. B. von der Union hetzt jetzt gerade besonders gegen Rentner, und auch die Linkspartei will sich das Thema eigentlich vom Hals halten und fasst die heißesten Kartoffeln gar nicht erst an.
Von den Medien ist auch keine Aufklärung zu erwarten. Im Gegenteil, Spaltungskampagnen ,Junge gegen Alte' laufen jeden Tag. Man erzählt ihnen, Solidarität sei nicht mehr finanzierbar. Die Jungen sollen davon abgelenkt werden, dass jede Rentenreform vor allem sie betrifft. Jede Entwertung der Renten entwertet auch ihre Entgeldpunkte! Wichtig ist, dass die Jungen sehen, dass das, was man ihnen heute zusagt, das Papier nicht wert ist, auf dem es steht."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau