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Kommentar Abriss Stuttgarter BahnhofLernunfähige Bahn AG

Nadine Michel
Kommentar von Nadine Michel

Die Stuttgarter Polizei hat aus ihren Fehlern gelernt. Ganz anders die Deutsche Bahn. Der jetzige Abriss des Hauptbahnhof-Südflügels macht keinen Sinn.

M it ihrem besonnenen Großeinsatz am Stuttgarter Bahnhof hat die Polizei bewiesen, dass sie aus ihren Fehlern gelernt hat. Der Einsatz am "schwarzen Donnerstag" vor anderthalb Jahren war intransparent geplant, vorschnell vorgezogen worden und lief letztlich vollkommen aus dem Ruder. Dagegen ging die Polizei dieses Mal präzise vor, bereitete sich gründlich auf den Tag X vor und war sichtlich um Deeskalation bemüht, statt Macht zu demonstrieren.

Wer bislang allerdings wenig aus ihren Fehlern gelernt hat, ist die Deutsche Bahn. Noch immer nicht kommuniziert sie transparent ihre Pläne und die dahintersteckenden Gründe. Damit schürt sie unnötig Emotionen unter den Gegnern von Stuttgart 21 und liefert ihnen selbst immer wieder neue Argumente für einen vollkommen legitimen Protest.

Selbst die Polizei hadert mit der Informationspolitik der Bahn. Auch sie erfuhr wie die Öffentlichkeit erst vor kurzem, dass der Bahn noch gar keine Genehmigung für die Baumfällarbeiten vorliegt. Gleiches gilt für das Grundwassermanagement, das wegen eines Gerichtsurteils ruhen muss. Solange das der Fall ist, kann auch keine Tunnelgrube gebuddelt werden.

Nadine Michel

ist Baden Württemberg-Korrespondentin der taz in Stuttgart.

Es kann deshalb kaum einer nachvollziehen, warum zu diesem Zeitpunkt der Südflügel abgerissen werden muss. Öffentliche Appelle seitens der Umweltschutzorganisation BUND oder der Grünen blieben bis jetzt unberücksichtigt. Sie weisen auch darauf hin, dass wegen fehlender Planfeststellungen die Bauarbeiten nach dem Abriss ohnehin nicht fortgesetzt werden könnten.

Die Bewegung versteht den Vorgang am symbolträchtigen Südflügel als Versuch, den Protest zu brechen. Mit der schlichten Begründung nach dem Motto, es gebe keinen Grund, den Südflügel nicht abzureißen, entkräftet die Bahn diesen Eindruck nicht.

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Nadine Michel
Inlandskorrespondentin
Jahrgang 1982, ist seit 2010 Korrespondentin in Stuttgart. Von dort berichtet sie über die Landespolitik sowie wichtige Wirtschafts- und Gesellschaftsthemen – und natürlich immer wieder über das Dauerthema Stuttgart 21. Zuvor arbeitete sie als Klima- und Energieredakteurin im taz-Ressort Wirtschaft & Umwelt. Ausgebildet wurde sie an der Berliner Journalisten-Schule.

13 Kommentare

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  • O
    Orwellhatterecht

    Wenn man sich die eigentlich einfache Frage stellt: "Wer verdient daran?", dann ist eigentlich klar, warum man unter keinen Umständen auf dieses Wahnsinnsprojekt verzichten will, koste es, was es wolle!

  • M
    menschenfreund

    Ich frage mich was dahinter steckt, wenn derartige Summen (deren Richtigkeit zweifelhaft ist, erhebliche Mehrkosten sind zu erwarten) an ein vergleichweise unwichtiges, von Fachleuten sogar mit zweifehaftem Nutzen bedachtes Projekt gebunden werden, während bundesweit wesentlich kleinere, aber dringendere Aufgaben dadurch auf Jahre vergeblich auf Erledigung warten müssen.

  • EL
    Eckehard Lüdke

    Warum "kann kaum einer nachvollziehen, warum der Südflügel jetzt abgerissen werden muß" ? Es ist doch sonnenklar: die Deutsche Bahn AG schafft Fakten - und sie wird immer mehr Fakten schaffen, so daß der Leidensdruck und die Sachzwänge am Ende dazu führen werden, daß alles so gehen wird, wie "man" es bei der Deutschen Bahn AG will. Und auch zu deren Preis, versteht sich.

    Dafür haben die Wähler den Weg freigemacht am 26. November. Sie haben mehrheitlich gutiert, was die Mehrheit der Politiker, der Investoren und der Deutschen Bahn AG durchsetzen wollen.

    Demokratie halt........

    Bloß: von denen, die ihr Kreuzchen dort gemacht haben, möchte ich keine Schelte mehr hören von wegen "die machen doch sowieso, was sie wollen".

  • TR
    Thomas Renkenberger

    Argumente für die Modernisierung des Bonatz-Bahnhofs und zahlreiche gute Gründe, der DB gründlich zu misstrauen, gibt es in der Tat für alle Menschen guten Willens und klaren Verstandes.

     

    Leider trifft das für einige Gemüter nicht zu, die noch im Blockwart-Denken der CDU gefangen sind. Aber auch die paranoischen Heraufbeschwörer eines Polizeistaats liegen daneben. Ihnen allen gute Besserung!

     

    Im und am Bahnhof ist Stuttgart allerdings gerade eine Polizeistadt. Man lernt nun eben, sich von noch so massenhaften Ansammlungen von Polizisten nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Das gelingt hier, zumindest äußerlich, und befreit das immer noch recht autoritär geprägte Bewusstsein von automatischem Angstschrumpfen.

     

    Dass die Bilanz-orientierte Machtpolitik der dilettantischen DB die Parteien-Demokratie missbraucht und unterhölt, ist eine Seite.

    Die andere aber, dass die Zivilgesellschaft sich auf ihre eigene Stärke besinnt und vertraut, statt auf Führerfiguren zu warten.

  • G
    GGG

    Kann hier der Denkmalschutz nicht helfen? Ohne zwingenden Grund darf ein Denkmal nicht beseitigt werden. Dass es irgendwann einmal beseitigt wird, ist kein Grund, es nicht so lange wie eben möglich zu erhalten.

  • DP
    Daniel Preissler

    @Vic:

    kurzer und guter Kommentar!

     

    @imation:

    jaja

  • S
    sillything

    Hallo Nadine Michel,

    waren Sie schon mal in Stuttgart bei den Parkschützern? Haben Sie schon bei einer oder mehreren Blockaden, z.B. GWM Frühstück mitgemacht? Haben Sie eine oder mehrere Montagsdemos mitgemacht? Kennen Sie ein paar von den Parkschützern persönlich?

    Woher beziehen Sie die Motivation für Ihre Artikel und woher beziehen Sie Ihre Informationen?

  • E
    ex-ps

    "Da erwarte ich eine Analyse und kein Propagandegeblubber für die liebe Polizei und den lieben Staat."

     

    So schnell geht das - schon gehört die taz zu den Bösen. Erinnert stark an das Weltbild von George Bush.

     

    "Sondern Intelligenz und Analyse."

     

    Vielleicht sollte man die Erwartungen an andere selbst erfüllen können ..."Propagandageblubber" steht weder für das eine noch für das andere.

  • N
    nobody

    Hatten wir nicht kürzlich ein Volksbegehren, bei dem die Mehrheit für Stuttgart 21 war? Damit sollte die Bahn Argumente genug haben, den Südflügel abzureißen. Oder ist Demokratie nur gut, wenn die Mehrheit meiner Meinung ist?

  • S
    someonesdaughter

    Es wird langsam grotesk:

     

    Weder sind "knapp 10.000 Polizisten" mit "knapp 10.000 Pistolen" in Stuttgart noch steht an jeder Ecke eine "Polizeikarre". "Ausnahmezustand" herrscht nur in den Köpfen einiger weniger, die sich - man lese es bei parkschuetzer.de nach - im "Krieg" wähnen, Gleichsetzungen mit "Syrien" betreiben und die in jedem zweiten Satz eine Beleidigung absondern - mittlerweile auch gegen jeden, der sich der allgemeinen Hysterie nicht anschließen will. Die Süddeutsche hat das zutreffend beschrieben:

     

    http://www.sueddeutsche.de/politik/polizei-raeumt-demonstration-gegen-stuttgart-ich-blockiere-hier-und-kann-nicht-anders-1.1256920

     

    Und ich muss sagen: leider. Ich bin bach wie vor gegen S21, war am 'Schwarzen Donnerstag' im Schlossgarten und auf zig Demos - aber wie jetzt einige Leute komplett am Rad drehen, lässt mich zunehmend Abstand wahren. Der Ton unterscheidet sich inzwischen nicht mer von dem der Proler-Stammtische, das braucht kein normaler Mensch ...

  • B
    Barry

    Na ja, wenn knapp 10.000 Polizisten in der Stadt, knapp 10.000 Pistolen am Gürtel, an jeder Ecke eine Polizeikarre, kontinuierlich durch die Stadt fahrende Polizeikolonnen, ein abgesperrtes, bewachtes Gebiet rund um den Bahnhof, wo keine Presse zugelassen ist, außer ein paar ausgesuchten Schreibern, keine Machtdemonstration sind, dann weiß ich auch nicht. Verdammt Journalisten reflektiert doch einfach mal. Stuttgart ist zur Zeit Besatzungsgebiet. Wenn das von mir geschilderte normal ist und ein friedliches Bild, dann gute Nacht. Hier ist Ausnahmezustand. Hier ist überhaupt nichts ok. Sogar alles falsch. Da erwarte ich eine Analyse und kein Propagandegeblubber für die liebe Polizei und den lieben Staat. Sondern Intelligenz und Analyse.

  • V
    vic

    Meinen Dank an die Demonstranten, die so lange ausgehalten haben. Auch an die Polizei, die offenbar gelernt hat.

    Und all meine Verachtung für den Bahnkonzern, der das Provozieren nicht lassen kann.

  • I
    imation

    "Noch immer nicht kommuniziert sie transparent ihre Pläne und die dahintersteckenden Gründe. "

     

    - Was gibt es da zu kommunizieren?

    Alter Bahnhof weg, neuer Bahnhof hin.

     

    Damit schürt sie unnötig Emotionen unter den Gegnern von Stuttgart 21 und liefert ihnen selbst immer wieder neue Argumente für einen vollkommen legitimen Protest.

     

    - Wer will findet immer ein Argument.