Ausstellung über Flensburgs einstige Sklaven: Ziegel gegen Rum und Zucker
Sklavenhandel an der Förde? Das damals dänische Flensburg war ein wichtiger Umschlagplatz für Waren aus den Kolonien des Königreichs. Davon erzählt nun eine Ausstellung im Schifffahrtsmuseum.
"Bernstein" heißt die Tour, sie startet am zentralen Busbahnhof von Flensburg und führt mittenmang ins sogenannte Johannisviertel und dauert um die 90 Minuten. Doch anders als der Name es vielleicht suggeriert: Touristen wie Einheimische sollen dabei nicht das einstige, nun versteinerte Baumharz mit oder ohne eingeschlossene Insekten kennenlernen.
Die Bezeichnung "Bernstein" verweist vielmehr auf die Farbe von verschnittenem Rum - immerhin preist sich Flensburg gerne als Zucker- und Rumstadt, und in den Geschäften entlang der örtlichen Fußgängerzone herrscht an entsprechenden Mitbringseln kein Mangel. Oder wie es in der Ankündigung zur Bernstein-Tour salopp heißt: "Ab 1755 segelten Flensburger in die Karibik und brachten neben Tabak, Edelhölzern und Baumwolle vor allem Rum und Zucker mit."
Flensburg gehörte damals zu Dänemark, war neben Kopenhagen und Altona eines der Wirtschaftszentren des Königreichs und damit eine Drehscheibe des dänischen Westindienhandels. Nun widmet sich die Sonderausstellung "Dänisch Westindien. Aufbau einer Kolonie" im Schifffahrtsmuseum an der Flensburger Förde - eigentlich wegen Umbaus geschlossen - diesem weitgehend verdrängten Kapitel der dänischen Geschichte.
Und damit auch der Geschichte der Stadt selbst: Denn der Rum rollte den damals anlandenden Flensburgern ja nicht einfach in Fässern vor die Füße, so wenig wie der Zucker in handlichen Päckchen am Kai auf Kundschaft wartete.
200.000 Sklaven holten die Dänen seinerzeit aus den Regionen Westafrikas, die dann von fünf Uhr morgens an 14 Stunden auf den Zuckerplantagen zu arbeiten hatten, und das an sechs Tagen in der Woche.
Als 1755 der dänische König das bis dahin wirksame staatliche Handelsmonopol auflöst, sind auch die Flensburger Handelsherren mit dabei und profitieren von der Ausbeutung der Zuckerrohrplantagen auf den Karibikinseln St. Thomas, St. John und St. Croix. Auf ihren Hinfahrten transportierten sie in den Bäuchen ihrer Schiffe als ohnehin nötigen Ballast zugleich die gelben "Flensburger Ziegel", die zu einem wichtigen Baustoff in den dänischen Kolonien wurden.
Grundstock der Ausstellung sind Recherchen und vielfältige Fotodokumentationen der dänischen Architektin Ulla Lunn. Als diese die einstigen Kolonien besuchte, die Dänemark 1917 an die USA verkauft hatten, fielen ihr sofort die Ähnlichkeiten der dortigen Gebäude mit denen in ihrer dänischen Heimat auf.
Derart aufmerksam geworden, machte sich Lunn an die Arbeit: Sie dokumentierte mittels ihrer Fotoarbeiten einerseits den vordergründigen, morbiden Charme der halb zerfallenen Kolonialvillen und Festungsanlagen.
Und sie konfrontierte diesen zugleich mit ihrer Geschichte: sammelte Stadt- und Baupläne, tauchte ein in die Historie der Missionierung der Plantagenarbeiter wie der bald ausbrechenden Sklavenaufstände und deren Niederschlagung.
Neben diese Perspektive stellt die Flensburger Ausstellung fünf umfangreiche Videoportraits, in denen afro-karibische Aktivisten von den einstmals dänischen ausführlich aus ihrem Leben erzählen. Sie berichten dabei von einem merkwürdigen Daseinszustand: Denn was sind sie nun eigentlich? Nachfahren der verschleppten Westafrikaner, gar der dänischen Kolonialherren - oder haben sie mittlerweile eine ganz eigene Gemeinschaft gebildet?
Dazu will passen: Alle wichtigen Dokumente zur Geschichte ihres so seltsam konstruierten Landes - heute zwar Teil der Vereinigten Staaten, aber nicht mit allen Rechten eines US-Bundesstaates ausgestattet - lagern entweder in Washingtoner Archiven oder in Kopenhagen - und sind mithin nicht verfügbar.
In diesem Sinne hat Museumsdirektor Thomas Overdick einen wichtigen Schritt getan: Als er vor gut drei Jahren nach Stationen auch in dänischen Museen das Flensburger Haus übernahm, hatte er sich fest vorgenommen, das örtliche Publikum auch mit den durchaus unangenehmen Momenten seiner Geschichte zu konfrontieren. Teile der Sonderausstellung sollen daher in die künftige Dauerausstellung des Schiffahrtsmuseums einfließen, das im März kommenden Jahres dann neu eröffnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich