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Interview: WARA WENDE über die Zukunft der Schulen"Man wird ja noch Wünsche äußern dürfen"

Schleswig-Holsteins parteilose Ministerin Waltraud "Wara" Wende will das Schließen von Grundschulen mit "kreativen Lösungen" umgehen. Das Gymnasium soll bleiben.

Bildung lässt sich nicht mit denselben Kriterien messen wie die Wirtschaft: Wara Wende. Bild: dpa
Interview von Esther Geisslinger

taz: Frau Wende, haben Sie in der schleswig-holsteinischen Bildungsdebatte ein Lieblings-Unwort?

Wara Wende: Bis vor kurzem war es „Schulfrieden“, inzwischen ist es „demografische Rendite“.

Also die Zahl der Lehrerstellen, die angesichts sinkender Schülerzahlen wegfallen könnten. Warum?

Weil es indiziert, dass sich Bildung mit denselben Kriterien messen lässt wie die Wirtschaft. Es schwingt mit, dass wir einen ökonomischen Gewinn machen können.

Sie haben neulich gesagt, Sie möchten alle Stellen erhalten.

Sollte die Finanzministerin es mir anbieten, werde ich mich nicht weigern.

Halten Sie das für realistisch?

Nein, aber man wird ja noch Wünsche äußern dürfen. Sonst dürfte ich auch keine Utopien mehr denken. Fest steht, dass wir die Hälfte der Stellen erhalten, über alles Weitere muss man verhandeln.

Waltraud Wende

54, hat sich in Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft habilitiert und war Rektorin der Uni Flensburg. Sie saß im Aufsichtsrat von Foodwatch, ist Mitglied der Volkswagenstiftung und gehört zur Jury eines Kabarettpreises.

Angesichts der sinkenden Kinderzahlen werden Sie vermutlich Schulen schließen müssen.

Das ist schlimm und traurig. Ich will gerade für Grundschulen versuchen, kreative Lösungen zu finden, aber das heißt nicht, dass jede Zwergschule erhalten werden kann. Wobei ich selbst eine Ein-Klassen-Schule besucht habe. Mir hätte nichts Besseres passieren können – ich habe gelernt, mich in die Rolle von schwächeren Schülern zu versetzen.

Sie werben für neue Wege, welche die Schulen ausprobieren sollen. Mehr Freiheit für die Schulen, das war auch das Motto Ihres Vorgängers Ekkehard Klug. Was unterscheidet Sie?

Die Kluft zwischen Herrn Klug und mir dürfte weit sein. Er legte einen Fokus auf Begabtenförderung, ich möchte einen Diskurs mit allen Beteiligten mit dem Ziel, möglichst alle Kinder mitzunehmen.

Sie wollen die Gemeinschaftsschule als zweite Säule neben dem Gymnasium erhalten. Wann und wie sollen die heutigen Regionalschulen verschwinden?

Nach meiner Einschätzung will die Mehrheit der Schulen in Gemeinschaftsschulen überführt werden.

Das sehen viele Schulen vermutlich anders.

Man müsste hören, wie die Argumente präzise lauten.

Das Gymnasium soll erhalten bleiben?

Ja, weil ich akzeptiere, dass viele Eltern ihre Kinder an das Gymnasium schicken wollen. Ich werde auch die Bevorzugung der Gymnasien, die es unter der vorherigen Regierung gegeben hat, nicht ins Gegenteil verkehren. Aber ich möchte die Gemeinschaftsschulen stärker zu Lern- und Sozialisationsorten umgestalten. Diese Prozesse werden spannend und dauern ihre Zeit.

Bei der Debatte um die Lehrerausbildung vermutet der Philologenverband hinter den sogenannten Stufenlehrern, die an jeder Schulart unterrichten können, einen Schlag gegen das Gymnasium.

Das Ziel ist eine Super-Ausbildung, die die Lehrkräfte auf heterogene Klassen vorbereitet, mit einer Qualifikation für Deutsch als Zweitsprache und Medienkompetenz. Und ich möchte, dass die Studierenden Praktika absolvieren. Zurzeit bietet die Universität in Flensburg eine sehr gute Ausbildung für Lehrkräfte, die bis Klasse 10 unterrichten, und Kiel ist wissenschaftlich top, aber die Praxis ist suboptimal. Es geht darum, ein Konzept zu finden, das gute Lehrkräfte für Gemeinschaftsschulen und Gymnasien ausbildet.

Wie genau?

Das kann und will ich nicht allein entscheiden. In jedem Fall müssen beide Universitäten daran beteiligt werden.

Als Präsidentin der Universität Flensburg haben Sie mehr Geld für die Hochschulen gefordert. Was sagen Sie heute, als Ministerin?

Wir haben am Universitätsklinikum und an der Kieler Universität einen Sanierungsstau und in Flensburg fehlen Stellen. Beides hat bereits die Vorgängerregierung bestätigt. Wobei die Universitäten auch sehr erfolgreich sind: Kiel hat fast so viele Drittmittel geholt wie eine Elite-Universität. Und die dortigen Exzellenz-Projekte sind jenseits des knappen Geldes ein Grund zur Freude.

Sie haben sich früher für nachgelagerte Studiengebühren ausgesprochen. Auch hier: Was sagt dazu die Bildungsministerin?

Als Ministerin sage ich nein zu Studiengebühren – und privat ebenfalls. Es ging auch eher um einen Solidarbeitrag von denen, die später gut verdienen. Aber dann habe ich mich argumentativ überzeugen lassen: Wenn Unis nur noch Studiengänge einrichten, bei denen gut verdienende Absolventen herauskommen, haben wir nichts gewonnen. Es muss auch Studiengänge zu Orchideenfächern geben.

Sie kommen als Quereinsteigerin in die Politik. Schadet oder nützt Ihnen das?

Fragen Sie das in fünf Jahren noch mal! Ich merke allerdings schon jetzt, in welchen Zwängen und eingefahrenen Strukturen ich mich bewege. Ich werde mit Sicherheit das Landtagsspiel nicht ändern können. Viele Freunde haben mich gewarnt, ich würde mich ändern und anpassen müssen. Aber ich habe mir gesagt, ich könne nicht über Politik meckern – was ich gern tue – und dann kneifen, wenn ein Angebot kommt. Doch an bestimmten Punkten werde ich mich nicht anpassen, etwa bei der teamorientierten Leitung des Ministeriums. Und: Ich ahne schon heute, dass man mich eines Tages wegen meines Hundes, den ich mit ins Büro nehme, vorführen wird. Das ist für mich kein Grund, mein Verhalten zu ändern.

Sie wollten einen kleineren Dienstwagen – hat das geklappt?

Die Wagen sind geleast, wir müssen die von der Vorgängerregierung geschlossenen Verträge jetzt leider erfüllen. Danach werden die Wagen kleiner. Es bleibt wohl ein Audi, aber eben ein kleinerer. Es ist einfach so, dass der Wagen mein Arbeitsplatz ist, und natürlich auch der Arbeitsplatz und Aufenthaltsort meiner Fahrerin.

Hat die Politik Sie also schon verändert?

Sorry, da muss ich widersprechen! Ich fahre privat Mini, ich nutze weiter die Bahn oder gehe zu Fuß. Und Umweltminister Robert Habeck und ich fahren auch schon mal zusammen von Flensburg nach Kiel.

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