Islamwissenschaftlerin Noha Abdel-Hady über Feminismus: "Religion ist auch Freiheit"
Die Hamburgerin Noha Abdel-Hady betritt islamwissenschaftliches Neuland: Sie untersucht die Rolle weiblicher Gelehrter im Islam. Ein Gespräch über westlichen und islamischen Feminismus, Mithilfe beim Krippenspiel und die Rolle der Mütter.
taz: Frau Abdel-Hady, gibt es ein Schlüsselerlebnis, mit dem Ihr Interesse für Theologie begonnen hat?
Noha Abdel-Hady: Mit der Religion habe ich mich mein Leben lang beschäftigt. Meine Mutter hat mir von klein auf Prophetengeschichten erzählt, Geschichten, wie man sich als guter Gläubiger und einfach als Mensch zu verhalten hat. Das Interesse an Theologie kam mit meinem Studium der Islamwissenschaften 2004 an der Universität Hamburg. Seitdem gebe ich auch Religionsunterricht für junge Mädchen und Frauen.
Worum geht es da?
Wir beschäftigen uns mit Ethik und Moral im Islam, wie können wir ein besserer Mensch sein. Es ist nicht tief theologisch, weil ich da die Ausbildung noch nicht hatte. Da fing auch mein Interesse an: Nach dem Unterricht kamen viele Mädchen zu mir und haben theologische Fragen gestellt, auf die ich nicht antworten konnte - und auch nicht wollte, weil das eine große Verantwortung ist.
Was für Fragen waren das?
26, ist als Tochter ägyptischer Eltern in Hamburg geboren worden. Sie hat an der Universität Hamburg Islamwissenschaft studiert und promoviert nun am Graduiertenkolleg Islamische Theologie über die Frage, wie weibliche Gelehrte in Ägypten durch das Erstellen religiöser Rechtsgutachten das Islamische Recht mitgestalten. Im Hamburger Verein Verikom wurde sie zur Antidiskriminierungstrainerin ausgebildet. Sie ist verheiratet und lebt in Hamburg.
Wie ist es, wenn ich lackierte Fingernägel habe und bei der Gebetswaschung kommt Wasser darauf. Und da habe ich mich gefragt: Wie kann ich da kompetent sein? Die Islamwissenschaft ist ja eher historisch, Geschichte und Kultur des Vorderen Orients, da habe ich mir immer gewünscht, dass es etwas Theologisches gibt. Mit dem Graduiertenkolleg Islamische Theologie an der Uni Hamburg ist jetzt natürlich ein Traum in Erfüllung gegangen.
Innerhalb des Islams ist es sehr umstritten, ob eine historische Betrachtung des Koran zulässig ist. Wie sehen Sie das?
Für Muslime ist der Koran natürlich Gotteswort, das ewig ist. Aber jede Passage wurde in einem bestimmten Kontext offenbart und das muss man als Theologe wissen, zum Beispiel bei der Erstellung von Rechtsgutachten. Da kann man nicht sagen: "Im Koran steht das, also ist das so und so." Sondern man muss die heutige Zeit in Betracht ziehen und gucken, wie sie mit der gelebten Praxis der Menschen übereinstimmt.
Wie sieht das praktisch aus?
In meiner Promotion vergleiche ich Rechtsgutachten von Männern und von Frauen, die beim gleichen Thema sehr unterschiedliche Antworten geben. Beim Schlagen zum Beispiel. Viele sagen: Es steht im Koran, also darf ich meine Frau schlagen. Aber dann sagten die Theologinnen: Im Islam gibt es auch eine zweite Quelle, die Sunna, die die Lebenspraxis des Propheten beschreibt. Bei einigen Passagen des Koran weiß man nicht, wie es genau gemeint ist, das legt die Sunna noch einmal präzise aus. Da kann man nicht nachweisen, dass je eine Frau geschlagen wurde, weil sie eine schlechte Ehefrau gewesen wäre. Der Prophet hat gesagt: "Man darf keine Frau schlagen. Der Beste unter euch ist der, der am besten zu seiner Frau ist." Das würde der viel zitierten Passage im Koran widersprechen. Diese Theologinnen argumentieren nicht mit den Menschenrechten, sie schlagen mit theologischen Waffen zurück.
Wie bekannt ist es unter Muslimen, dass es eine Tradition weiblicher Rechtsgutachten gibt?
Als der Islam aufkam, gab es viele weibliche Gelehrte. Und wenn man sich die islamische Geschichte ansieht, ist sie von ihnen geprägt. Aber das wurde von dem patriarchalischen System, das in jeder Gesellschaft zu finden ist, unterminiert. Aber jetzt erstarkt diese Bewegung wieder, sozusagen "back to the roots". Früher gab es große Rechtsschulen, die von Frauen gegründet wurden, es gab Gelehrte, die von Frauen ausgebildet wurden - warum darf das jetzt nicht sein? Das erste Wort im Koran ist "Lies", das heißt: Studiere. Und es heißt nicht: Lest, Männer.
Wie sind Sie selbst zur feministischen Theologie gekommen?
