Iranischer Graffiti-Künstler über Protestaktionen: "Hier ist es schwer, verdammt schwer"
Der Streetart-Künstler A1one sprayt in Teheran. Mit Graffiti zeigt er seine Sicht auf die iranische Gesellschaft und den politischen Protest.
taz: A1one, Sie machen Graffiti in Teheran. Hat jemand dort zur Zeit überhaupt ein Auge dafür?
A1one: Natürlich. Die ganz normalen Leute sind die Zuschauer. Wo sonst, wenn nicht in Teheran, wo alles als Protest gilt, was nicht kontrolliert werden kann, hat man ein Auge dafür. Graffiti, Streetart - die fragt nicht vorher um Erlaubnis. Deshalb ist diese Kunst sehr viel cooler als die, die in Galerien ausgestellt und von einer Kunstelite begutachtet wird.
In Ihren Bildern verschmelzen Sie mit Eleganz islamische Kalligrafie mit Hiphop, ethnische Kunst mit Kinderbuchillustration. Auffallend war Ihre grüne Bleistiftarmee, die in letzter Zeit überall auf Teherans Wänden auftaucht. Wofür steht sie?
Das sind Bleistifthelden, die den Protest gegen das Regime spiegeln. Sie sind der Reform-, Freiheits- und Demokratiewelle in Iran gewidmet. Unsere Staatsoberhäupter sagen, dass die Demonstranten Aufrührer seien, die den Staat ruinieren wollten. Dass es ungebildete Anarchisten und Marionetten des Westens seien. Aber für die Menschen, die im Iran und in Teheran leben, ist es ganz klar, dass die meisten der Demonstrierenden hochgebildete Iraner und Iranerinnen sind. Studentinnen, Professoren, freie Künstler und Kulturaktivisten. Deshalb ist meine Armee der Bleistifte auch grün verhüllt.
Ist das schon politischer Protest?
Dieser Artikel wurde der aktuellen sonntaz vom 15./16.8.09 entnommen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Es ist eine Möglichkeit, in den Straßen zu verbreiten, was man für die Wahrheit hält. Ich denke, bis heute kleben etwa 800 grüne Bleistiftsoldaten auf Wänden in Teheran.
Wie sind die Reaktionen darauf?
Es hat mich gefreut, dass ich während der Protesttage Leute gesehen habe, die die Aufkleber an ihre T-Shirts klebten oder als Hintergrundbild für ihre Handys aufnahmen.
Mit welchen Strafen muss ein Graffitikünstler im Iran rechnen?
Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften, die Graffiti verbieten. Wird man erwischt beim Taggen, wird erst mal geguckt, ob die Botschaft antiislamisch ist. Wenn ja, hat man ein Problem.
Welche anderen Graffiti in Teheran finden Sie gut?
Mich beeindrucken Zeichnungen, die von armen Menschen in Teheran Downtown gemacht wurden. Vor einiger Zeit habe ich im Teheraner Basar auch einige Sachen gesehen, die ich sehr gerne mochte. Es waren grandiose Synthesen zwischen Streetart und persischer Typografie.
In Europa kann man Streetart und Graffiti mittlerweile in Museen finden. Welche Rolle spielt das im Iran?
Im Iran müssen wir dafür sorgen, dass in Museen überhaupt Kunst zu sehen ist und nicht nur Propaganda. Dann können wir darüber sprechen, ob Streetart auf die Straße oder ins Museum gehört.
Sie gelten als Wegbereiter der Streetart im Iran. Wird Graffiti mittlerweile generell als politische Ausdrucksform wahrgenommen?
Es wird viel darüber diskutiert, was Streetart überhaupt ist: ein Hobby von Jugendlichen, die gern taggen und schlechte Bilder sprühen, oder Kunst, die schon deshalb politisch ist, weil damit eigene Meinungen verbreitet werden. Wie das ausgeht, ist noch unklar.
Sie haben Streetart gewählt, um Ihre Meinung auszudrücken. Wie tun das andere Kunstschaffende in diesen Tagen?
Um als offizieller Künstler oder als offizielle Künstlerin im Iran anerkannt zu werden, ist es das Beste, sich selbst nicht groß ausdrücken zu wollen, sondern den staatlichen Vorgaben zu folgen. Dann kommt man ins Museum. Aber ich mag die, die das ignorieren und ihr Ding machen.
Und wie ist die Situation für subversiv arbeitende Kunstschaffende im Iran?
Die Möglichkeit, mit eigenwilliger, nicht vom Staat verordneter Kunst groß rauszukommen, ist begrenzt. Wenn das Regime merkt, dass man damit Einfluss gewinnt, dann kann es sein, dass die Polizei auftaucht. Am besten ist es, wenn du vorher abgetaucht bist. Das Regime versucht, alle kulturellen Bewegungen zu kontrollieren, um das System stabil zu halten. Deshalb ist es schwer hier, verdammt schwer.
Was sind Ihre Hoffnungen und Befürchtungen?
Ich habe keine Hoffnungen und keine Befürchtungen, die ich mit Worten ausdrücken könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter