Zu viel Kohlendioxid im Meer: Die Tiere sind sauer
Das "andere CO2-Problem" nennen Forscher die Versauerung der Meere durch zu viel Kohlendioxid. Für viele Meeresbewohner ist sie ein Überlebenskampf.
BREMEN taz | Der Taschenkrebs kriegt Löcher im Panzer, die Larven der Nordischen Seespinne essen schlecht und sterben schnell, der Kaiserhummer verliert seine Scheren - so kann es Meeresbewohnern ergehen, wenn im Wasser zu viel Kohlendioxid gelöst ist. Die Ergebnisse entsprechender Studien wurden jetzt auf der diesjährigen Tagung des Projektes "Bioacid" - für Biological Impacts of Ocean Acidification - in Bremen vorgestellt.
"Die Ozeanversauerung ist bereits jetzt messbar", sagt Kai Bischof, Professor für Meeresbotanik an der Universität Bremen. Er ist einer von über 100 Wissenschaftlern, die an der Tagung teilnahmen. Sorgen bereitet den Forschern ein chemischer Vorgang, der in der Natur eigentlich ständig vorkommt: die Reaktion von Kohlendioxid mit Meerwasser zu Kohlensäure. Dabei werden Wasserstoff-Ionen freigesetzt und Karbonat-Ionen gebunden. Dadurch sinkt der pH-Wert des Meerwassers - es wird saurer.
Es mangelt aber eben auch an Karbonat-Ionen, die von Muscheln, Schnecken, kleinen Algen und Korallen zum Aufbau ihrer Kalkschalen benötigt werden. Die Weltmeere haben zwar schon immer Kohlendioxid gebunden. Doch der massive CO2-Ausstoß durch die Industrie in den vergangenen Jahrzehnten beschleunigt den Prozess und ändert die Chemie des Ozeans nachhaltig.
Erforscht worden ist die Ozeanversauerung bislang nur wenig. Erst um die Jahrtausendwende haben Wissenschaftler damit begonnen, sich intensiver mit dem Thema zu befassen. "Bioacid" ist eines der ersten nationalen Projekte zur Ozeanversauerung. Vergleichbare Programme existieren bereits in Großbritannien, China und den USA. Die EU fördert mit dem European Project on Ocean Acidification ("Epoca") seit 2008 ein multinationales Projekt.
Manche Lebewesen haben die Folgen von CO2 im Meer bereits zu spüren bekommen: Bei einigen Arten von Kammerlingen, einzelligen Wasserlebewesen, sind die Schalen schon heute um ein Drittel leichter, als die ihrer vorindustriellen Vorfahren. Bis 2018 könnten Teile des Arktischen Ozeans sogar so wenig Karbonat enthalten, dass sich Schalen und Kalkskelette darin auflösen. In wärmeren Gewässern schreitet die Versauerung weniger schnell voran. Bleibt der CO2-Ausstoß so wie bisher, könnte der pH-Wert der Weltmeere zum Ende des Jahrhunderts von 8,1 auf 7,8 oder 7,7 gesunken sein. Das entspräche einer Zunahme des Säuregrades um 150 bis 200 Prozent.
Wie sich das saure Milieu auf die marinen Ökosysteme auswirkt, können Meeresforscher bislang nur schätzen. Organismen, die Kalkschalen bilden, hätten mit der Umweltveränderung mehr zu kämpfen als diejenigen ohne, sagt Kai Bischof. Andere wiederum, beispielsweise Blaualgen, wachsen unter CO2-Einfluss schneller.
Doch auch Organismen, die zum Überleben selbst gar keinen Kalk benötigen, könnte die Ozeanversauerung betreffen - Fische zum Beispiel. So fand eine Forschergruppe heraus, dass CO2 bei wirtschaftlich bedeutsamen Speisefischen Kabeljau und Hering zu Leber- und Nierenschäden führt. Auch ihre Gleichgewichtsorgane, die Otolithen, verändern sich demnach unter Kohlendioxid-Einfluss. In der Folge bewegen sich die Fische dann anders als bisher, bekommen Schwierigkeiten bei der Nahrungssuche.
Die Ozeanversauerung ist übrigens kein Problem, das weit weg ist: Auch die Unterwasserwelt vor der Küste der Nordseeinsel Helgoland könnte sich durch die Versauerung bis zum Ende dieses Jahrhunderts erheblich verändern, sagt Bischof: "Es könnte eine Verschiebung hin zu Algenarten geben, die keine Kalkschalen bilden."
Eine dieser Algen ist der Blasentang. Der Kalk-Rotalge dagegen, die ein wichtiges Habitat für Wirbellose bildet, könnte die Versauerung schwer zusetzen. Auch dem seltenen Helgoländer Hummer, dessen Population derzeit mühevoll wieder aufgebaut wird, könnte die Säure nicht gut bekommen.
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