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Protest gegen Zwangsehe in Marokko„Wir sind alle Amina“

Eine 16-Jährige bringt sich um, weil sie mit ihrem Vergewaltiger verheiratet wurde. Nun fordern viele eine Gesetzesänderung, darunter auch einige Minister.

Rund tausend Protestierende kamen am Samstag zum Sit-in vor dem marokkanischen Parlament in Rabat zusammen. Bild: reuters

MADRID taz | Das Pappschild schockiert: „Vergewaltige mich. Heirate mich. Das Leben ist nichts wert. Ich bin Marokkanerin“, steht da zu lesen. Die junge Frau, die es hochhält, ist eine von rund tausend Protestierenden, die sich am Samstag zum Sit-in vor dem marokkanischen Parlament in Rabat zusammengefunden hatten.

Ihr Motto: „Das Gesetz hat mich getötet. Wir sind alle Amina.“ Wer Amina al-Filali ist, das muss man in Marokko niemandem erklären. Jeder kennt das traurige Schicksal der 16-Jährigen aus dem nordmarokkanischen Larache. Sie schluckte am 10. März Rattengift. Jede Hilfe kam zu spät.

Amina wollte mit dem Selbstmord ihrer unerträglichen Ehe entfliehen. Denn ihr zehn Jahre älterer Ehemann Mustapha war zugleich ihr Vergewaltiger. Als Amina gerade mal 15 Jahre alt war, hatte der junge Mann aus der Nachbarschaft sie mit einem Messer in der Hand zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Und er entkam der hohen Haftstrafe dank des Artikels 475 des Strafgesetzbuchs. Der sieht eine Einigung zwischen der Familie des minderjährigen Opfers und des Täters vor. Um die Ehre der Familie zu wahren, wurde Anima mit Mustapha verheiratet. Das zuständige Gericht stimmte zu.

„Ich wollte nicht zum Richter gehen, um sie zu verheiraten. Aber meine Frau hat mich dazu gezwungen. Sie hat gesagt, nur so würde das Gerede in der Nachbarschaft aufhören“, erinnert sich der gebrochene Vater von Amina vor der Presse bei einem ersten Sit-in vor jenem Gericht, das die Ehe registrierte.

Regierungschef schweigt

Der Fall sorgt für Schlagzeilen. „Das Gesetz und die soziale Norm sind absurd und grotesk“, schreibt die Tageszeitung Al Sabah, „da soll ein schlechte Tat – die Vergewaltigung – durch eine noch widerwärtigere Tat – die Heirat mit dem Vergewaltiger – wiedergutgemacht werden.“

Die Wirtschaftszeitung La vie eco veröffentlichte vor wenigen Tagen eine lange Reportage, in der zahlreiche Frauen zu Wort kamen, die wie Amina als Minderjährige vergewaltigt und von den Familien mit ihrem Peiniger zwangsverheiratet wurden. In einigen Fällen, so der Text, komme es zu solchen Vergewaltigungen, wenn eine junge Frau einen Heiratsantrag abgewiesen habe.

Der Ruf nach einer Reform des fraglichen Paragrafen wird immer lauter. Menschen- und Frauenrechtsorganisationen verlangen ein schnelles Handeln der Regierung. Eine Onlinepetition hat mittlerweile über 4.000 Unterzeichner. Die Bewegung zeitigt erste Wirkung.

Zwar schweigt der islamistische Regierungschef Abdelilah Benkirane, obwohl sein Twitteraccount mit Nachrichten und Fragen reglerecht bombardiert wird, doch der Kommunikationsminister findet deutliche Worte: Er spricht von einer „doppelten Vergewaltigung“. Und Familienministerin Bassima Hakkaoui versprach kurz nach dem Selbstmord bei einem Fernsehauftritt „eine Debatte, um das Gesetz zu reformieren“.

Hakkaouis Amtsvorgängerin, die Sozialdemokratin Nouzha Skalli, beschwert sich über das Fehlen eines Schutzes von Minderjährigen: „Das Gesetz behandelt ein minderjährige Vergewaltigte wie eine Kriminelle, obwohl sie das Opfer von Gewalt ist.“ In ihrer Amtszeit gab es eine erste Initiative zu einer Gesetzesreform. Doch die wurde vom Parlament nicht als dringlich angesehen.

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12 Kommentare

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  • S
    suswe

    @ hollaender: Danke für die Angabe der Online-Petition.

  • G
    gast

    Den Kommentar, dass es ein französisches Gesetz sei, finde ich interessant...

    Meine Folgerung aus dem Artikel: in Marokko ist eine 16Jährige nicht um die Zustimmung zu ihrer Heirat gefragt worden.

  • A
    Anna

    Beim von Anton zitierten Patriarchat geht's wohl nicht um den Vater, der von seiner Frau "gezwungen" wurde.

    Es geht um die Mentalitaet, die Frauen als Besitz von Maennern ansieht. Das problematische Gesetz ist einfach nur die Anwendung des typischen Glaswarenladen-Prinzips: You break it, you buy it.

  • A
    Amina

    Ich möchte mal darauf hinweisen daß die marokkanischen Mädchen und Frauen dieses Gesetz nicht der Schariah, sondern dem ehemaligen französischen Besatzer zu verdanken haben.

     

    Hier der Link:

    http://ibnkafkasobiterdicta.wordpress.com/2012/03/15/amina-larticle-475-et-lancien-droit-francais/

  • N
    noevil

    Absolut widerwärtig, das Opfer auch noch mit dem Täter zu verheiraten. Höchste Zeit für eine Gesetzgebung, die den Täter bestraft und nicht das Opfer. Höchste Zeit für Frauenhäuser als Fluchtburgen vor den Tätern, aber auch vor deren eigenen Familien.

     

    Vergessen wir aber bitte nicht, dass auch bei uns in Deutschland noch vor fünfzig Jahren die vergewaltigten Frauen "in die Schande" verstoßen wurden. Also nur keine Arroganz. So lange sind wir hier noch nicht fortschrittlich - ist erst ein paar Jahrzehnte her, dass Polizisten schmutzig lachten und obszöne Witze machten. Der Satz "Die wird schon selber schuld sein..." ist noch nicht so alt.

  • H
    Hannah

    Zumindest jetzt sollte dem "Ehemann" die Hölle so heiß gemacht werden und denn geschwätzigen Nachbarn noch dazu, wie wäre es beispielsweise mit einer öffentlichen Kastration mit stumpfem Messer?

  • H
    Holländer

    Es gibt auch eine international Petition:

     

    http://www.avaaz.org/de/forced_to_marry_her_rapist_b

  • P
    Pharisäer

    Lieber anton,

     

    vielleicht ist es Ihnen nicht aufgefallen, ABER die fortschrittlichere Kraft in dieser Familie war NICHT die Frau sondern der Vater. Und das als aufgeklärte Person...

     

    MFG

  • B
    Brett-vor-dem-Kopf

    @Naseweiser & andere

     

    Sorry, ihr habt ein Brett vor dem Kopf. Das hat primär nix mit dem Islam (als Religion) zu tun, sondern steht im Strafgesetzbuch.

     

    Und glaub mir - das war bis vor nicht so langer Zeit auch in Europa nicht anders... Die Frau, auch im Christentum Schuld an Sünde. Noch immer werden Frauen auch in Europa, wenn auch in anderem Masse, geredeweise verantwortlich gemacht und ihnen unterstellt, sie provozieren.

     

    Die Gesellschaften sind heute nach wie vor mehrheitlich patriarchal einige mehr andere weniger. Und soweit matriarchale Formen bedeuten, bloss jegliche Konfrontationen mit der Umgebung zu vermeiden, ist auch das nicht besser.

  • H
    hoeckner

    Auch in Deutschland sind wir gefordert genauer hinzuschauen... Denn auch hierzulande werden

    die Bürgerrechtrechte junger Muslimas nicht nur

    in Einzelfällen mit Füssen getreten. Als bekennendes

    Parteimitglied der Grünen bin ich auch mit der

    abwartenden, moderaten Haltung meiner eigenen Partei nicht konform. Denn wenn man bedenkt mit wieviel

    Ehrgeiz wir einst die Frauenrechte verfolgt haben,

    dann stimmt mich die Parteipolitik traurig.

  • N
    naseweiser

    „Ich wollte nicht zum Richter gehen, um sie zu verheiraten. Aber meine Frau(!) hat mich dazu gezwungen. Sie hat gesagt, nur so würde das Gerede in der Nachbarschaft aufhören“

     

    Der Islam hat wohl noch einen weiten Weg zu gehen , um im 21. Jahrhundert anzukommen .

  • A
    anton

    Es wird dringend Zeit dass die fortschrittlichen Kräfte (Frauen, KommunistInnen) in den arabischen Ländern eine Kulturrevolution sondersgleichen veranstalten. Dem islamischen Patriarchat und Klerus muss die Maske der Barmherzigkeit vom Gesicht gerissen werden um ihre feudale abstoßende Fratze zum Vorschein zu bringen! Für die Aufklärung!