Klärschlamm auf dem Acker: Multiresistentes Restrisiko
Ein Streit ist darüber entbrannt, ob Klärschlamm weiterhin als Düngemittel auf Äckern ausgebracht werden darf. Ob diese Praxis ungefährlich ist, weiß man nicht.
Ein Jahr ist es jetzt her, dass die Ehec-Epidemie Deutschland in Atem hielt und mehr als 50 Menschen das Leben kostete. Wochenlang stocherten die Behörden im Dunkeln, wie sich die Betroffenen mit dem Escherichia-coli-Bakterium O104:H4 angesteckt haben könnten.
Wochenlang verzichtete die Hälfte der deutschen Verbraucher auf Salat, Tomaten und Gurken, bis man endlich die mögliche Quelle der Kontamination fand: Bockshornkleesamen aus Ägypten, die an deutsche Sprossenproduzenten geliefert worden waren. Mit dieser Epidemie ist jedoch auch eine landwirtschaftliche Praxis weiter in Verruf geraten: die Ausbringung von Klärschlamm auf Getreideäckern.
Obwohl der Klärschlamm vor der Ausbringung etwa 20 Tage im Faulturm bei rund 36 Grad Celcius behandelt wird, findet man immer wieder Keime. So hat eine Studie der Technischen Universität Weihenstephan im Jahr 2010 aufgedeckt, dass 16 Prozent der untersuchten Abfälle in Kläranlagen mit multiresistenten Keimen belastet sind.
„Auch zu BSE-Zeiten und bei anderen Tierseuchen hatte man den Klärschlamm bereits als Kontaminationsweg diskutiert“, sagt Sebastian Schönauer von der Umweltschutzorganisation BUND. Und nicht nur infektiöse Mikroben tummeln sich in den Rückständen des Klärwerks, sondern auch Schadstoffe – der Grund, warum Klärschlammdünger seit 1992 nicht mehr im Obst- und Gemüsebau verwendet werden darf.
Blei, Biozode und Flammschutzmittel
So hat das Fraunhofer-Institut im Auftrag der Umweltprobenbank 2009 verschiedene Klärschlämme untersucht und fand unter anderem Schwermetalle wie Blei, Kupfer, Zink und Cadmium, Organozinnverbindungen, Biozide, Phtalate, Moschusduftstoffe, Polychlorierte Biphenyle (PCB), Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), bromierte Flammschutzmittel und Dioxine.
Zwar wurden im Laufe der Jahre einige Giftstoffe wie Dioxin oder bestimmte Schwermetalle immer seltener. „Andererseits gibt es kaum Untersuchungen zur aktuellen Arzneimittelbelastung“, meint Stefan Gäth, Wissenschaftler am Institut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement der Universität Gießen.
Zudem weiß man bei vielen Stoffen nicht, wie sie sich in der Umwelt verhalten und ob sich Stoffgemische in ihrer Wirkung möglicherweise potenzieren. Laut Bund werden heutzutage mehr als 100.000 Chemikalien vermarktet. Viele davon gelangen heute vermehrt in den Schlamm, weil die Kläranlagen technisch mittlerweile so gut gerüstet sind.
Zwar findet man zahlreiche Substanzen nur in geringen Mengen, aber mehrere dieser Stoffe gelten als reproduktionstoxisch und krebserregend. Im Bioanbau ist der Gebrauch von Klärschlamm als Dünger wegen der Schadstoffbelastung nicht erlaubt.
„Keine Gefahr“
Wie gesundheitsschädlich diese landwirtschaftliche Praxis tatsächlich für den Verbraucher ist, ist bislang kaum einzuschätzen. BUND-Experte Schönauer meint aber: „Der Klärschlamm hat sich in den letzten Jahren um 10er Potenzen verbessert was Schadstoffe anbelangt.“ Auch Stefan Gäth sieht „keine akute Gefahr für die Gesundheit“.
Am Umweltbundesamt (UBA) formuliert man es dagegen so: „Man sollte das Restrisiko nicht unterschätzen“, warnt Andrea Roskosch vom UBA. Wissenschaftlern des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) bereitet dagegen vor allem die Cadmium-Belastung in Klärschlamm Kopfzerbrechen.
Laut BfR trägt die Klärschlammdüngung dazu bei, dass viele Menschen, vor allem Vegetarier, die tägliche, ungefährliche Dosis an Cadmium überschreiten. Fakt ist jedoch, dass jährlich hierzulande rund zwei Millionen Tonnen Klärschlamm in kommunalen Anlagen anfallen, und diese kann man nicht einfach auf Deponien verrotten lassen.
Mehr als die Hälfte wird darum heute in Verbrennungsanlagen thermisch verwertet, 30 Prozent dienen als Dünger in der Landwirtschaft, wenn bestimmte Grenzwerte etwa an Schwermetallen nicht überschritten werden. Denn der Klärschlamm ist nicht nur eine Schadstoffsenke, sondern er liefert auch organische, also humusbildende Masse.
Endlicher Nährstoff Phosphat
Zudem stecken in dem Schlamm Stickstoff, Phosphat, Kalk, Kalium und Magnesium – Nährstoffe, die Pflanzen zum Wachsen brauchen. Vor allem Phosphat ist ein endlicher Nährstoff, der weltweit immer knapper wird. „Zwar gibt es Technologien, mit denen man Phosphat aus Klärschlamm oder Asche rückgewinnen kann“, meint UBA-Expertin Andrea Roskosch.
„Allerdings müssen sich diese erst noch bundesweit durchsetzen.“ Doch in einigen Bundesländern schätzt man das Risiko der Klärschlammdüngung größer als den Nutzen ein. Bayern und Baden-Württemberg arbeiten seit rund zehn Jahren an einem freiwilligen Ausstieg. In Baden-Württemberg wandern etwa 90 Prozent des Klärschlamms in Verbrennungsanlagen und werden energetisch genutzt.
Der Schwäbische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) forderte im Rahmen der Ehec-Krise 2011 die Bundesregierung auf, ihre klärschlammfreundliche Haltung endlich zu überdenken. Tatsächlich ist eine Novellierung der Klärschlamm-verordnung schon in Arbeit.
Der Gesetzgeber will Grenzwerte etwa für Schwermetalle und PCBs und auch die thermischen Verfahren zur Abtötung von Keimen verschärfen. Laut einem Sprecher des Bundesumweltministeriums soll der Referentenentwurf zum Sommer fertig sein.
Den Trend zur Klärschlamm-Verbrennung halten einige Umweltschützer jedoch für einen Irrweg. „Denn wenn der Schlamm verbrannt wird, gelangen Schadstoffe in die Luft und auch die Asche muss entsorgt werden“, gibt Schönauer zu bedenken.
Nachhaltige Kreislaufwirtschaft
Damit unterbreche man den biologischen Kreislauf. Der BUND fordert stattdessen, dass man den Klärschlamm so gestalten müsse, dass er im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft wieder vermehrt auf die Äcker gebracht werden könne.
„Das verhindern allerdings bislang die Anlagenhersteller und die Chemie-Produzenten“, meint Schönauer. Doch nicht nur die Industrie, auch der Verbraucher kann dazu beitragen, dass der Klärschlamm in Zukunft weniger belastet ist: mit einem verantwortungs-bewussteren Konsum von Reinigungs- und Körperpflegemitteln sowie Arzneien.
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