Casting: Heidi war gar nicht da
ProSieben sucht wieder Nachwuchsmodels. Dafür treten Hunderte Mädchen ihre Rechte ab.
Nackte Beine, lange Haare, hohe Schuhe – so weit das Auge reicht. „Meine Freunde haben gesagt, ich soll mich bewerben“, sagt Betty und lächelt süß. Die 17-Jährige – Sommersprossen, kringelige Locken, Hotpants – wartet zusammen mit Hunderten anderen Mädels am Freitagmittag vor einem Hotel in der Nähe vom Alex: beim Casting für „Germany’s Next Topmodel“.
Die Sendung, die seit 2006 von Scharfrichterin Heidi Klum moderiert wird, hatte zuletzt sinkende Einschaltquoten. Für die achte Staffel werden trotzdem neue Opfer gesucht. Sie sollen mindestens 16 Jahre alt und 1,76 Meter groß sein. Auf der Homepage erklärt Exteilnehmerin Rebecca per Video, dass man enge Kleidung, High Heels und Lipgloss mithaben sollte.
Betty hat an alles gedacht. Was sie zum nächsten deutschen Topmodel macht? „Ich hab richtig Bock drauf und weil ich einzigartig bin und Schwung in die Sendung bringe.“
Aus dem Hotel kommt ein Mann mit langen, schmierigen Haaren, einem kurzen Fummel und High Heels: Jorge Gonzalez, der Catwalk-Trainer. „Hey Chicas“, ruft er. Die Mädchen machen „Oh“ und „Ah“. Ein Kamerateam folgt ihm, als er die Reihe abschreitet und 150-mal „Hola“ sagt und: „Zeigt mir eure High Heels!“
Wer hier mitmachen will, muss vorher die eigenen Rechte an Name und Bild an den TV-Sender ProSieben abtreten und sämtliche „betroffenen Persönlichkeitsrechte“. Tahlia, 18, trägt ein beiges Kostüm und ist „spontan vorbeigekommen“. Nacktfotos wären für sie kein Tabu, aber: „Weil ich einen Freund hab, würde ich keine Fotos mit anderen Männern machen.“ Er sei jetzt schon eifersüchtig, „aber das gehört dazu“. Die Teilnahmebedingungen hat sie unterschrieben, ohne sie zu lesen.
„Vielleicht wird es in dieser Staffel ja eine Überraschung geben“, sagt Jorge zur taz. Zum Beispiel „eine Chica mit Hälfte Haare blond, Hälfte schwarz, hahaha!“ Das Filmteam checkt die Wartenden aus. Die Interviewerin moniert die zu stark geschminkten Lippen eines Mädchens. Das lacht verlegen in die Kamera. „Würdest du dich abschminken?“ – „Nur wenn’s sein muss.“ – „Es muss sein“, sagt die Interviewerin im Klum-Domina-Style und zückt ein Abschminktuch. Das Mädchen gehorcht.
Eine Teilnehmerin kommt aus der Tür, sie wurde nicht genommen. „Und ich kannte keinen von der Jury, Heidi war gar nicht da“, sagt sie und entledigt sich ihrer pinken High Heels.
Vorne am Eingang steht plötzlich Betty und winkt ihre Freundin zu sich ran. „Ich bin weiter!“, ruft sie. Die Freundin quiekt. „Kannst du noch zwei Stunden warten?“, fragt Betty und wird wieder reingeholt. Die Freundin schüttelt den Kopf. „Wär sie mal rausgeflogen, ey.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen