piwik no script img

Profil PiratenparteiDie liberale Versuchung

Basisdemokratisch, liberal, pragmatisch. Mit ihrem Erfolg im Saarland rütteln die Piraten am Selbstverständnis etablierter Parteien.

Orange ist das neue Grün. Und das neue Gelb-Blau sowie das neue Rot. Bild: dapd

BERLIN taz | Seinen wichtigsten Satz drückte Daniel Bahr am Montag in weniger als 140 Zeichen aus: „Ich rate uns allen, jetzt die Nerven zu bewahren.“ Das war die Aussage des Bundesgesundheitsministers im Kabinett Merkel. Als Landeschef der FDP in Nordrhein-Westfalen dürfte für ihn bei der Landtagswahl bald eine Zitterpartei anstehen.

Auch ein Mann mit etwas anderer Statur verkündete am Montag seine Botschaft im twitterttauglichen Kurzformat: „Wir sind die neuen Liberalen.“ Sein Name ist Andreas Augustin, und seit der 31-jährige Pirat am Wochenende in den saarländischen Landtag eingezogen ist, herrscht wieder Aufregung in der deutschen Parteienlandschaft.

Der Mann mit langem Haarzopf, Zickenbärtchen und dem gesetzten Habitus eines Systemadministrators ist einer, der nachts um 4 Uhr auf E-Mails antwortet und früher gerne Killerspiele zockte. Ein „Politiker aus Notwehr“, wie er sich nennt. „Die FDP“, sagt er, „ist nicht mehr liberal. Die muss aus allen Parlamenten raus. Und wir müssen in alle Parlamente rein.“

Hofierte Neulinge

Es ist eine deutliche Kampfansage. Und fast scheint es, als könne sie Substanz entfalten. Nach ihrem Erfolg bei den Landtagswahlen im Saarland mangelte es der Piratenpartei am Montag nicht an Ehrbekundungen von etablierter Seite.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe räumte ein, die CDU müsse von den Piraten lernen. Und die Bundesspitze der SPD bot den Piraten gar Gespräche an. „Bedauerlicherweise“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, seien die Piraten „bei der nächsten Bundestagswahl noch kein ernsthafter Regierungspartner für die SPD“.

Deutlicher geht es wohl kaum: Auf der bundespolitischen Bühne werden die Piraten seit Sonntag ernst genommen. Aber drängt mit ihnen wirklich eine Partei auf die politische Bühne, die in der Lage ist, die einstmals große FDP abzulösen?

Kernklientel der FDP

Die Schnittmengen, natürlich, sie sind deutlich. Wie deutlich, das zeigt ein Blick nach Nordrhein-Westfalen. Der 54-jährige Joachim Paul, seit dem Wochenende der neue Spitzenkandidat der Piraten im Landtagswahlkampf, ist Beamter, ein gutbürgerlicher. Sein Parteisprecher, Achim Müller, lebt im Münsterland in einem Einfamilienhaus, seine Frau ist Apothekerin.

Das klingt nach dem, was einmal die Kernklientel jener FDP war, die in Umfragen seit Monaten unter der 5-Prozent-Hürde liegt. Und wenn der Bundesvorsitzende der Piraten, Sebastian Nerz, auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen blickt, dann macht ihm besonders eines zu schaffen: dass der starke FDP-Mann Christian Lindner den Piraten noch Wählerstimmen nehmen könnte. Und doch ist das eine nicht das andere.

„Die Piraten sind vor allem eine inhaltliche und personelle Bereicherung für das rot-grüne Milieu“, sagt der Berliner Parteienforscher Gero Neugebauer. „Gerade im linksliberalen Spektrum wirft die Partei viele politische Fragen neu auf.“

Wer verstehen will, für welchen Liberalismus die Piratenpartei steht, muss Mareike Peter treffen. Sie ist Piratin aus Überzeugung. Und alles andere als FDP. Die 23-Jährige trägt dunkle Rastazöpfe, ihre Kleidung ist mit Annähern, ihr Laptop mit Aufklebern übersät. Als @Carridwen verfolgte sie die Saarland-Wahl über Twitter.

Im Berliner Abgeordnetenhaus arbeitet sie derzeit der ersten Generation von Parlamentspiraten zu: Das sind diejenigen, die im September 2011 für Aufsehen sorgten, als gleich 15 von ihnen ins Berliner Landesparlament einzogen. Die einen kamen im Sakko, die anderen kamen in Latzhose.

Emanzipatives Potenzial

Früher sympathisierte Mareike Peter mit den Grünen und der Linkspartei. Und auch heute noch sitzt sie in Berlin am liebsten unter linken Aktivisten und diskutiert. Von „Netzneutralität“ und „Plattformneutralität“ erzählt sie dann, und irgendwann kommt sie auf den öffentlichen Nahverkehr zu sprechen. Es ist ein interessanter Denkschritt, den die junge Frau dort unternimmt. Wer ihn versteht, versteht auch das radikale, emanzipative Potenzial dieser Partei.

„Viele von uns sind damit aufgewachsen, dass wir im Netz ohne Grenzen sozialisiert wurden“, sagt Peter. „Wir wollen diese Erfahrung jetzt konsequent auf viele andere Bereiche des öffentlichen Lebens übertragen. Wieso soll es im Netz keine Grenzen geben, aber im öffentlichen Nahverkehr dagegen schon?“ Die Antwort darauf, sagt sie, sei, „dass die Infrastruktur von Bus und Bahn für alle kostenfrei zugänglich sein muss“.

Netzneutralität, Plattformneutralität, Umsonstfahren: Es ist eine solche Gedankenkette, die erklärt, wie die Piraten aus der Netzdebatte nun langsam Politikmodelle für die Offlinewelt ableiten.

Keine Sozialrevolutionäre

Programmatisch führt das auf eine Spur, deren Inhalte an klassisch linken Projekten anknüpfen: In ihrem 24-seitigen Grundsatzprogramm, das zur Hälfte aus Bürgerrechts- und Netzthemen, zur anderen Hälfte aus verschiedenen gesellschaftspolitischen Grobentwürfen besteht, ist festgehalten, dass die Partei „Bildungsgebühren jeglicher Art kategorisch ablehnt“, dass sie die Trennung von Staat und Kirche fordert, dass sie sich gegen das Ehegattensplitting und den „Zwang zu geschlechtseindeutigen Vornamen“ positioniert.

Festgeschrieben ist dort auch: das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wie es ausgestattet sein soll, wird von den Landesverbänden unterschiedlich beantwortet. In Schleswig-Holstein wirbt die Partei nun mit einem Modell, das fragen lässt, wie sozial die Partei es wirklich meint.

Das ist der neue Liberalismus der Piraten. „Sozialrevolutionäre“, sagt der Parteienforscher Gero Neugebauer aus Berlin, „sind das nun wirklich nicht.“ Und Andreas Augustin, einer der neuen Abgeordneten der Piraten im saarländischen Landtag, sagt: „Der Marktliberalismus ist tot. Wir sind die Gesellschaftsliberalen.“

Mitarbeit: Timo Reuter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

25 Kommentare

 / 
  • PA
    Peter A Bruns

    Hallo Redaktion,

     

    Ich war bisher ein Sympathiesant der Piraten.

    Frage:

     

    hat Mareike Peter ihren faschistischen Aufruf "Zünd ihn an so lange er noch da ist", schon zurückgenommen und sich in aller Form entschuldigt? Wenn nicht und sie bleibt trotzdem in der Partei, gehören die Piraten auf den Müllhaufen der Geschichte. Wehret den Anfängen.

  • H
    Hallo!

    Partizipation ist bei den Piraten auch offline in weitaus größerem Maße möglich als bei anderen Parteien.

     

    In jeder halbwegs großen Stadt gibt es regelmäßige Stammtische, bei denen Mitglieder und Nichtmitglieder in Kontakt treten können.

    Die Themenauswahl ist dabei nicht vorgegeben. Jeder, der teilnimmt, kann - vorab oder spontan - Themen auf die Agenda setzen, über die er gerne sprechen würde.

     

    An diesen Stammtischen werden geplante und vollzogene Parteibeschlüsse diskutiert, Arbeitsgemeinschaften vorgestellt und zur Mitarbeit eingeladen, sodass eine halbwegs regelmäßige Teilnahme an den Stammtischen ausreicht um auch ohne Internet zu wissen, was läuft und Feedback zu geben.

     

    In den AGs, in welchen die meiste parteiinterne Arbeit verrichtet wird, werde immer wieder Treffen organisiert, um gemeinsam von Angesicht zu Angesicht zu arbeiten und sich auszutauschen.

     

    Und zu guter Letzt werden Parteibeschlüsse ausschließlich offline auf Mitgliederversammlungen getroffen, bei welchen jedes Mitglied die Möglichkeit hat, die Beschlüsse demokratisch mitzugestalten oder gar selbst Anträge zur Abstimmung zu stellen.

     

    Natürlich erweitert das Internet die Möglichkeiten zur Partizipation durch Online-Tools (Wiki, Piratenpad, lqfb, ...).

    Diese Tools sind aber, wie oben dargelegt, ein optionales Schmankerl für alle, die bereit sind, sich darauf einzulassen (Hilfsangebote gibt es zu Hauf). Zwingend notwendig sind sie hingegen nicht.

     

    Und noch ein paar Worte zum "kostenlosen" Nahverkehr:

     

    Von "kostenlos" war bei den Piraten nie die Rede. Das Wort der Wahl war "fahrscheinlos".

    Was der Unterschied ist, lässt sich gut an deinem Post verdeutlichen:

    Wäre der Nahverkehr für den Endkunden kostenlos, müssten sich in der Tat externe Finanziers herangezogen werden, die wiederum Eigeninteressen hätten.

    Um aber eben jenes, von dir überspitzt dargestelltes, Szenario zu umgehen, war den Piraten stets bewusst, dass der Endkunde letztlich auch derjenige sein muss, der das Geld bereit stellt.

     

    Beim fahrscheinlosen Nahverkehr werden vielmehr die Gesamtkosten des Nahverkehrs auf die gesamte Bevölkerung umgelegt und so von allen zusammen getragen.

     

    Im Gegenzug entfallen die Fahrscheine.

     

    Die Angst vor personalisierter Werbung im Bus ist also verfehlt.

     

    zwinker

  • H
    Hans
  • G
    Guckstu

    Zum Thema BGE gibt es bislang nur einen Vorschlag(!) einer Arbeitsgruppe(!) der Piraten. Das hat nichts mit einer offiziellen Parteilinie zu tun:

     

    http://www.taz.de/Piraten-und-das-Grundeinkommen/!90391/

  • A
    Arrrr

    Was will man in einer Zeitung über die Piraten informiert werden, in der täglich die umbenannten SED-Diktatoren inserieren und die alten Herren der K-Gruppen und ihre geistigen Klone entscheiden was gedacht werden darf? Am besten gar nicht. Nazikeule, Neoliberalkeule....funktioniert nur wenn man davor Angst hat und es einem darauf ankommt was die alten Medien schreiben.

  • A
    Ans

    @Gabriele Rack:

    Danke, mit ihrem geistreichen Kommentar ("Deppen") haben Sie wunderbar gezeigt, was Grünen-Wähler inzwischen unter Demokratie verstehen. Ich empfehle Ihnen, sich die Anfangszeit der Grünen anzuschauen und wie sie da von den Etablierten betitelt wurden...

  • TK
    Torsten Krahn

    Hallo Herr Kaul, welches BGE-Modell bewirbt denn die Piratenpartei Schleswig-Holstein wo? Mir ist nicht bekannt, dass sie es tut. Gibt es Quellen?

  • H
    hallo?

    Was mich irgendwie immer wieder erstaunt, ist das Selbstverständnis mit dem bei den Piraten von Basisdemokratie gesprochen wird, während dies bei anderen Parteien nicht gegeben sein soll.

     

    Wie "basis"demokratisch ist es wirklich, wenn ich die Bürgerbeteiligung davon abhängig mache, dass jemand netzaffin ist und sich per Breitbandkabel (Modem dürfte wohl nicht reichen) beteiligen kann? Alle diejenigen, die man als "Dinosaurier" belächelt, die keine Ahnung vom Internet haben und die so demokratiefeindlich sind, die werden aus dieser piratesken BASISdemokratie eben mal ganz locker ausgeklinkt?

     

    Von daher sehe ich jedenfalls aktuell noch eine ganz klare Wachstumsgrenze für die Piraten; und nach meinem Verständnis auch den Bedarf solche Bürger einzubinden, die ganz altmodisch analog unterwegs sind.

     

    Btw: Wie frei bin ich eigentlich wirklich, wenn ich mich davon "abhängig mache" ständig erreichbar, stets online und optimal vernetzt zu sein? Mal ganz abgesehen von dem Energiebedarf und der Datenproblematik dieser Online-Freiheit.

     

    Was mich auch noch interessieren würde:

    Wenn denn der ÖPNV kostenlos verfügbar wird - so wie auch die Netzdienste (facebook etc.), bekomme ich da dann auch an meinem Sitzplatz personalisierte Werbung (über meinen Daumenabdruck) mit direkter Online-Bestellmöglichkeit? Wär ja quasi das parallele Finanzierungsmodell. Da zahl ich dann aber lieber, denn mir reicht schon die aktuelle Werbung. ;)

  • DG
    Dirk Graumann

    Klassischen Phänomen, kann man eine Subkultur nicht durch 1. Ignoranz oder 2. arrogantes Belächeln ignorieren, dann zündet Phase 3...

    Man verwischt die Grenzen, übernimmt kennzeichnende Elemente, ohne das Wesen und den Geist der Bewegung zu übernehmen.

    Man umarmt sie, assimiliert Teile... aber das rebellische Wesen wird diskreditiert in Kampagnen.

     

    Wir treten nun wohl auch in eine Phase ein, in der wir gefühlt etwas zu verlieren haben.

    Das stellt neue Herausforderungen an die rasant wachsende Partei.

    Macht man zwischen realpolitischem Pragmatismus im Mandat und eigenen programmatischen Anspruch eine Blutgrätsche? Lösen sich Spitzengruppen unbewusst vom wachsendem Feld der Basispiraten?

    Diese Gefahren lassen sich verringen, wenn es einen klareren Konsens bei der Definition der angesprochenen Begrifflichkeiten gibt, die uns verbinden. Deine Nachdenklichkeit ist angebracht, denn bald könnten wir, wie viele wachsende Unternehmungen in Krisen geraten, die dem Wachstum und dem Erfolg entspringen.

     

    “In den grundlegenden Fragen muß man naiv sein. Und ich bin der Meinung, dass die Probleme der Welt und der Menschheit ohne Idealismus nicht zu lösen sind. Gleichwohl glaube ich, dass man zugleich realistisch und pragmatisch sein sollte.”

     

    In meinen Ohren klingt das wie ein Pirat, oder? Achtung, es war Helmut Schmidt!

    Soviel zu Wort und Tat. Wir sind nicht die besseren Menschen, wir sind Menschen, die sich auf einen wahrhaftigeren Ansatz des Humanismus verständigt haben. Damit haben wir eine Chance, nicht mehr, aber viel mehr als Wähler zu erwarten gewohnt sind.

     

    Natürlich wird sich die Partei verändern, sich häuten, aber wir müssen rechtzeitig progressiv auch nach innen sein, schonungslos. Viele gute Ideen erleben Erfolge, aber sie erleben auch ihre Angst, diese Erfolge nicht verteidigen zu können. Das ist die Angst, die ich momentan auch in unseren Reihen wahrnehme. Diese Angst darf uns nicht steuern.

    Wir sollten nur den Erfolg anstreben, den wir erringen können, wenn wir wir selbst bleiben.

     

    Deshalb, – ja, klären wir, was uns ausmacht, klarer als bislang.

    Dann sind wir auch weniger Projektionsfläche für Neumitglieder, und wachsen stärker um Mitglieder, die unser Wesen stärken.

  • M
    Matze38

    @ hans

     

    grüne und spd sind keine linken parteien, das sind alibi sozialisten, die mal paar sätze zur soziale gerichtigkeit raushauen, um die linke seite nicht ganz aus dem auge zu verlieren.

    ich sehe nur eine verbindung, die in zukunft klappen könnte und die lobenswert wäre, das sind linkspartei und piraten. kenne viele, die diese koalition für die zukunft gut heißen würden, sozial und liberal.

     

    aber erst muß man natürlich wissen, wofür die piraten wirklich stehen,

    habe so das gefühl, als versuchen die piraten jetzt bis zur bundestagswahl so dahin zu schippern ohne groß auf hindernisse zu treffen, sprich sie weichen aus, peinlichst genau.

    fast schon ängstlich, sie könnten sich schon vor 2013 verändern und ihren einzug in den bundestag versemmeln. so cool wie sie tun sind sie nicht, jedenfalls nicht die spitzenkräfte.

    und schön immer drauf hinweisen, wir sind transparent, aber noch nicht so weit, um zu politischen themen stellung zu beziehen, so wird das bis 2013 gehen, der erfolg bis jetzt gibt ihnen recht zweifellos, aber wer weiß, was nächstes jahr ist.

    das ist die wahlkampfstrategie der piraten, nicht auffallen mit irgendwelchen stellungnahmen zu themen, das können wir dann 2013 machen, wenn wir im bundestag sind und dann könnte das große erwachen kommen, wenn sie alles abnicken

    sie sind mir schon sympatisch, aber ich muß schon wissen, ob sie das halten und ernsthaft vertreten, was sie da in ihre programme klecksen. bis jetzt habe ich das gefühl, sie schreiben da was hinein, damit was drin steht, aber begründen vor der tv kamara wollen oder können sie es nicht, damit wahrscheinlich niemanden auffällt, das sie doch eine politische partei sind.

    dieses gewollt anders sein, wird irgendwann ihr genickbruch sein, weil sie es nicht halten können, das politische geschehen wird sie genauso zu einer etablierten partei machen, wie die anderen auch.

  • H
    Hans

    Wenn's nach den Wählerwanderungen geht, dann sind die Piraten in allen Parteien vorhanden bzw. wandern von dort ab. Und das ja auch zurecht. Die große Koalition im Bund, dann eine in Berlin und dann eine im Saarland zeigen ein betoniertes Politik- und Selbstverständnis etablierter Parteien. Die Reaktion mag vielleicht überraschen, aber im Kern sieht man doch eine emanzipative, basisdemokratische Kraft, die vor allem bei der FDP und etwas weniger bei den Grünen für Ärger sorgen könnte.

     

    Denn die Piraten aktivieren auch Nichtwähler und schmählern damit die Abgeordnetenmandate anderer Parteien. Ein Effekt, denn schon in Hamburg Roland Schill vorgemacht hat. Und spätestens an diesem Punkt wird es dann eng und andere Parteien werden die mit Adleraugen beobachten. Allerdings ist es gut, dass die SPD mal Gespräche anbietet. Dass die Piraten in solchen Gesprächen gefällig und anbiedernd sein werden, kann man getrost ausschließen. Und das ist auch gut so.

     

    Allerdings sollten linke, linksliberale und früher links-mittige Parteien untereinander einen Dialog aufnehmen und zwar einen ehrlichen, theoretischen und offenen. Dann könnte Deutschland doch noch die Kurve kriegen und aus den Arbeitsmarkt-, Renten- und Neoliberalismusfallen ausbrechen, für bessere Verhältnisse in Europa sorgen und jungen Menschen nicht in 20 oder 30 Jahren eine sozialpolitische und wahrscheinlich auch ökonomische Müllhalde hinterlassen. Dafür könnten die Piraten taugen und das ist nicht wenig, sondern sehr viel. Vielleicht zu viel, aber hier sind eben auch SPD, Grüne und die Linke gefragt.

     

    Auch Gewerkschaften sollten sich die Wähler, Mitglieder und Entscheider bei den Piraten besser ansehen. Gerade Unternehmen aus neuen IT-Branchen sind teilweise schlimm, was Verdienst und Arbeitszeiten angeht, andererseits formiert sich hier ein Zwang, Regularien und Familienfreundlichkeit herzustellen - also auch mal ein anderer Ansatz für Gewerkschaften: Nicht der Entwicklung 10 oder 15 Jahre hinterhergehen, sondern mal jetzt aktuell sich einklinken.

  • W
    WiKa

    hier noch ein schöner ergänzender Aufsatz, warum die Piraten an sich auch kein Programm brauchen, wenn erst einmal die Basis selbst die Inhalte bestimmen kann … technisch ja wohl heute kein Problem. Dann rutschen die die Piraten als Partei mehr oder minder in die Moderatorenrolle:

     

    http://qpress.de/2012/03/15/sind-wir-nicht-alle-irgendwie-piraten/

     

    Weiter so, ich sehe die Piraten im Moment als einzigen echten Demokratieschimmer um von der indirekten Demokratie doch noch zu einer echten und direkten Demokratie zu kommen. Allein das ist es wird die Truppe beim Entern zu unterstützen.

  • E
    emil

    einfach widerlich die politische klasse. kaum droht erfolg wird eine partei auf einmal attraktiv, während sie sonst allenfalls belächelt wird. opportunismus vom feinsten.

  • D
    Didelda

    Die Piraten repräsentieren eine politische Einstellung, die sich schon vor ihrer Gründung herausgebildet hat.

    Es wird immer wieder bemängelt, dass wir keine Visionen mehr haben seit der Kommunismus gescheitert ist. Piraten haben Visionen. Das kann man negativ als naives Wunschkonzert auslegen. Oder eben als eine Vision jenseits von rechts und links.

    Noch haben die Piraten einen "Welpenschutz" und müssen sich kaum mit Realpolitik plagen. Und den brauchen sie auch um sich erst einmal zu entwickeln. Der rasante Erfolg gefährdet das und ist meiner Meinung nach die größte Gefahr.

    Die politische Ausrichtung lässt sich vielleicht mit Freiheit und diskriminierungsfreier Teilhabe zusammenfassen.

    Der Staat wird zu einem kollektiven Serviceanbieter mit einem Angebot, das vom Grundeinkommen über Sicherheit, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur bis zum ÖPNV reicht, während er sich ansonsten möglichst zurückhält.

    Aus ökonomischer Sicht hat es durchaus Vorteile solche Elemente, die als natürliches Monopol gesehen werden könnten staatlich sozial zu zentralisieren.

    Schnittmengen gibt es da mit allen anderen Parteien. Als Gesamtpaket ist es aber neu und einzigartig.

  • L
    Lunaria

    "Liberal" sagt schon lange nichts mehr aus, das ist jede der größeren Parteien irgendwie. Schon gar nicht charakterisiert man damit die FDP, die sich seit Genscher dem Marktanarchismus verschrieben hat und Bürgerrechte unter ferner liefen führt. Klar, manchmal nörgeln sie an Dingen wie der Vorratsdatenspeicherung herum, aber die ist selbst in der CDU nicht unumstritten. Ideen wie Grundeinkommen und kostenloser oder günstigerer Nahverkehr gibt's auch bei Grünen und Linken. Das Alleinstellungsmerkmal der Piraten bleibt ihr Informationsfetisch und ihr naives Vertrauen in die vernetzte Masse. Insofern erwarte ich allenfalls begrüßenswerte politische Effekte aus der momentan noch vorhandenen Unbedarftheit der Piraten, nicht aus ihrem Programm.

  • B
    brd4711

    Das ist glaube ich der erste Artikel in der taz, der den Piraten keine Frauenfeindlichkeit vorwirft.

  • P
    Pellkartoffel

    Auch wenn der Autor noch so viel links/liberale Programmatik in die Piraten reininterpretieren will: Diese Partei wird nicht als Programm–, sonder als Protestpartei gewählt. 90 Prozent ihrer Wähler sind reine Protestwähler! Hat die ARD gestern Abend bekanntgegeben. Insofern kann sich das linke Establishment auf die Schulter klopfen. Die Erfindung der Piraten, um Protestpotential z.B. von den "Rechtspopulisten" abzuziehen ist zu hundert Prozent geglückt. Denn eines ist sicher: Die Piraten werden keine kleine Anfrage zum Thema starten: Was kosten uns eigentlich die aus inzestösen Verbindungen entstandenen behinderten Kinder aus Moslem-Familien.

