Abschied vom Amtsgeheimnis: Hamburgs Rathaus wird gläsern
Ein neues Gesetz verschafft ungeahnte Einblicke in die Hamburger Verwaltung und alle wichtigen Verträge der Stadt. Die Novelle hat eine bundesweite Vorreiterrolle.
HAMBURG taz | Hamburg bekommt eine gläserne Verwaltung. Das jedenfalls sieht ein Gesetzentwurf vor, den alle fünf in der Hamburger Bürgerschaft vertretenen Parteien noch am heutigen Mittwoch gemeinsam absegnen wollen. Das „Transparenzgesetz“ sieht vor, dass die Verwaltung alle von ihr abgeschlossenen Vereinbarungen, die ein Volumen von mindestens 100.000 Euro umfassen, automatisch im Internet veröffentlicht. Es soll im Herbst in Kraft treten.
Auf das zentrale Element des Regelwerks, das Online-Informationsregister, in dem alle veröffentlichten Dokumente aufgelistet und einzeln abrufbar sein sollen, müssen die zukünftigen Nutzer des neuen Info-Angebots allerdings noch etwas warten. Es soll in den kommenden zwei Jahren aufgebaut werden.
Verträge wie die mit dem Baukonzern Hochtief über den Bau der Elbphilharmonie oder mit Vattenfall über die Teilübernahme der Energienetze durch die Stadt, die – ohne im Detail bekannt zu sein – die politische Diskussion in Hamburg seit vielen Monaten maßgeblich prägen, müssten dann veröffentlicht werden. Für Geheimklauseln in Verträgen gäbe es dann keine Chance mehr.
Bringschuld statt Holschuld lautet die Devise des neuen Hamburger Gesetzes. Die Verwaltung muss im Regelfall automatisch liefern, nicht erst auf Bürgeranfrage. An diesem zentralen Punkt unterscheidet sich das Transparenzgesetz von seinem Vorgänger, dem 2006 verabschiedeten Informationsfreiheitsgesetz.
Niedersachsen und vier andere Bundesländer besitzen noch überhaupt keine Informationsfreiheitsgesetze oder vergleichbare Regelungen.
Schleswig-Holstein und fünf andere Länder haben zwar entsprechende Gesetze, aber keine Pflicht zur Veröffentlichung amtlicher Verträge.
Bremen gehört zu den fünf Bundesländern mit eingeschränkten Veröffentlichungspflichten. Aber auch hier werden nur Auflistungen verfügbarer Dokumente ins Netz gestellt, nicht diese selbst.
Nur in wenigen Fällen, wenn Geschäftsgeheimnisse der Firmen oder Persönlichkeitsrechte gefährdet wären, dürfen bestimmte Passagen dem Zugriff der Internet-User entzogen bleiben. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte soll in solchen Fällen maßgeblich mitbestimmen, welche Informationen ihren Weg ins Netz finden. „Wir wollen so vermeiden, dass Datenschutz und Transparenz gegeneinander ausgespielt werden“, hofft der Innenexperte der Hamburger Grünen, Farid Müller, auf eine konfliktarme Praxis.
Zudem sollen bis auf wenige Ausnahmen alle von der Stadt geschlossenen Verträge erst einen Monat nach ihrer Veröffentlichung im Netz in Kraft treten – so dass Zeit bleibt, gravierende Formulierungsfehler und -lücken, die in dieser Zeit erkannt werden, noch zu korrigieren.
Eine Veröffentlichung bereits bestehender Verträge, die nicht für die Veröffentlichung gedacht waren, wird es allerdings in der Regel nicht geben. Hier genießen die Vertragspartner „Vertrauensschutz“, da sie bei Vertragsabschluss nicht davon ausgehen konnten, dass ihre frisch unterzeichneten Papiere irgendwann publik werden könnten.
Auf Druck einer Volksinitiative
Das Transparenzgesetz ist nach Einschätzung aller Parteien bundesweit das weitreichendste seiner Art. Es kam auf Druck der Volksinitiative „Transparenz schafft Vertrauen“ zustande, die einen ähnlichen Gesetzentwurf per Volksentscheid in geltendes Recht verwandeln wollte.
Die Initiative war an der Ausgestaltung des aktuellen Kompromisses maßgeblich beteiligt und wird ihr Volksbegehren einstampfen, sollte das Parlament das Gesetz wie erwartet verabschieden. Ihr Sprecher Gregor Hackmack nennt das Regelwerk einen „Quantensprung auf dem Weg zu einer offenen Gesellschaft“.
Noch nicht offen liegen dabei die Kosten für die Erstellung und weitere Pflege des neuen Informationsregisters. „Dass es noch keine Kostenschätzung und kein Finanzierungskonzept gibt, ist das Kuckucksei an unserem Kompromiss. Hier haben wir aufgrund des Zeitdrucks weder seriös noch transparent gearbeitet“, gibt sich die rechtspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion Viviane Spethmann selbstkritisch, bekennt aber: „Wir wollen das Gesetz deshalb nicht scheitern lassen.“
Während erste grobe Kostenschätzungen von einem einstelligen Millionenbetrag für den Aufbau des Informationsregisters ausgehen, will SPD-Fraktionschef Andreas Dressel zumindest für dessen weitere Betreuung möglichst wenig ausgeben: „Es darf für einen Verwaltungsmitarbeiter nur ein zusätzlicher Klick sein, das Dokument, das er gerade bearbeitet hat, ins Netz zu stellen“, hofft Dressel.
Ganz so einfach aber, das glaubt auch die Volksinitiative, wird es dann doch nicht gehen.
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