„Tatort“-Autoren gegen Digital Natives: Wirtschaftskrimi ohne Leiche
Drehbuchautoren mischen sich ein. Die „Tatort“-Schreiber werfen Piraten, Parteien und den Netznutzern schlecht durchdachte Symbolpolitik vor.
BERLIN taz | Der offene Brief von 51 „Tatort“-DrehbuchautorInnen lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Der „ganze Diskurs über das Netz und seine User“ schlage einen „hohen Ton an“, kaschiere damit aber bloß die Banalität von Rechtsverstößen“; diese würden „gar zum Freiheitsakt hochgejazzt“, schreiben unter anderem preisgekrönte Drehbuchgrößen wie Orkun Ertener, Fred Breinersdorfer, Gerlinde Wolf oder Erich Kuby.
Die Grundrechte der Urheber bzw. der von ihnen beauftragten Rechteinhaber würden dagegen marginalisiert: So werde das Recht auf geistiges Eigentum „nicht nur frontal angegriffen und infrage gestellt“.
Neuerdings schickten „gerade die Grünen gerne von Google alimentierte Initiativen wie Collaboratory“ und andere vor, die „angeblich völlig autonom und unabhängig“ eine neue Grundlage für das Urheberrecht entwickeln wollten, heißt es in dem an die Grünen, die Piraten-Partei, die Linke und Netzgemeinde gerichteten Schreiben.
Die Unterzeichner erkennen dabei an, dass sich Netzpolitik wie Netzgemeinde hier „eines veritablen Problems annehmen wollen“ - nämlich der „millionenfachen illegale Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten auf der einen Seite“ und „600.000 Abmahnungen von Usern und die Möglichkeit von Netzsperren und (anlassloser) Vorratsdatenspeicherung, die Sie gerne Zensur nennen, auf der anderen Seite“.
Lebenslügen der Debatte
Die „Tatort“-AutorInnen machen aber diverse „Lebenslügen“ in der Debatte aus, genannt werden die „demagogische Suggestion, es gäbe keinen freien Zugang zu Kunst und Kultur mehr, eine Behauptung, die durch nichts bewiesen wird“ und die „Gleichsetzung von frei und kostenfrei“.
Die Menschenrechte garantierten zwar den freien, „aber doch keinen kostenfreien Zugang zu Kunst und Kultur. Diese politische Verkürzung von Grünen, Piraten, Linken und Netzgemeinde dient lediglich der Aufwertung der User-Interessen, deren Umsonstkultur so in den Rang eines Grundrechtes gehievt werden soll“, schreiben die UnterzeichnerInnen.
Auch die Diskussion über die urheberrechtlichen Schutzfristen und Forderungen nach deren Verkürzung seien blöße „Symbolpolitik“ und zur Lösung der bestehenden Probleme „völlig ungeeignet“. Denn von illegalen Downloads und Streamings seien in erster Linie nur „die allerallerneuesten Filme, Musiken, Bücher, Fotos und Designs“ betroffen, und keinesfalls überwiegend ältere Werke. „Eine Verkürzung der Schutzfristen würde an diesem Problem also nichts ändern“, argumentieren die „Tatort“-Schreiber.
Sie kritisieren zudem, dass die Netzgemeinde zwar Urheber und User besser stellen wolle, aber die Kosten dafür den Falschen aufbürde: Nicht Google oder andere Provider „die sich dumm und dämlich daran verdienen, illegale Kontakte zu vermitteln“ sollten zur Kasse gebeten werden, vielmehr werde wieder die Verwertungsindustrie als Übeltäter ausgemacht. Dabei mache die Trennung in Urheber und 'böse' Verwerter überhaupt keinen Sinn, da Filme, Musikproduktionen, Web- und Werbekampagnen oder Architektur- und Designprodukte „überhaupt erst realisiert werden, wenn die künstlerischen Ideen der Urheber mit Kapital und Vermarktungsknowhowzusammenkommen“, heißt es in dem Schreiben.
Amateurhaft wie Wikipedia
Nachhaltige Produktion qualitativ hochwertiger Kunst und Kultur lasse sich nicht „amateurhaft, also wie Wikipedia“ organisieren. Wenn man die Lage der Urheber nachhaltig verbessern wolle, müssten vielmehr „alle politischen Kräfte den Urhebern bzw. ihren Verbänden helfen, das Urhebervertragsrecht zu verbessern und die Verhandlungspositionen der Urheber gegenüber den Verwertern zu stärken“.
Dagegen sollte nicht jede Missbrauchskontrolle bei Providern und Usern gleich als „definitiver Untergang des Abendlandes angeprangert“ werden, fordern die Autoren: Bei der Suche „nach Schwarzfahrern und Steuerhinterziehern“ müssten sich die Bürger doch „auch einige Einschränkungen ihrer Rechte gefallen lassen“, so die „Tatort“-Macher.
Für Kapitalverbrechen gilt das erst recht. Und die Auseinandersetzung hätte durchaus das Zeug zu einem packenden Wirtschaftskrimi. Doch woher bloß die Leiche nehmen, die nach dem deutschen TV-„Tatort“-Grundverständnis zwingend dazu gehört?
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