Eine Polemik zum Papstbesuch: Habt doch Erbarmen!
Seid gute Gastgeber, alle, die nicht an Gottes katholische Erbauung auf Erden glauben - und betet für den Pontifex, er besucht ein für ihn verlorenes Land.
Welch freundliches Treffen, das da vorige Woche stattfand. Am Ende gelobten sie sich, der Berliner Bischof der Katholiken, Rainer Maria Woelki und Männer und Frauen vom Lesben- und Schwulenverbands, dass die Proteste gegen den Papstbesuch am Donnerstag in der Hauptstadt friedlich verlaufen würden. Ja, was denn sonst? Hat der eben inthronisierte Abteilungsleiter des Vatikans an der Spree befürchtet, Horden von Homosexuellen würden an jenem Abend das Olympiastadion mit einem monströsen Flashmob in Besitz nehmen, um die Messe des Heiligen Vaters grob zu stören? Ihm gar an die kostbare Wäsche gehen?
Nein, wir sind ja nicht in Spanien, wo tausende Madrilenen die Performance des katholischen Klerus mit Papst Benedikt XVI. an der Spitze aufmischten - durchaus selbstbewusst feiernd, dass diese Kirche in ihrem Land nicht mehr über jene Macht verfügt, die sie bis zum Ende der Diktatur General Francos 1975 innehatte. Nein, seither hat sich das Kernland der Inquisition zu einer besseren Welt gewandelt - und zwar strikt gegen das Papsttum, gegen Rom und gegen alle Religion, die sich anmaßt, die Geschicke der irdischen Welt im Namen des Glaubens dirigieren zu wollen.
Finster und fern aller Nächstenliebe
Ankunft: Donnerstag, 10.30 Uhr, Berlin, Abreise: Sonntagmittag von Freiburg
Höhepunkte: Donnerstag, 16.15 Uhr, Berlin: Rede vor dem Bundestag; 18.30 Uhr, Gottesdienst im Olympiastadion
Weitere Stationen: Erfurt und das Eichsfeld (Freitag), Freiburg, Breisgau (Sonnabend)
Proteste: Donnerstag, 16 Uhr, Das "Bündnis gegen die menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes" trifft sich am Potsdamer Platz in Berlin. Der Umzug endet am Bebelplatz. 16.15 Uhr, Bundestag: 100 Abgeordnete haben erklärt, garantiert nicht zuhören zu wollen. (jaf)
Jüngeren sei gesagt: Alle Liberalität in Spanien ist gegen Priester, Mönche und Laienkleriker katholischer Provenienz errungen worden - Rechte von Frauen, auch die der sexuellen Selbstbestimmung, das Scheidungsrecht wie die Gleichberechtigung Homosexueller, auch im Hinblick auf die Ehe. Die Protestierenden wussten vor einigen Wochen in der spanischen Hauptstadt sehr wohl, wen sie da, der sich als christliche Güte selbst inszenierte, vor sich haben: einen Papst, der die Uhren der bürgerlichen Aufklärung am liebsten zurückdrehen würde. Denn als der Klerus noch weltliche Macht hatte, war, um es kurz zu machen, alles finster und fern aller Nächstenliebe.
Jetzt kommt der vatikanische Tross nach Deutschland, und auch bei uns könnten Linke und Liberale, gemessen an früheren Zeiten, dem Besuch des Papstes mit gewisser Entspanntheit entgegensehen. Sie könnten sagen: Okay, das war ne ziemliche Propagandashow, mit Brokat und Seide, Benedikt XVI. in roten Schühchen und Gewändern, die teuer und aufwändig gewirkt wurden. Eine liturgische Inszenierung, die irgendwie zwischen einer Open-Air-Fassung der Orffschen "Carmina Burana" und einem Auftritt von Mario Barth changiert - nur dass Letzterer es schaffte, das Olympiastadion zweimal in Folge gänzlich zu füllen.
Aber das sind statistische Details. Denn der Papst, in Marktl am Inn geboren, beansprucht, für das Jetzt und das Ewige zu sprechen. Diese Schau scheint immer auf gewisse Weise sehr Altes, Überliefertes und Ernsthaftes zugleich zu atmen - was auch nicht ungünstig für das fast unbezahlbare Gut namens Glaubwürdigkeit ist. Dieser Mann hat einfach performativ mehr zu bieten als alle gestrigen und heutigen Popstars. Gegen ihn ist die Bildersprache der Lady Gaga nachgerade unterkomplex einschläfernd.
Jedoch: Die Protestierenden könnten es genießen, wie sehr sie Erfolg gegen diesen Klerus hatten. Dass eben der Papst als Figur des Pops genommen werden kann, nicht als real einschüchterndes Oberhaupt. Sie dürften feiern, dass die katholische Kirche in Deutschland eine zwar große, einflussreiche, aber nicht mehr allmächtige ist. Dass errungen wurde, was zu erringen war: Anders als bis in die frühen siebziger Jahre bestimmen katholische Würdenträger und ihre Freunde und Freundinnen in den Parteien nicht mehr, was dem Volk geziemt. Patientenverfügung, Präimplantationsdiagnostik, Homoehe, Abtreibungsbestimmungen, Familienpolitik, das Recht auf Sexuelles, aber nicht auf Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wie in katholischen Institutionen.
Es ist ein gutes Zeichen für die Welt, dass der religiöse Weltkonzern angelegentlich der Missbrauchsskandale - in Irland, den USA, Belgien und Deutschland zuvörderst - seine Position des arroganten Gleichmuts verlassen musste. Nun muss sich jeder Bischof rechtfertigen, jeder Kirchenfunktionär - und auch der Papst. Das ist für die römische Kirche wahrscheinlich eine Zumutung, für die Welt jenseits dieser Glaubensrichtung aber eine gute Nachricht: Auch eine papistisch orientierte Kirche muss sich in dieser Welt verantworten. Die Welt ist also säkularer geworden - und eine säkulare Welt ist eine, in der die Sphären von Kirche und Staat getrennt sind.
Neigung zu kleinem Karo
Das ist in der Bundesrepublik noch lange nicht vollständig der Fall. Kirchliche Träger im Sozialbereich beanspruchen im Arbeitsrecht eigene Bestimmungen, beispielsweise können sie Angestellten kündigen, wenn sie sich wiederverheiraten. Auch muss fragwürdig scheinen, weshalb Kirche - und das gilt auch für die Protestanten - eine besondere Kompetenz in Sachen Werte und Ethik beanspruchen. Werte und Haltungen wie Solidarität auch in internationaler Hinsicht, Geschlechterdemokratie, Ökologie oder die Frage des Antisemitismus sind vor allem durch Linke in die Debattenarena geschoben worden, nicht durch die christlichen Amtsträger. Sie haben immer noch zu viel Macht - und dass sie Teil des "Worts zum Sonntag" sein dürfen, ist von dieser noch der geringste Faktor. Warum sitzen Kirchen in allen Gremien und können sich in alles Mögliche einmischen - in Fernseh- und Rundfunkräten etwa.
Das könnten Freisinnige und Linke monieren, aber zugleich sollten sie genießen, dass das Oberhaupt des Vatikan in dieses Land zu Besuch kommt. Dennoch erregen sie sich bis hin zur Respektlosigkeit. Abgeordnete der SPD, der Grünen und der Linken wollen nicht zuhören, wenn im Bundestag der Papst am Donnerstag spricht. Der Kölner Bischof Joachim Meisner, der zwar alles blöde findet, was vor seinem Chef nicht auf die Knie in den Staub fällt, findet das zu Recht so "kleinkariert" und "engstirnig, dass man darüber nur lachen oder weinen kann", wie es in der FAZ überliefert wird.
Selbst wenn man glaubt, dass der rheinische Bischoff diese Boykotteure am liebsten in Verliese sperren würde ob dieser Unbotmäßigkeit wider seinen Chef, bleibt doch zu sagen: Ja, mokiert er sich nicht zu Recht? Ist dieses Fernbleiben von der Rede eines ausländischen Staatsgastes nicht eine starke Geste, die trotzdem nur die Neigung zu kleinem Karo verrät?
Ließe man sich auf dieses Popevent ein, könnte man doch debattieren: Ist der Papst wirklich gegen Krieg - oder sind seine Äußerungen in diese Richtung nicht überwiegend nur wohlfeil? Verdient es nicht eine gedankliche Vertiefung, wenn aus vatikanischer Perspektive die Globalisierung mit Moral unterfüttert werden soll? Oder sind derlei Töne nur Tröstungen, die das Unvermeidliche orchestrieren, nämlich die Ökonomisierung der Welt?
Weshalb, anders gesagt, nimmt man den Papstbesuch nicht als Angebot und Anregung zugleich, als Einladung zur Kritik auf Augenhöhe? Tun kann er einem doch nichts mehr - sein Wort hat in einer modernen Gesellschaft wie der deutschen nur noch das flüchtige Gewicht einer Stichwortgabe. Die aber könnte doch lohnen: Dass er eine interessante Figur ist,verrät doch schon die Wut der Kritiker seines Besuchs.
PS: Soweit man hört, werden die Sitze jener Bundestagsabgeordneten, die die Rede im Parlament boykottieren, mit ehemaligen Mandatsträgern aufgefüllt. Wie hilflos nun erst recht der Protest gegen den Papst wirkt!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen