Krebserreger im Trinkwasser in NRW: "Formal nicht zu beanstanden"
Die Ruhr führt krebserregende Tenside mit sich. NRWs Umweltminister Remmel (Grüne) über fehlende Grenzwerte und was er in eineinhalb Jahren erreicht hat.
taz: Herr Remmel, was haben vermutlich krebserregende perfluorierte Tenside, kurz PFT, in der Ruhr zu suchen, die Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgt?
Johannes Remmel: Gar nichts, genauso wie viele andere Mikroschadstoffe.
Warum transportiert die Ruhr trotzdem einen Chemikaliencocktail, der auch Röntgenkontrastmittel und Antibiotika enthält?
Die kommen über die Abwässer in die Ruhr. Im Gegensatz zum Rest der Republik gewinnen wir in NRW 60 Prozent des Trinkwassers nicht aus Grundwasser. Stattdessen wird es Flüssen wie der Ruhr oder dem Rhein entnommen …
… die auch als Abwasserrohr für Kläranlagen und Industriebetriebe dienen. Bis zu 40 Prozent des Ruhrwassers stammen aus Kläranlagen, ist also flussaufwärts schon einmal durch Toiletten gerauscht.
50, ist seit 2010 Minister für Klima, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen.
Das hat historische Gründe. Die großen Talsperren im Sauerland regulieren nur den Wasserstand der Ruhr. Natürlich wäre es besser, wenn Trinkwasserspeicher wie Möhne oder Bigge direkt mit den Wasserwerken verbunden wären, anstatt einfach nur das Ruhrwasser zu verdünnen. Heute würde man die gesamte Trinkwasserversorgung anders konzipieren als zur Hochzeit der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts.
Also braucht NRW eine komplett neue Wasserversorgung?
Ein Neuaufbau wäre eine Jahrhundertaufgabe, die jeden finanziellen Rahmen sprengen würde. Das kann niemand umsetzen.
Trotzdem: Sie sind eineinhalb Jahre im Amt. Warum fließen im Ruhrgebiet noch immer Chemikalien aus den Hähnen?
Das Trinkwasser ist formal nicht zu beanstanden, weil kein Grenzwert überschritten wird. Wir haben bereits einiges erreicht, aber einfacher wäre es, wir hätten bundesweit einheitliche Vorgaben. Schon vor einem Jahr habe ich deshalb Bundesumweltminister Norbert Röttgen von der CDU angeschrieben und auf eine Oberflächengewässer-Verordnung mit Grenzwerten für Mikroschadstoffe gedrängt. Leider interessiert das außerhalb von NRW nur wenige: Nur Baden-Württemberg beschäftigt sich aufgrund der Trinkwassergewinnung aus dem Bodensee ebenfalls mit der Thematik.
Und der Christdemokrat Röttgen hat Ihnen nicht weitergeholfen. Noch einmal: Was haben Sie konkret unternommen?
Wir haben überhaupt erst einmal transparent gemacht, was eingeleitet wird. Und wir haben Druck gemacht, dass PFT in Produktionsprozessen durch andere Stoffe ersetzt werden. Bestimmte Stoffe kann man aber nicht an der Quelle zurückhalten: Wir können den Leuten schlecht verbieten, für die Gesundheit notwendige Arzneimittel zu nehmen. Deshalb dringen wir auf der Abwasserseite auf bessere Klärtechnik: In Pilotprojekten wird bereits eine vierte Klärstufe eingesetzt - die sogenannte Ozonierung und den Einsatz eines Aktivkohlebetts.
Diese bräuchte man flächendeckend bei der Wasserentnahme zur Trinkwassergewinnung. Die Ruhr schleppt noch immer bis zu 250 Gramm PFT pro Tag mit sich.
Am Rhein und am Ober- und Unterlauf der Ruhr wird der Stand der Technik schon heute erreicht, auch durch Ozonierung, Aktivkohle, Nano- oder Ultra-Filtration. In Essen investieren die Wasserwerke bis 2013 noch einmal 50 Millionen Euro. An der mittleren Ruhr stehen wir allerdings auf dünnerem Eis.
Weil dort vier Millionen Menschen mit Wasser versorgt werden, das nur ein paar Tage durch Sandfilter gepresst wurde. Warum bekommen die Leute in Dortmund dreckigeres Wasser als in Düsseldorf?
Die Zuspitzung "dreckig" kann ich so nicht stehen lassen. Auch an der mittleren Ruhr werden derzeit keine Grenzwerte überschritten. Aber: Bessere Vorsorge ist sinnvoll, um zu verhindern, dass gefährliche Stoffe nicht ins Trinkwasser durchschlagen.
Die Wasserversorger drohen bereits mit Preiserhöhungen.
Natürlich kostet die Nachrüstung Geld - aber die Trinkwassergewinnung macht nur 20 Prozent des Wasserpreises aus. Der Rest der Gebühren ist auf die Erhaltung der Leitungen zurückzuführen. Nach unseren Schätzungen wird eine vierköpfige Familie etwa 10 bis 15 Cent pro Kubikmeter mehr zahlen müssen. Das sollte uns das saubere Wasser wert sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen