Armenische Gewichtheberinnen: Die Last des Kaukasus
Frauen und Gewichtheben? Für viele Menschen in der ehemaligen Sowjetrepublik Armenien geht das nicht zusammen. Deswegen sind die Athletinnen Trendsetterinnen.
Armeniens Olympia-Hoffnungen ruhen auf breiten Schultern. Die 25-jährige Gewichtheberin Hripsime Khurschudyan hat bei Welt- und Europameisterschaften bereits zahlreiche Medaillen eingeheimst. Auch jetzt hat sie gute Chancen. Aber Frauen und Gewichtheben – das geht für viele Menschen in der Kaukasusrepublik nicht zusammen.
Nazik Avdalyan (26), 2009 Weltmeisterin in der Klasse bis 69 Kilogramm, hat das erlebt. „Für die Mehrheit ist Gewichtheben eine männliche Sportart. Armenische Frauen, so sieht das die Gesellschaft, sollen in erster Linie auf ihre Weiblichkeit achten. Ich und meine Freundinnen, wie haben solche Ansichten immer ignoriert.“
Manche Personen würden das Wort „Gewichtheberin“ sogar als Schimpfwort benutzen. „Es ist sehr unangenehm, wenn Menschen auf der Straße mit dem Finger auf mich zeigen und sich über mich lustig machen. Aber es gibt auch solche, die mich grüßen und sich bei mir bedanken“.
Auf die Auffassung, Gewichtheberinnen könnten keine guten Ehefrauen sein, reagiert Nazik Avdalyan gelassen: „Ich habe vor einen Monat geheiratet.“ Für Armine Ghasaryan, Psychologin in der armenischen Hauptstadt Jerewan, ist diese Betonung der Weiblichkeit keine kaukasische Besonderheit. Das sei für jede Frau wichtig.
Eingeschränkte „Tätigkeitsbereiche“
Doch sei die armenische Gesellschaft intolerant, was die Rolle von Mann und Frau in der Gesellschaft betreffe. „Jungen werden dazu erzogen, später eine dominierende Position in der Gesellschaft einzunehmen. Demgegenüber sind die Frauen wirtschaftlich, politisch, psychologisch und sozial von den Männern abhängig. Deswegen sind die Tätigkeitsbereiche der Frauen eingeschränkt und das ist auch im Sport so.“
Nazik Avdalyan hatte 2011 einen Autounfall, bei dem sie sich schwere Verletzungen der Wirbelsäule zuzog. Deshalb musste sie ihre aktive Karriere beenden. Dennoch will sie sich weiter für ihren Sport engagieren. Derzeit arbeitet sie an einer Dissertation zum Thema „Methodik des Gewichthebens für Frauen“. Demnächst will sie in Jerewan eine Sportschule für Frauen eröffnen. Es soll Trainungseinheiten für Gewichtheben geben, später auch weitere Sportarten.
In diesem Jahr nahmen bereits 30 Gewichtheberinnen aus verschiedenen Städten und Dörfern Armeniens an den Republikmeisterschaften teil, wie die armenische Nachrichtagentur „PanArmenian.Net“ vermeldet. Gewichtheben wird bei jungen Mädchen immer beliebter. Sollte Hripsime Khurschudyan mit Edelmetall heimkehren, dürfte sich dieser Trend verstärken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!