  • GR
    Gabriele Rack

    @Hi´ramas

     

    Ironie und Satire ist wahrscheinlich nicht so Ihr Ding.Über mein Demokratieverständnis kann ich mich nicht beklagen, ist voll entwickelt. Ich wähle grün.

  • H
    Hiramas

    Ein guter und vor allem neutraler Artikel, von denen es in letzter Zeit mehr zu geben scheint. Gut so, weiter so.

     

    @Gabriele Rack: Ich bescheinige ihnen einfach mal ein sehr armes und verkümmertes Demokratieverständnis und empfehle ihnen eine der zahlreichen Diktaturen dieser Welt. Das Ihr Beitrag ironisch oder satirisch gemeint sein könnte, dafür gibt es leider keine Anzeichen.

  • S
    Stefan

    Endlich mal ein ernst zu nehmender Artikel in der taz über die Piraten - und so ganz ohne Genderfrage

     

    Klasse - weiter so

  • G
    Götterdämmerung

    Was kein Marx? Kein Mao? Nicht mal Onkel Stalin? Was machen dann die ganzen Grünen? Die haben doch nichts gelernt! Die Piraten sind noch nicht einmal links! Ja dürfen die das? Die Nazikeule hat versagt! Holt die neoliberale! Sonst denkt bald jeder was er will, sagt es auch und all die Dogmen der 70er kippen!

  • GR
    Gabriele Rack

    Es bleibt einem aber auch nichts erspart. Jetzt muss man sich auch noch mit diesen verkinschten Computer-Hirnis befassen, als ob einen die etablierten Parteien nicht schon genug nerven. Früher ging man einfach nicht wählen, wenn einem keine der Parteien zusprach. Warum muss man jetzt unbedingt "protestwählen" und uns diese Deppen bescheren.

  • VR
    Vladimir Rott (Zürich, Berlin, Prag)

    Die liberale Versuchung? Eher: Das demokratische Versprechen.

    Die Piraten sind ein, zurzeit ziemlich glaubhaftes, Versprechen, das verkrustete Machtgefüge der Parteien in Deutschland zu brechen.

    Als ein auch in Deutschland durchaus Engagierter höre ich zunehmend Rufe nach Transparenz, auch nach dem was man hierzulande (echte) Bürgerbeteiligung/Partizipation nennt.

    Ernst genommen werden, sich in ihre Dinge einmischen, mitmachen können, sind für die junge Generation heute eine Selbstverständlichkeit.

    Doch das veraltete "post-monarchistische" System, mit zu vielen Wurzeln in den beiden Nachkriegszeiten, steht ihnen immer noch im Weg. Die Menschen können sich in den alten Parteien engagieren, zu denen einige auch die Grünen zählen (Die Linke? hm...PDS/SED). Oder in den NGOs. Sie entdecken auch die seit den 90ern eingeführten Ansätze zur direkten Demokratie, die das rein parlamentarische Parteien-System weiterentwickelt (mehr dazu auf mehr-demokratie.de).

    Die etablierten Parteien entdecken zwar langsam das Thema von mehr, oder sogar direkten Demokratie, Bürgerbeteiligung/Partizipation. Aber mit Ängsten, ihre Macht zu verlieren – und so legen sie sie immer noch zu eng aus.

    Da kommen die Piraten mit ihrem Versprechen, Leute einzubeziehen und die Dinge zu ändern gerade recht.

  • X
    Xexanos

    Der vorletzte Abschnitt nochmal in ausführlich:

    http://www.ctrl-verlust.net/das-politische-denken-der-piraten/

     

    Das ist meiner Meinung nach der bisher beste Ansatz, die Politik der Piraten zu erklären, bzw. einen roten Faden herauszuarbeiten.

  • R
    Ramon

    In diesem Zusammenhang ganz Interessant, diese politische Verortung in einem zweidimensionalen System

    http://blog.koehntopp.de/archives/3222-Piratenversteher.html