In der Kindheit habe ich immer gesehen, dass die Frauen in meiner Familie sehr geschätzt werden. Das fing schon bei meiner Großmutter an, der Familienältesten, die immer einen hohen Rang, viel Respekt, viel Ehre hatte. Ebenso meine Mutter. Wenn ich jemandem zu danken habe, dann ihr. Sie hat mir immer das Bild vermittelt: Du bist etwas Besonderes, du bist eine Frau. Aber je älter ich wurde, je mehr ich gesehen habe an gesellschaftlichen Strukturen, habe ich gemerkt, dass das nicht immer so ist. Ich habe gesehen, dass der Geist der Religion falsch ausgelegt wird. Ich hatte dieses Gefühl: Ich muss etwas dagegen tun.
Wo konkret hatten Sie das Gefühl, dass Frauen nicht wertgeschätzt werden?
In kleinen Sachen: Die Frau muss die Tüten tragen und der Mann geht voran. Ich kenne das weder von meiner Familie noch von meinen Bekannten. Das ist banal, aber es zeigt, wie Rollen zugesprochen werden, die sich verfestigen und dann werden sie mit dem Islam legitimiert. Da habe ich gemerkt: Ich möchte nicht, dass meine schöne Religion so verunstaltet wird. Religion ist aus meiner Sicht auch Freiheit, wie kann es da sein, dass die Hälfte der Gesellschaft unterdrückt wird?
Sind Sie da auch auf Widerstände gestoßen?
Am Anfang hatte ich natürlich Probleme mit dem Wort Feminismus.
Warum?
Von nicht-muslimischer Seite hieß es: "Wie, ihr habt auch einen Feminismus? Ihr seid doch unterdrückt." Und von muslimischer Seite: "Ist das nicht etwas Westliches?" Oder: "Wir hatten diese Freiheit doch schon vorher im Islam - warum müssen wir jetzt Feminismus dazu sagen?" Auch wenn die Inhalte von westlichem Feminismus und islamischem Feminismus unterschiedlich sind, sind die Ziele gleich: die Wertschätzung der Frau.
Es gibt ein deutsches Internetportal, das vor allem von Konvertitinnen betrieben wird und sich auch mit feministischen Themen befasst. Ist es typisch, dass es vor allem solche Musliminnen sind, die damit in der Öffentlichkeit stehen?
Amina Wadud ist konvertiert, aber große feministische Gelehrte wie Asma Barlas und die feministische Schule in Ägypten sind Nicht-Konvertiten. Es ist ein Bewusstsein, das aufkommt, egal ob Konvertitin oder nicht.
Amina Wadud, die in den USA Professorin ist, hat als erste muslimische Frau ein gemeinsames Freitagsgebet von Männern und Frauen geleitet. Es gab Bombendrohungen und viel Medienecho … Sie lachen?
Ja.
Warum?
Weil so oft erwähnt wird.
Ist es denn ein Anliegen, das Sie teilen?
Es ist Amina Waduds Umsetzung von feministischer islamischer Theologie. Da gehen die Meinungen auseinander, aber es zeigt, wie unterschiedlich die Auslegung der feministischen Theologie ist. Manche fordern mehr Bildung, manche mehr politisches Engagement, es gibt da viele Formen.
Und wie fanden Sie es?
Ich fand es mutig.
Würden Sie selbst gern an der Uni bleiben?
Auf jeden Fall. Ich gehe den ersten Schritt dahin im kommenden Semester, dann werde ich ein Proseminar über feministischen Islam halten. Ich hoffe, dass es bald als Normalität angesehen wird, dass auch Muslime referieren, auch mit Kopftuch.
Für viele in Deutschland wirkt ein stärkerer Einfluss von Religionsgemeinschaften bedrohlich. Können Sie das nachvollziehen?
Die islamische Theologie will ja nicht Menschen zu Muslimen machen. Es geht darum, ein Reformverständnis der Religion zu vermitteln und Muslimen die Chance zu geben, akzeptiert zu werden. Diese Akzeptanz hängt ja oft mit dem Religionsbild zusammen.
Nebenbei engagieren Sie sich bei Verikom, einem Verband für interkulturelle Kommunikation und Bildung.
Das war etwas, was mir meine Mutter immer gesagt hat: Du musst ein aktives gesellschaftliches Mitglied sein, hilf mit. Im Kindergarten, beim Krippenspiel, ich war immer ein Teil. Und später habe ich gemerkt: Ich mache alles nur für mich, das Abi, das Studium, das Weggehen mit meinen Freunden. Aber was tue ich für die Gesellschaft? Dann bin ich auf Verikom gestoßen. Man muss zeigen, dass Migranten auch eine Chance bekommen. Natürlich hat man es schwer, mit Kopftuch eine Arbeit zu finden, das ist die Wahrheit, aber wenn man Qualifikationen hat, kann man ein Teil der Gesellschaft sein, wenn man möchte.
Das klingt alles sehr positiv.
Ist es - man muss es nur positiv machen. Es ist nicht alles positiv, es gibt auch Zeiten, wo man auf der Straße angespuckt wird, oder angerempelt, "geht in euer Land zurück". Aber das versucht man nicht zu erwähnen, denn wenn man das immer erwähnt, kommt man nicht aus diesem Kreislauf heraus. Auch an der Uni kriegt man viele Anfeindungen zu hören, ihr seid unterdrückt, ihr seid Terroristen, aber man muss sich darüberstellen. Was man selbst vermittelt, als Muslim, ist ein großes Mittel. Dass wir zeigen: Wir sind Bürger hier, wir tun auch etwas für die Gesellschaft, wir sehen nur ein bisschen anders aus.
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