Reaktionen auf die Verurteilung Lubangas: „Man hat uns alle verurteilt“
Für seine Angehörigen und ehemaligen Kindersoldaten ist Thomas Lubanga ein Held. Seine Verurteilung in Den Haag wegen Kriegsverbrechen verstehen sie nicht.
BUNIA taz | Die Parteizentrale der UPC (Union kongolesischer Patrioten) in der Stadt Bunia besteht aus zwei Räumen im Erdgeschoss eines Bürogebäudes in der Innenstadt. Es ist heiß und stickig, draußen brennt die Sonne nach strömenden Regenfällen in der Nacht. Fotos von Thomas Lubanga hängen an den Wänden. Auf Holzbänken sitzen Familienmitglieder des in Den Haag angeklagten Parteigründers, ebenso ehemalige Kindersoldaten. Sie alle wollen miterleben, wie viele tausend Kilometer entfernt das Urteil gesprochen wird.
Doch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat die Satellitengebühren nicht bezahlt. Deswegen kann die Den Haager Urteilsverkündung im Kongo nicht live via Fernsehen und Radio verfolgt werden, sagt bedauernd ein IStGh-Sprecher in Bunia. Also sitzen die UPC-Anhänger unwissend herum. „Es ist ein historischer Tag für die ganze Welt und wir können es nicht live erleben“, schimpft Pele Kaswara, ein lokaler Abgeordneter. Wie seine Kollegen auch hat er sich heute fein gemacht: Er ist gekleidet in Stoffen, die mit dem Parteilogo bedruckt sind.
Kaswara stellt ein Taschenradio auf den großen Konferenztisch. „Wir haben die Ergebnisse aus Den Haag“, verkündet der Sprecher des UN-Rundfunksenders Radios Okapi schließlich knapp eine Stunde nach der Urteilsverkündung in Den Haag. „Thomas Lubanga ist wegen Rekrutierung und Training von Kindersoldaten schuldig gesprochen“, scheppert es unkommentiert. Dann folgt Musik.
Einige Minuten lang herrscht betroffenes Schweigen. Dann steht eine Frau auf: „Soll das alles sein?“, schreit sie. „Ein paar Worte und sonst nichts?“ Die Stille verwandelt sich abrupt in eine aufgeregte Diskussion.
„Man hat uns alle verurteilt“
„Es ist sehr schockierend“, sagt Jean-Baptiste Bongi und schüttelt den Kopf. „Man hat soeben nicht nur Thomas schuldig gesprochen, sondern uns alle.“ Der alte Mann hatte 2004 seine Unterschrift unter den Schriftzug von Lubanga gesetzt, als die UPC sich von einer bewaffneten Gruppe in eine politische Partei verwandelte und die Gründer das neue Statut unterzeichneten. Lubanga sei dabei die treibende Kraft gewesen.
Während des ethnischen Konfliktes in Ituri sei die UPC eine „Selbstverteidigungsgruppe“ gewesen, „damit wir nicht auch geköpft und massakriert werden wie die Tausenden Opfer hier“, erklärt der alte Bongi und zeigt vergilbte Fotos von Machetennarben und abgeschlagenen Häuptern. Als der Krieg vorbei war, habe Lubanga „die Kämpfer entlassen und erklärt, man müsse die Region mit politischen Mitteln entwickeln“. Und jetzt ist er ein verurteilter Kriegsverbrecher?
Die lautstarke Diskussion lockt Leute aus der Nachbarschaft an. Es wird wild durcheinandergeredet und gestikuliert. Der Abgeordnete Kaswara, ein Jurist, ergreift das Wort: „Das sind keine Richter, das sind Politiker, die solche Urteile fällen“, posaunt er in die Menge. Alle nicken ihm beifällig zu. „Es sind nur Afrikaner, die in Den Haag angeklagt sind, und es sind die internationalen Organisationen, die die Zeugen in Bunia gefunden und beeinflusst haben. Diese Zeugen wurden gekauft.“
Heimlich stiehlt sich Lubangas Schwester Angèle Zasi aus dem Raum. Die hübsche Frau hat Tränen in den Augen. Sie telefoniert mit ihrer Schwägerin, Lubangas Ehefrau, die mit den Söhnen nach Den Haag gereist ist. Für die Familie sei das Urteil ein schwerer Verlust, so Zasi. Der Vater starb früh, „Thomas war der Einzige von uns, der studiert hatte“.
„Es war eine Falle“
Sie erinnert sich gut an den letzten Moment mit ihrem Bruder, bevor er nach Kinshasa reiste. Das war 2004, auf Einladung von Kongos Präsident Joseph Kabila. „Er sagte, er werde bald zurück sein“, sagt sie. Er kam nie wieder. Über ein Jahr lang saß er quasi unter Hausarrest im Fünfsternehotel, dann steckte man ihn ohne Anklage ins Gefängnis – bis er 2006 an Den Haag überstellt wurde. „Kabilas Regime hatte ihn in eine Falle gelockt“, schluchzt sie. Die einzige Genugtuung: In Den Haag hatte Lubanga zumindest ein gerechtes Verfahren und erträgliche Haftbedingungen. Zasi und ihre Geschwister sind sich sicher: Ihr Bruder ist unschuldig.
Das sagen selbst die eigentlichen Opfer, die Kindersoldaten, für deren Rekrutierung und Einsatz Lubanga jetzt schuldig gesprochen ist. Innocent ist heute 24 Jahre alt, ein hagerer, schüchterner und nervöser junger Mann. Er fährt mit seinem zerbeulten Taxi an der Parteizentrale vor. Als er 12 Jahre alt war, hatten Milizen des Lendu-Volkes sein Dorf niedergebrannt und seine Eltern getötet. Also ging er zur UPC – „freiwillig, wie alle Kindersoldaten auch“, so Innocent. „Ich wusste als Waise gar nicht, wie ich anders überleben sollte.“
Zwei Monate lang erhielt Innocent eine Militärausbildung. Dann wurde er in den Kampf geschickt. An Lubanga erinnert er sich als den „großen Führer“, der die Kinder wie ein „Vater“ behandelte. Als Kommandeur hat er Lubanga jedoch nie gesehen: „Er war unser Präsident und machte Politik in Bunia und Kinshasa, wir kämpften weit weg im Busch“, sagt er. Widerfährt dem ehemaligen Kindersoldaten durch dieses Urteil Gerechtigkeit? Innocent zuckt mit den Schultern. „Mein Leben ist hart, mit oder ohne Urteil.“
Ähnlich reagiert auch Francois Dhadda, Vorsitzender der Lendu-Volksgruppe in Bunia, die vor zehn Jahren die Erzfeinde der Hema in Lubangas UPC waren. Im Verfahren in Den Haag waren sie nicht als Opfer vertreten, obwohl Tausende starben. Dhadda arbeitet als Verwaltungsbeamter an der Universität Bunia. Er hat das Urteil im Radio gehört, während er Prüfungsunterlagen nach Kinshasa faxte.
„Für uns ist dieser Tag kein besonderes Ereignis“, sagt er mit ruhiger Stimme. „Wir Lendu und Hema leben heute friedlich zusammen. Und heute waren wir alle gleich schlecht informiert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies