Kommentar Neuwahlen in NRW: Nicht alles ist Dämlichkeit
Die Linke hat sich selbst aus dem NRW-Landtag manövriert. Doch ihr das Beharren auf eine soziale Politik vorzuwerfen, ist falsch – früher tat das auch die SPD.
B ei der Abrechnung des politischen Erdrutschs von Düsseldorf wird jetzt nicht nur den Liberalen Dämlichkeit vorgeworfen, sondern auch der Linken. Im Lichte eigener Umfrageschwäche trotz des Wissens um die Konsequenzen einen rot-grünen Minderheitshaushalt abgelehnt zu haben – so etwas sei dumm, jedenfalls aber Sektiererei. Da könne sich niemand beschweren, wenn er bei den Neuwahlen im Mai aus dem Landtag fliegt.
Nun muss man der Linken nicht unbedingt bescheinigen, in den 608 Tagen der rot-grünen Minderheitsregierung alles richtig gemacht zu haben. Erfolgreich kann sich nicht nennen, wer in den Umfragen bei vier Prozent steht. Dass die Partei jedoch, oft als Hort der Fundis in der Linken tituliert, gegen alle Vernunft ihre parlamentarische Existenz an Rhein und Ruhr riskiert hat, ist genauso falsch.
Das Beispiel des Haushaltes 2011 hat gezeigt, dass eine Linke, mit der ernsthaft verhandelt und der etwas angeboten wird, auch zu Kompromissen bereit ist. Das war diesmal nicht der Fall. Hätte die Linke den Etat 2012 bloß deshalb mitgetragen, um risikoreiche Neuwahlen zu vermeiden, hätte man ihr das als opportunistischen Umgang mit den eigenen Zielen vorgeworfen.
ist Meinungsredakteur der taz.
Die Partei ist zudem damit konfrontiert, dass jede Ablehnung von Kürzungen im Zeitalter der Schuldenbremse in der Öffentlichkeit bereits zu einer Forderung außerhalb des vertretbaren politischen Kanons erklärt wird – was man nicht ihr, sondern jenen vorwerfen sollte, die dieses erneuerte TINA-Prinzip der Alternativlosigkeit zur allgemeinen Richtschnur machen.
Soziale Gestaltung braucht Investitionen
In einer zentralen Frage, auch das wird gern vergessen, steht die Linke heute gar nicht so weit entfernt von jenem politischen Ort, den zu Beginn des rot-grünen Experiments die frühere Schuldenbremsen-Kritikerin Hannelore Kraft eingenommen hatte: soziale Gestaltung der Gesellschaft braucht Investitionen, Kredite sind dabei kein Teufelszeug.
Und schließlich: Dass der nordrhein-westfälische Landesverband der Linken Glaubwürdigkeit aus dem Beharren auf Kernforderungen wie dem Sozialticket ziehen wollte, kann nur der fundamentalistisch nennen, der genug Geld hat, um auf den öffentlichen Nahverkehr zu verzichten.
Dennoch wird sich jetzt auch die Linkspartei viele Fragen stellen müssen. Trägt eine Strategie noch, die rhetorisch auf Konflikt mit SPD und Grünen setzt, praktisch aber versucht, die Möglichkeiten der Kooperation mit beiden auszuschöpfen – während diese das immer weniger wollen?
Welche grundsätzlichen Grenzen zeigt das Scheitern des oft links gestützten Minderheits-Experiments einer Partei auf, die für sich in Anspruch nimmt, links von SPD und Grünen den Hebel realer Veränderungen anzusetzen? Und was heißt das für eine Linke, die in den Ländern und im Bund so verschieden geprägt ist - die aber zuletzt weder als Volkspartei in rot-roten Regierungsprojekten noch als politische Minderheit auf striktem Oppositionskurs Land gewinnen konnte?
Kluge, vor allem auch neue Antworten darauf zu finden, das wird zuallererst für die Linke im Westen schon bald zur Lebensversicherung. Zum Aufstieg der Piraten und dem Stocken des eigenen Parteiaufbaus wird dort als Problem immer deutlicher, dass sich gerade (Protest-)Wähler der Linken fragen, was ihnen das Kreuzchen bei der Partei wirklich bringt.
Die vorgezogenen Urnengänge im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen werden zur Nagelprobe für die „gesamtdeutsche Linke“. Ziemlich genau fünf Jahre nach ihrer Gründung wird dann bald auch in der Partei abgerechnet: bei den Vorstandswahlen in Göttingen.
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