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50 Jahre TürkInnen in DeutschlandTrendy, cool und sehr, sehr sexy

Schwarz & Weiß ist in der Schickeria angesagt: Türkisches Nachtleben in Berlin orientiert sich an Istanbuls Nightlife. Das lohnt sich!

Junge erfolgreiche Nachkommen türkischer Einwandererfamilien haben in Berlin längst ein eigenes Nachtleben etabliert. Bild: john_coffee / photocase.com

Auf dem Riesenbildschirm des türkischen Restaurants Schwarz & Weiß nahe dem Kurfürstendamm läuft als Endlosschleife ein Film über die Sehenswürdigkeiten Istanbuls. Mit schwarz-weißen Sitzecken, sparsamer Deko, weißen Wänden und einer Bar aus Metall sieht das Lokal wie eine coole Lounge aus. Das Frauentrio am Nebentisch ist auffallend hübsch und absolut aufgebrezelt: Hochsteckfrisuren, High Heels, Miniröcke, riesige Ohrringe, aufwendige Schminke. Die Unterhaltung läuft in türkisch-deutschem Sprachgemisch.

Bei der türkeistämmigen Berliner Schickeria sei das Schwarz & Weiß sehr angesagt, sagt Kellnerin Sergil Kumus, die im Wedding aufgewachsen ist und Istanbul nur von Besuchen kennt. Das schicke Berliner Restaurant orientiert sich an der pulsierenden Modernität der türkischen Metropole. Genau deshalb passt es nach Berlin, wo junge erfolgreiche Nachkommen türkischer Einwandererfamilien längst ein eigenes Nachtleben etabliert haben - und es mit den eingeborenen Deutschen gerne teilen.

Selbstbewusst inszeniert sich die türkische Szene in den bürgerlichen Stadtteilen Wilmersdorf und Charlottenburg. Ein wenig Folklore ist erlaubt, doch von Klischees grenzt man sich ebenso ab wie von Sarrazin'schen Zuschreibungen oder Bezirken mit hohem Ausländeranteil wie Kreuzberg, Neukölln oder Wedding.

Stolz statt Vorurteil

Wohin das alles führt, hat niemand geahnt. Das Anwerbeabkommen mit der Türkei, das am 1. September 1961 in Kraft getreten ist, hat die Republik grundlegend verändert. Die Türken kamen, viele blieben. Und heute? Sind sie Deutschland, genau wie der Rest. Betrachtet man diese Entwicklung einmal ganz unaufgeregt, kann man zu dem Schluss kommen: Die Einwanderung aus der Türkei ist eine Erfolgsgeschichte.

Natürlich gibt es Probleme. Wie sollte sich eine so tiefgreifende Veränderung auch ohne vollziehen? Aber verengen wir den Blick einmal nicht auf sie, wie es die Sarrazins dieser Welt so gerne tun. Dann sehen wir: Das Zusammenleben klappt vielerorts erstaunlich gut. Registrieren wir also endlich: Vieles wird besser. Die Anzahl der türkischstämmigen Abiturienten und der binationalen Ehen steigt, die Mittelschicht wächst, selbst die Anzahl der Einbürgerungennimmt wieder zu. Türkischstämmige Abgeordnete sitzen in vielen Parlamenten, sie werden Grünen-Chef und niedersächsische Sozialministerin.

Fatih Akin steht für den deutschen Film, Feridun Zaimoglu für die deutsche Literatur, Mesut Özil für den deutschen Fußball. Sie alle sind ein Gewinn. Und sie zeigen: Es kann klappen mit dem Aufstieg - und dem Mitmischen. Wir setzen auf ein Happy End. (Sabine am Orde, stellvertretende Chefredakteurin)

Das Xara am Nollendorfplatz im westlichen Berliner Zentrum ist eine der neuen Lounges im Orientstyle. In der Mitte des Raums hängt ein Riesenkronleuchter, ansonsten herrscht Salonatmosphäre mit Golddrucktapete, weißen Ledersesseln und ausladenden Korbstühlen auf der Terrasse.

Wasserpfeife rauchen, bevor die Clubs interessant werden

Dieser Mix komme gerade "bei jungen Schwarzköpfen besonders gut an", sagt Saskia Bonnen, die deutsche Geschäftsführerin des Xara. Die jungen DeutschtürkInnen sähen sich als Trendsetter.

Im Xara sind sie eindeutig in der Mehrzahl. Gruppen junger Frauen und Männer, meist getrennt, rauchen Wasserpfeife. Hier trifft man sich, bevor gegen Mitternacht die Clubs langsam interessant werden.

Etwa das Lucca in der Fasanenstraße: "Zurzeit der angesagteste Laden für die türkische Community in Berlin überhaupt", sagt Inhaber Berek Boyal. "Hierher kommen Transen, Schwule, Heteros, Junge und Alte - das verträgt sich alles super."

Der Clubeingang wird von fünf bulligen Bodyguards bewacht. Die weisen gerade eine Gruppe lauter Jungmänner ab. "Wir haben strenge Sicherheitsvorkehrungen, aber ansonsten keine Tabus. Unser höchstes Gebot ist Schutz, damit die Leute hier ausgelassen feiern können", sagt Berek. "Was wir verkaufen, ist das ausgelassene Lebensgefühl Istanbuls."

Das Lucca in den Gewölben unter der Hochtrasse der S-Bahn ist ein schlichter Raum mit Rundbogendecke, schwarz-weißen Sitzecken, auch hier hängt der obligatorische Kronleuchter. DJ Umut legt Elektro, House und türkische Popmusik auf.

Vor einem Bild von Sexsymbol Marylin Monroe hat sich ein Transvestit im Leopardenlook platziert, sein Markenhandtäschchen steht dekorativ auf der Bar. Dahinter mixt Oguzhan Cansiz die Drinks. Ursprünglich kommt er aus Stuttgart, jetzt studiert er internationale Betriebswirtschaft in Berlin. "Das Publikum hier ist überwiegend türkisch", erzählt er. "Sechzig Prozent sind Stammgäste, mehrheitlich Frauen, die am Wochenende hier abtanzen." Getrunken werde vor allem Wodka, Whiskey und Raki "wie in Istanbul", sagt Cansiz: "Das Lucca ist absolut Istanbul-Lifestyle."

"Ich bin ein City-West-Typ"

"Viele Männer hier sind schwul, viele Frauen lesbisch", erzählt eine der Schönheiten vom Nachbartisch. "Echt amüsant" sei es im Lucca. Sie trifft sich regelmäßig mit Freundinnen hier. Ihr Mann - "selbstverständlich ein Deutscher"- hüte so lange die zwei Kinder.

"Ich bin ein City-West-Typ", sagt Berek zwischen Gastgeberpflichten und Club-Organisation. Er ist in Berlin-Charlottenburg aufgewachsen, steht auf Istanbul und liebt Berlin. Ein femininer, charmanter, gut erzogener junger Mann: "Wir wollen uns vom Klischee abheben. Ich wollte einen Laden, der für die türkische und die deutsche Community interessant ist. Das Publikum hier hätte ich nie in Kreuzberg bekommen."

Mehrmals im Jahr ist Berek selbst in Istanbul, von wo seine Familie einst nach Deutschland auswanderte. "Ich möchte zeigen, dass wir Türken cool, trendy und sexy sind. Männer wie Frauen", sagt der 31 Jahre alte Barbesitzer, der eigentlich Politik studiert hat.

Doch Clubs, Nightlife seien seine Leidenschaft, sagt er: "Achtzig Prozent meiner Gäste kenne ich persönlich." Auch sein Vater unterstützt ihn: Freundlich begrüßt der charmante ältere Herr Neuankömmlinge.

Viele seiner deutschen Freunde seien "immer noch total verwundert", wenn sie ins Lucca kämen: "So sexy? Keine Kopftücher? Aber wir haben manchmal auch Kopftuchfrauen hier." Selbstverständlich sind auch die dann super gestylt.

Die Lokale

Das Lucca in Berlin-Charlottenburg soll ab September täglich um 18 Uhr als Cocktailbar geöffnet werden. Donnerstags Jazz, freitags türkischer Rock, samstags türkischer Pop. Fasanenstr. 14, S-Bahn-Bögen 561, Reservierung: (01 77) 8 99 66 51

Die Xara-Lounge ist täglich geöffnet, Maaßenstraße 7, Tel: (0 30) 30 10 47 77, www.xara-berlin.com

Das Black & White bietet anatolische Küche, täglich geöffnet von 9 bis 24 Uhr, Uhlandstraße 171/172, Tel: (0 30) 88 92 95 73, www.blackandwhite-berlin.com

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4 Kommentare

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  • I
    imigrant

    Aufgestylt ist ein falscher Ausdruck, doch dann eher gepflegt und modisch ;-)Viele Frauen mit Migrationshintergrund haben ein anderes Verständnis für Pflege und Outfit..... in dem Artikel klingt es so negativ..... Das Bild der in Deutschland lebenden Türken ändert sich langsam aber sicher! Den Artikel finde ich sehr gut geschrieben.....

  • I
    Immigrant

    Die taz ist eine Boulevardzeitung und das ist ein Kompliment (!): die BILD-Zeitung für die Rot-Grünen und junge und alte Alternative.

     

    Ein interessanter Artikel wäre gewesen, welchen Beitrag minoritäre Partykulturen ( Black, Asian, World Music, Orient ) zur Exotisierung und Sexualisierung der Immigranten geleistet hat.

     

    Danach wäre es interessant nachzusehen, welche Rolle der (pornographische) Rassismus und die Narrative um die sexy orientalische Frau, den polygamen orientalischen Mann, den schwarzen Sex-Protz, den ewig-geilen Juden, den effimierten Asiaten zur Hegemonie des Rassismus leisten.

     

    Ich fände es nicht uninteressant, wenn die Immigranten die Deutschen mit dem Spruch "Sexualgestörter" oder "Sexualneider" empfangen würden.

  • RK
    Renate Krieg

    IVon den beschriebenen Lokalitäten kenne ich nur das Xara am Nollendorfplatz. Das Xara wird doch übertrieben wohlwollend dargestellt mit Bestuhlung auf der Straße mit Plastikgartenmöbeln mit teils schmuddeligen Polstern auf versifftem und mit Brandflecken übersäten Teppichboden als „ausladenden Korbstühlen auf der Terrasse“. Und was findet Frau Kresta an männlichem Imponiergehabe mit manipulierten und damit extrem lärmenden Fahrzeugen und kreischender Bewunderung der weiblichen Gäste „trendy, cool und sehr, sehr sexy“?

  • M
    Mat

    "Das Frauentrio am Nebentisch ist auffallend hübsch und absolut aufgebrezelt: Hochsteckfrisuren, High Heels, Miniröcke, riesige Ohrringe, aufwendige Schminke."

     

    Ach Edith... Was soll daran sehr, sehr sexy sein? Das ist doch langweilig, bzw. sexy für Leute ohne Selbstbewußtsein. Und die sind absolut unsexy.