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Matthias MatussekRock n Roll im Laden

Kommentar von Oliver Gehrs

"Spiegel"-Kulturchef Matthias Matussek ist nicht nur an sich selbst gescheitert - sondern auch an seiner Redaktion.

Wie geht es weiter mit dem Kulturressort? Bild: dpa

N achdem die Kündigung von Spiegel-Chef Stefan Aust bekannt geworden war, wurde Matthias Matussek im Deutschlandradio interviewt und sagte dort sinngemäß, dass Aust ein Genie gewesen sei und niemand in der Redaktion verstehe, wie man diesen Mann wegschicken könne. Schon da wurde deutlich, dass es Matussek aus seinem sorgsam errichteten Paralleluniversum nicht mehr rausschaffen würde.

Als Reporter begnadet, versuchte sich Matussek selbst zu verjüngen, indem er mit dem Kulturteil des Spiegels noch einmal die neobürgerliche Uneigentlichkeit der Berliner Seiten der FAZ nachahmte. Doch damit kam er um Jahre zu spät. Ein selbsternannter Großvater der Generation Golf, die - als Matussek zu ihr stieß - schon längst weiter war. Wie die gesamte Gesellschaft.

Es war ja schon damals verwunderlich, dass der in Rio und London gediente Auslandskorrespondent des Spiegels plötzlich Kulturchef wurde, und erklärbar war das eigentlich nur damit, dass sich Aust nie so recht für die Kultur interessiert, weil es da verhältnismäßig wenig Akten gibt. Einzig, wie es die Rolling Stones schafften, mit über 60 noch auf die Bühne zu klettern, habe Aust interessiert, heißt es in der Redaktion. Mit Matussek, so muss Aust wohl gedacht haben, hole er sich wenigstens ein bisschen Rock n Roll in den Laden.

Aber Matussek war eben nur Trash-Rock, eine Spielart, die letztlich keinen nachhaltigen Wert besitzt: Unter ihm wetterte der Kulturteil des Spiegels gegen das Regietheater, feierte den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses als visionäre Tat und jauchzte den Stauffenberg-Film mit Tom Cruise zum Erweckungserlebnis hoch.

Seiner seltsam zusammengecasteten Redaktion stand Matussek als Lordsiegelbewahrer des Pop-Journalismus vor: Die Schauspielerin Verena Araghi hatte zuvor die Erotiksendung "Peep!" moderiert, was ja nichts heißen muss, dann aber eben doch etwas hieß. Moritz von Uslar ist ein kreativer Autor, aber im Spiegel-Kulturteil eine Fehlbesetzung, und bei Rebecca Casati fragt man sich bei jeder Zeile, ob sie nicht nur im Kulturteil gelandet war, weil sie die Freundin von Frank Schirrmacher ist, mit dem Matussek ja auch sehr gut können soll. Zuletzt ging der Nepotismus so weit, dass im Spiegel eine lobhudelnde Rezension eines Buches des SZ-Redakteurs Alexander Gorkow abgedruckt wurde, geschrieben vom Dramatiker Albert Ostermaier, der ebendieses Buch gemeinsam mit ebendiesem Gorkow in München auf Lesungen promotete.

Dass nun Ex-Kulturchef Mathias Schreiber für ein paar Monate Interimsleiter wird, ist natürlich ein Witz. Denn den hatte man ja damals als Kulturchef loswerden wollen. Es zeigt aber, dass man nun in Ruhe nach einem Nachfolger suchen will. Dafür braucht man Zeit, denn beim Spiegel selbst wird man ihn nicht finden.

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5 Kommentare

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  • DD
    Dr. Dean

    Der Kommentar von Herrn Gehrs liest sich so, als ob der Ressortchef ein Fall eines erotikgesteuerten Nepotismus gewesen sei, vergleichbar mit den Päpsten des Mittelalters, die sich an ihrer Macht und ihren Einfluss berauschten. Die Wahrheit ist mutmaßlich trivialer und lässt sich in ein Wort fassen:

     

    Führungsstil.

     

    Die Kulturseite des Spiegels ist nicht ganz so verkommen und gegenwartsfern, wie beschrieben - die Musikjournalisten beispielsweise leisten gute Arbeit. Mattussek mag seine beste Zeit hinter sich haben, seine Interviews in Deutschlandradio zeugen von einer erstaunlichen Selbstgenügsamkeit, von einem fadem "endlich-mal-wieder-"den"-68er-es-zeigen", was sich selbst als Haltung als revolutionär und innovativ missversteht, aber auch vom Corpsgeist im konservativ-liberal (eigentlich eine absurde Kombination) eingestelltem Führungspersonal des Spiegels.

     

    Als Autor mit ausgesprochenem Sendungsbewusstsein kann man Matussek trotzdem noch für eine Bereicherung halten, wobei ich mich allerdings frage, welche Zielgruppe (außer sich selbst, Aust und Broder) er dabei traf.

  • KR
    Klaus Rathkens

    Warum denn so demonstrativ überlegen, voll sudelnder Häme, Gnädigste? Ich muß gestehen: Ich schaltete schon ihr neckissches Getöse zum diesem Thema in der "Tageschau" gelangweilt und angeödet weg. Zählen Sie sich also auch zum Heer schadenfreudiger Hyänen, die sich jetzt wieder mal berufen fühlen, öffentlich ihren Geifer abzuschütteln!? Nicht gerade eine journalistische "Glanzleistung", muß ich Ihnen bescheinigen. (Da finde ich z. B. Henryk M. Broders Artikel über SIE wesentlich geistvoller...)

  • GF
    Gisa Funck

    Lieber Oliver Gehrs, danke für diese süffisante Grabesrede auf den neokonservativen Postpubertätsjournalismus, für den Matussek stand. ich glaube, das geht vielen Zeitungslesern schon länger so, dass einen die plapperige Alte-Jungs-Befindlichkeitsschwallerei der so genannten "popfraktion" im deutschen Feuilleton einfach nervt.

  • S
    /sms ;-)

    wann verklagen grosse medienhäuser grosse medienhäuser: wegen geld verdienen ohne eigenleistung...

  • JK
    Jürgen Kettler

    Sollte so ein negativer Artikel über die Kulturredaktion des Spiegels nicht auch ein bißchen Substanz enthalten? Also wenigstens versuchen, die Behauptungen zu belegen? So ist das nur eine mit vielen Worten verzierte Variante des Satzes "Ihr seid alle doof". Als Meinung in Ordnung, für einen taz-Artikel etwas dürftig.