Kraftklubs Debütalbum " … mit K": Ich bin ein Verlierer, Baby!
Super-Ossis als neue Hipster: die Indierocker von Kraftklub. Auf ihrem Debütalbum geben sie den Slacker, mokieren sich über den Osten – und haben auch noch Erfolg damit.
Fünf Jungs sind aufgeregt. Was haben sie dem großen Tag entgegengefiebert! Erst waren es drei Wochen, dann noch 13 Tage, morgen, jetzt. Und dann, am Erscheinungstag ihres Debütalbums, sitzen die Musiker der Band Kraftklub im "Café Nöö" in der Großen Klausstraße in Halle an der Saale und rauchen entspannt Zigarette.
Ein typischer Promotag. Vorher Potsdam, nachher Magdeburg, jetzt erst mal "Café Nöö". Gerade haben sie sich im örtlichen "Saturn" umgeschaut, wie das so läuft mit dem Verkauf. "Und im Laden liefen tatsächlich unsere Songs", zeigt sich Sänger Felix Brummer hocherfreut. "Auf einem Schild stand: Sie hören … Kraftklub." Da haben sie sich sofort ein Exemplar ihres eigenen Albums mit dem Titel " … mit K" zugelegt.
Auch sonst läufts. Radio und Presse, selbst die "heute"-Nachrichten, alle berichten über die aufstrebende junge Band. Motto: das nächste große Ding. Allein schon, dass die fünf jungen Musiker aus dem Osten kommen, sorgt für Aufregung. Chemnitz, die glanzlose Stadt, die sie nicht aufhören werden Karl-Marx-Stadt zu nennen, weil es so noch in ihren Pässen steht. Und dennoch beteuern und singen Kraftklub: "Ich will nicht nach Berlin."
So heißt der Hit, der sie bekannt gemacht hat. Er handelt von Leuten, die mit der Spiegelreflexkamera Fotos von Streetart in Friedrichshain machen und da gerade so ein Projekt haben – "noch nichts Konkretes, aber sehr geil" – und Kaffee Latte mit Sojamilch trinken. Ein Anti-Berlin-Song als neue Hymne – auch in der Hauptstadt.
Und Chemnitz hat jetzt dank Kraftklub seine eigene Hymne. "Karl-Marx-Stadt" heißt sie und zitiert fröhlich, frech und frei "Loser", den berühmtesten Song des US-amerikanischen Slacker-Prototypen Beck. "Ich komm aus Karl-Marx-Stadt/ Ich bin ein Verlierer, Baby! Original Ostler."
Diesen und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 28./29. Januar. Diesmal auch mit der Rapperin Lady Bitch Ray, die nun gern Professorin würde. Am Kiosk, eKiosk und im Wochenendabo. Für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Mate und Kassengestell
Der Song lässt auch sonst kaum Gutes an der Stadt, zählt Rentner, Nazis und Hools auf oder leere Straßen. "Als ich früher gefragt wurde, was das Besondere an Chemnitz sei, antwortete ich immer: das Splash-Festival. Das fanden alle cool", sagt Brummer. Da höre es aber auch schon auf mit den Dingen, auf die man in Chemnitz stolz sein könne. Das Splash findet längst woanders statt. "Sonst haben wir noch ein Schwimmbad mit wohl temperiertem Wasser", fügt Gitarrist Steffen Israel grinsend hinzu.
Dass die Band trotzdem so oft betont, wo sie herkommt, hat zwei Gründe: "Früher musste man aus Berlin oder Hamburg sein, um als Musiker bekannt zu werden", erklärt Brummer. Aber irgendwann waren sie nur noch angeödet, wenn in ihrem Chemnitzer Lieblingsclub wieder eine Band auf die Bühne stieg und breitbeinig erklärte, aus Berlin zu sein. Schließlich ist das allein noch keine Kunst und schon gar kein Alleinstellungsmerkmal.
Die Herkunft aus der sächsischen Provinz schon eher. "Das ist ja für viele ein weißer Fleck auf der Landkarte", meint Brummer. "Und zack, hatten wir den Spieß umgedreht." Super-Ostler als neue Hipster.
Der andere Grund für die ständige Erwähnung ihrer Heimatstadt ist ihr Lebensweg. "Unsere Texte entstehen durch die Reflexion über das eigene Umfeld", erklärt der Sänger. Und das liegt seit nunmehr über 20 Jahren in der sächsischen Stadt, unterscheidet sich aber sonst nicht weiter von dem Leben anderer Zwanzigjähriger in der Republik.
Da liegt das eigentlich Aufregende an Kraftklub. Genau deshalb werden sie zu Recht als Band der Stunde, des Jahres oder einer Generation gefeiert. Sie berichten in ihren Songs über ihre Lebensumstände. Über Menschen, die gegen ihre Einsamkeit drei Staffeln "Dexter" am Stück schauen. Über Menschen, die, wenn sie verliebt sind, ständig das Facebookprofil derer checken, in die sie verliebt sind. Über Leute, deren Eltern einst wilder waren, als sie selbst es je sein werden können.
So klar, so witzig, so auf den Punkt hat schon lange keine deutsche Band mehr den Alltag zwischen Mate Peng und Retro-Kassengestellbrillen dargestellt. "Unsere Songs sind wie Gespräche unter Freunden", meint Brummer. Politisch wollen sie nicht sein, lieber prangern Kraftklub "Unzumutbarkeiten" wie die neuen Folgen von "Scrubs" oder "generell Mario Barth" an.
Ernst gemeinte Kritik äußern sie höchstens am lockeren Umgang mit Ritalin als Erziehungsmittel. Auch das aus biografischen Gründen. Bassist Till Brummer bekam das Medikament als Schüler, wurde dadurch in einen Charakter gezwängt, der nicht seiner war. Nun gratulieren selbst ehemalige Lehrerinnen der Band zum Ritalin-Protest-Song.
Indie und Sprechgesang
Das Aufgeweckte war es wohl auch, was das Majorlabel Vertigo dazu veranlasste, Kraftklub herauszubringen und ganze Straßenzüge mit dem Schriftzug "mit K" zu plakatieren. Indierock und Sprechgesang, der live bei Fans von Beatsteaks, Casper oder Fettes Brot bestens ankam. "Unsere Plattenfirma war sichtlich begeistert, eine Band mit fertigen Songs zu finden", sagt Schlagzeuger Max Marschk, der wie alle in der Band vorher schon andere Musikprojekte ausprobiert hat.
Und schon hören sie die Kritik, nun mit ihrem Loser-Image im Majorlabel-Überfluss zu baden. "Wenn du als Nobody-Band sagst, dein Ziel ist es, berühmt zu werden und vor möglichst vielen Fans zu spielen, klopfen dir alle auf die Schulter", meint Brummer. "Aber, wenn du es dann schaffst, ist es böser Kommerz." Geschafft haben es Kraftklub auf jeden Fall. Das aber ist noch lange kein Grund zur Aufregung.
Kraftklub: "... mit K" (Vertigo/ Universal), bereits erschienen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland