Kolumne Press-Schlag: Öffentlichkeit außer Kontrolle
Der Skandal ist nicht das „Skandalspiel“ zwischen Düsseldorf und Hertha, sondern das mediale Gedöns danach. Was ist schlimm an einem Platzsturm feiernder Fans?
D ie Aufregung ist groß. Der Boulevard hyperventiliert, schreibt vom „Riesen-Skandal“. Allerorten: rhetorischer Alarmismus. Und dann auch noch das: Die ARD sendet einen Brennpunkt. Das ZDF nimmt ebenfalls das Erregungspotenzial auf und verlängert seine heute-Nachrichten.
In keiner Fernsehsendung, in keinem Artikel dürfen sie fehlen, die Kennzeichnungen der Fans als Chaoten, Randalierer und Unbelehrbare. Ganz vorn dabei: die ARD-Kommentatoren Beckmann und Scholl sowie der Deutsche Fußball-Bund. Der DFB sei bestürzt und besorgt, lässt er wissen.
Nach den Übergriffen in dieser Saison sei ein Punkt erreicht, „an dem neue Wege gegen Gewalt im Umfeld von Fußballspielen gegangen werden“ müssten. Auch die Polizei dreht an der Skandalisierungsschraube. Beamte hätten ein „Blutbad“ befürchtet. Der Hertha-Anwalt spricht von „Todesangst“, die die Profis aus der Hauptstadt ausgestanden hätten.
Als Beweis der außer Kontrolle geratenen Zustände dient der Platzsturm im Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin am Dienstagabend. Schauen wir uns die Szene noch einmal genauer an: Die Nachspielzeit läuft. Es steht 2:2. Fortuna steht bei diesem Spielstand als Aufsteiger in die Bundesliga fest.
MARKUS VÖLKER ist Redakteur im Sportressort der taz.
Mühsam hochgekämpft
Die Düsseldorfer Fans haben 15 Jahre auf diesen Moment warten müssen. Von der vierten Liga haben sie sich mühsam hochgekämpft. Entsprechend euphorisiert sind die Fans. Sie können es kaum erwarten, das in ihren Augen historische Ereignis zu feiern. Sie wollen zu ihren Aufstiegshelden auf den Rasen, sie umarmen und über den Platz tragen, Grasbatzen ausstechen für zu Hause und Teile des Tornetzes als Andenken mitnehmen. Ein Pfiff ertönt.
Sie halten ihn für den Schlusspfiff. Eine Gruppe setzt sich in Bewegung. Andere folgen. Die Masse stürmt den Platz. Einmal in Bewegung, gibt es kein Halten mehr. Die Orgie beginnt. Doch es kommt zum Coitus interruptus. Das Spiel ist noch nicht zu Ende. Der Schlusspfiff war gar kein Schlusspfiff.
Kommando zurück. Das Feld wird geräumt. Nach gut 20 Minuten geht es weiter. Sieht so ein Skandal aus, der am Folgetag republikweit breitgetreten wird und wichtiger erscheint als der Rauswurf eines Ministers durch die Bundeskanzlerin? Man fragt sich, was so schlimm an der Verkennung der Situation durch die Fans ist – und ist geneigt zu antworten: gar nichts.
Was ist grundsätzlich schlimm an einem Platzsturm feiernder Fans? Auch nichts, denn sie wollen ja nur ihre Freude mit den Kickern ihrer Mannschaft teilen. In so einer Situation geht es nicht darum, gegnerische Spieler zu vermöbeln. Platzsturm ist nicht gleich Platzsturm. Wenn Gefahr für Herthas Spieler bestand, dann hätte sie von den eigenen blau-weißen Fans ausgehen können.
Böller und Bengalos
Aber die waren von Ordnern und Polizisten gut abgeschirmt in ihrem Eck und zündeten bisweilen Böller und Bengalos, die aus Sicht der Ultras zur Fankultur gehören und aus Sicht der Fußballverwalter in keine der antiseptischen Multifunktionsarenen moderner Prägung.
Früher war es an der Tagesordnung, dass Plätze von jubelnden Anhängern gestürmt wurden. Das war bei der ersten deutschen Meisterschaft in der Bundesrepublik, 1949, so, als der VfR Mannheim Meister wurde. Das war auch beim Sieg von Manchester City am vergangenen Wochenende so.
In England hat sich kein Mensch über die City-Fans aufgeregt, die die englische Meisterschaft feierten, nur ein paar City-Spieler rannten in die Katakomben, als seien die Ultras von Manchester United hinter ihnen her – ein Hinweis auf die Entfremdung der Fußballlegionäre von ihren Fans.
Harmloses Ergebnis intrumentalisiert
Man gewinnt den Eindruck, dass in der Causa Fortuna ein vergleichsweise harmloses Ereignis instrumentalisiert wird – und zwar nicht nur von Hertha BSC, das nach einem Einspruch auf eine Spielwiederholung hofft. Die Folge dieser hysterischen Nachberichterstattung dürfte sein, dass noch mehr reglementiert und der Fan in seine Schranken gewiesen wird.
Es ist schlichtweg nicht mehr vorgesehen, dass er aus seiner Rolle des braven, auf seinem Sitzplatz verharrenden Jubelkomparsen schlüpft. Überwindet er aber die fast schon hermetische Trennung zwischen Spieler und Anhänger und überrascht dann die VIPs und VIP-VIPs mit unvorhergesehener Fußballemotion, dann tritt der Wächterrat auf den Plan. Er rekrutiert seine Mitglieder aus den Reihen des DFB, der Fußball-Profiliga DFL und geneigter Redaktionen. Es ist eine Koalition der Spielverderber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin